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Municipum Aelium Cetium – St. Pölten (Niederösterreich)

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Gründung und Aufbau

Nach den intensiven Ausgrabungen seit 1988 ist heute die Lage von Aelium Cetium fast flächengleich unter dem mittelalterlichen Stadtkern von St. Pölten erwiesen. Das Fundmaterial setzt mit Stücken des späten 1. Jh. zögerlich ein, viele Bereiche in den peripheren Insulae weisen eine Erstbebauung um die Mitte des 2. Jh. auf. Die Gründung geht eher auf Hadrian als auf Antoninus Pius zurück und wird in der Forschung mit der Inspektionsreise des Kaisers durch Noricum um 121/122 verbunden. Im weiteren Stadtgebiet gibt es zwar mehrere prähistorische Fundstellen, eine direkte Vorgängersiedlung der späten Latènezeit ist aber mit Sicherheit auszuschließen. Der Name der Stadt hängt mit der Benennung des Wienerwaldmassivs als mons Cetius (= Waldberg) zusammen. Auf mehreren Inschriften werden die Verwaltungsämter des duumvir iure dicundo, aedilis und quaestor sowie der ordo decurionum und das Priesteramt des flamen genannt.

Die Stadt diente als ziviler Versorgungs- und Verwaltungsmittelpunkt von Nordostnoricum (Niederösterreich, Viertel ob dem Wienerwald) und lag an der Kreuzung der Ost-West-Hauptstraße im Alpenvorland mit der Traisen (inschriftlich: Tragisamus) einen Tagesmarsch von der Donaugrenze entfernt, die seit flavisch-traianischer Zeit im Nahbereich von 6 Hilfstruppenlagern gesichert war. Der allgemeine Nachschub dorthin und teilweise, wie Halbfabrikate aus Schmiedewerkstätten beweisen, auch die Lieferung von militärischer Ausrüstung waren die Hauptaufgaben der Stadt. Im Stadtbereich selbst befand sich nie eine Garnison.

Bauphase 1 endet regelmäßig in fast allen Grabungsarealen mit einem Flächenbrand, der auf den Markomannensturm im Jahr 170 zurückgehen dürfte. Ein weiterer großräumiger Zerstörungshorizont lässt sich in die unmittelbar postseverische Zeit (um 240) datieren.


Stadtanlage

Das verbaute Areal umfasste annähernd ein Quadrat von 500 m Seitenlänge bzw. 25 ha. Als typische Planstadt besitzt Cetium ein fast genau an den Haupthimmelsrichtungen orientiertes streng, rechtwinkeliges Straßensystem mit Insulae von gleichmäßig etwa 66 m Nord-Süd-Erstreckung und einer Breite von 55 bis über 95 m. Alle bekannten Straßen bestehen aus durchschnittlich 6 m breiten, gewölbten Schotterfahrbahnen mit meist offenen seitlichen Gräben, nur für einen cardo gibt es einen sekundär errichteten, gemauerten, an der Westseite verlaufenden Kanal. An vielen Stellen sind zwischen den Straßengräben und den Häusern Portiken mit Holzpfeilern an zumindest einer Straßenseite nachweisbar. Im äußersten Osten der Stadt scheint sich die Orientierung der Bebauung stellenweise gegenüber dem restlichen Stadtplan deutlich gedreht an einer Geländekante am Rande des Überschwemmungsgebietes der Traisen bzw. einer hypothetisch dort verlaufenden Straße zu orientieren.


Öffentliche Platzanlagen und Funktionsbauten

Die aus dem Stadtzentrum leicht nach Osten verschobene, breiteste Insulareihe westlich des vermutlichen cardo, ist Standort aller bekannten öffentlichen Bauten. Die beiden mittleren Insulae sind als Forum und area sacra zu interpretieren. Das Forum nödlich des decumanus maximus ist nur durch Inschriftfunde, dabei ein Neptunaltar eines Statthalters (um 270 n.Chr.) und die Bauinschrift des Vereinshauses des collegium fabrum, sowie die mittelalterliche Nachfolgefunktion als Marktplatz von St. Pölten erkennbar. Grabungen fanden hier nicht statt. Das Vereinshaus der Schmiede wurde der Inschrift zufolge wenige Jahre nach der Zerstörung der Stadt ca. 170 n.Chr. durch die Markomannen, unter der Alleinregierung des Marc Aurel (bis 177 n.Chr.) neu erbaut.

In der südlich anschließenden Insula wurde bei Grabungen die Südostecke einer doppelt geführten Porticus von jeweils ca. 3,60 m lichter Weite freigelegt. Die äußere Halle öffnete sich auf die umgebenden Straßen, die innere auf eine Platzanlage, in deren Mitte vermulich der Haupttempel von Cetium stand.


Im nördlichsten Baublock derselben Insulareihe wurden bei Notgrabungen in Innenhöfen drei große, mit flächigen Fußbodenheizungen ausgestattete Säle, der größte davon war 20 m lang, angeschnitten. Sie gehörten vermutlich zu einer öffentlichen Thermenanlage, die mehr oder weniger den ganzen Baublock eingenommen haben dürfte.

In der nordöstlichsten Insula (Ausgrabung Klostergarten), zwischen zwei Häusern an der Nordfront, befand sich ein zweiräumiges Steingebäude mit reicher Wandmalereiausstattung und Fußbodenheizung. Daran wude gartenseitig ein kleiner, nach Osten offener Antentempel (6,6 x 2,5 m) mit Vorraum und Cella angebaut. Nach den wenigen relevanten Funden, z.B. eines Schlangengefäßes, dürfte es sich um das Versammlungsgebäude eines Vereins handeln, der den Kult orientalischer Gottheiten pflegte.


Wohnbauten

Die Wohnbebauung besteht durchwegs aus frei stehenden Einzelhäusern sehr unterschiedlicher Größe und Bauart. Geschlossene Insulae mit umgebenden Mauern sind erst in der späten Kaiserzeit häufiger. Infolge spätantiken, mittelalterlichen und neuzeitlichen Steinraubs ist die Erhaltung der Hausbauten meist sehr dürftig. Reine Holzbauten sind selten, an einigen Stellen gibt es Hinweise darauf für die Gründungsphase der Stadt. Zumeist wurden im 2. und 3 Jh. Fachwerkkonstruktionen auf gemauerten Sockeln von bis zu 1,10 m Höhe errichtet, die wohl durchwegs ein Obergeschoss besaßen. In Bauphase 1 gibt es nur selten einzelne beheizte Räume in den Häusern, Bodenmosaiken, polychrome Wandmalerei oder Stuck sind äußerst selten. Die Böden bestanden in den Wohnräumen durchwegs aus einem stabilen Terrazzo, in Nebenräumen und Portiken aus Lehmschlag. Innenkeller sind bisher nirgends nachgewiesen, dafür mehrfach einfache Erdkeller (ca. 2 x 3–4 m) in den Hofarealen. Abgemauerte Kleingartenbereiche und sowie Arbeitshöfe mit Töpfer- und Schmelzöfen sind in allen Stadtteilen regelmäßig anzutreffen.

Im Westen (Ausgrabung Rathausplatz) dürfte eine 1988 teilweise untersuchte Insula nördlich des decumanus maximus am ehesten in drei Streifen zu je drei Bauparzellen von ca. 15 x 30 m (50 zu 100 Fuß) geteilt gewesen sein, wobei auch eine weitere Untergliederung auf die halbe Größe nachweisbar ist. Die einzelnen Parzellen waren manchmal durch 1,5 m breite geschotterte Wege getrennt. Das mittlere Grundstück blieb unbebaut bzw. diente als Standort eines Töpferofens.

Eine wesentlich kleinere Insula im Nordosten der Stadt (Klostergasse) dürfte ursprünglich in 2 x 3 nebeneinander liegende gleich große, voneinander durch Zäune und Mauern getrennte Parzellen von ca. 12 x 30 m Grundfläche geteilt gewesen sein.

Das am besten erforschte Haus X (Rathausplatz) ähnelte in Bauphase 1 (ca. 145–170) einem Bauernhof am Stadtrand. Das Hauptgebäude (14,3 x 8, 2 m) wies drei parallel gelegte Räume im Breitenverhältnis 1 : 2 : 1 ohne Flur auf, vor denen über die ganze Breite ein straßenseitiger, ummauerter Arbeitshof lag. Im geschlossenen Innenhof standen ein etwas im Boden vertieftes Einraumgebäude und eine offene Halle, dahinter lag ein umzäunter Kleingarten.

Zwei, Haus X im Haupttrakt sehr ähnliche, ursprünglich dreiräumige Wohngebäude (18,80 x 6,4 m) des 2. Jh. wurden im Südosten von Cetium (Steinergasse, Häuser A und B), zwei weitere im Nordosten (Klostergarten, Häuser 4 und 5) nachgewiesen. Es handelt sich somit bei diesen langrechteckigen Häusern mit einer Raumreihe um den in Cetium häufigsten Typ.



Aber auch völlig andere Wohnhaustypen wurden sowohl am Rathausplatz als auch im Klostergarten ausgegraben, wobei es sich meist um sog. Blockbauten mit ungefähr quadratischem Grundriss und drei Raumreihen oder einem großen zentralen Küchenraum mit Herdstelle und umgebenden kleineren Räumen und Gängen handelt. Einen Sonderfall stellt hier Haus 3 im Klostergarten dar, welches an einer Straßenkreuzung lag und an den beiden anderen Seiten ebenfalls von einer stark geschotterten Hoffläche umgeben war. Nach Süden öffnete sich eine vielleicht offene Halle mit Lehmboden, dahinter lagen drei schmale, ebenfalls ursprünglich mit Lehmböden ausgestattete Räume. Es handelte sich dabei anscheinend um einen Geschäftstrakt mit Porticus und drei Tabernen. Die Wohnräume lagen in der Nordhälfte des Hauses, vier kleine Räume, davon einer schon in Bauphase 1 flächig beheizt – und ein großer Eckraum.

Haus 1 im Klostergarten nahm eine ummauerte Gesamtfläche von 28,4 x 12,2 m ein. Im Norden, an der Straßenecke, lagen zwei offene Arbeitshöfe, wovon einer mit einer Zisterne und einem Schmelzofen ausgestattet war. Der Wohntrakt war mit einem Raumangebot von gut 60 m² aufgeteilt auf zwei große Zimmer und drei kleine Kammern eher bescheiden. Der dreiseitig von einer 1,5–1,8 m tiefen Porticus umgebene südliche Hof (Gesamtfläche 11,2 x 9,8 m) war beinahe doppelt so groß. Den Südabschluss des Grundstücks bildete ein ummauerter Garten.


Sichtbare Reste und Museen

Befunde in Originallage konnten bisher nirgends erhalten und zur Präsentation hergerichtet werden. An einigen Grabungsorten wurden aber Vitrinen mit Funden und Schautafeln aufgestellt, so in den Häusern Wiener Straße 14, Domplatz 2 (Oberbank) und Lederergasse 8–10.

Ausstellungen zu den Grabungsergebnissen in St. Pölten sind im Stadtmuseum (Prandtauerstraße 2) und im Diözesanmuseum (Domplatz 1) zu besichtigen. Im Rathausfoyer wurde ein kleines Lapidarium eingerichtet.


Literaturauswahl

S. Jilek — P. Scherrer — E. Trinkl,

Leben in Aelium Cetium. Wohnen und Arbeiten im römischen St. Pölten, Sonder- und Wechselaussstellungen der NÖ Landesbibiliothek 26 (2005)

R. Risy, Aelium Cetium - St. Pölten. Zur hochmittelalterlichen Stadtbildung auf römischen Ruinen, in: Zwischen Römersiedlung und mittelalterlicher Stadt. Archäologische Aspekte zur Kontinuitätsfrage. Beiträge zur Mittelalterarchäologie in Österreich 17, 2001, 169–178.

R. Risy, Der Dom in St. Pölten und seine Vorgeschichte im Lichte der jüngsten Forschungen, in: T. Aigner et al., C. R. Y. Festschrift zum 75. Geburtstag von H. Fasching (2004) 418–433.

R. Risy — P. Scherrer, Municipium Aelium Cetium – Landeshauptstadt St. Pölten. Archäologische Grabungen und Forschungen 1999–2005, Hippolytus, Neue Folge. St. Pöltner Hefte zur Diözesankunde, 5. Beiheft (2005)

R. Risy — P. Scherrer — E. Trinkl, Das antike Aelium Cetium – Stadtarchäologie in St. Pölten, in: Forum Archaeologiae 34/III/2005; http://farch.net.

P. Scherrer (Hrsg.), Landeshauptstadt St. Pölten – Archäologische Bausteine. Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Institutes 22 (1991) (mit ausführlicher Bibliographie).

P. Scherrer (Hrsg.), Landeshauptstadt St. Pölten – Archäologische Bausteine II. Sonderschriften des Österreichischen Archäologischen Institutes 23 (1994).

P. Scherrer, St. Pölten – Landeshauptstadt aus römischen Wurzeln. Ergebnisse der Stadtarchäologie 1988–1998 (1998).

P. Scherrer, Systematische Stadtarchäologie: Fallbeispiel Aelium Cetium – St. Pölten, Niederösterreich, in: The Roman Town in a Modern City. Proceedings of the International Colloquium held on the occasion of the 100th Anniversary of the Aquincum Museum 1994 Budapest, hrsg. v. M. Németh, Aquincum Nostrum II (1998) 29–34.

P. Scherrer, Die Archäologie des Siedlungsraumes St. Pölten vom Neolithikum bis zum Ende des Frühmittelalters, in: Österreichische Kunsttopographie LIV: Die Kunstdenkmäler der Stadt St. Pölten und ihrer eingemeindeten Ortschaften, hrsg. vom Bundesdenkmalamt, bearbeitet von Th. Karl, H. Karner, J. Kronbichler, Th. Pulle, unter Mitarbeit von R. Gamsjäger, G.A. Stadler, P. Scherrer (1999) XIX–LXII.

P. Scherrer, Aelium Cetium – St. Pölten. Ein Beitrag der Stadtarchäologie zum römischen Erbe in der mittelalterlichen Stadtentwicklung, in: Chr. Rohr (Hrsg.), Vom Ursprung der Städte. Jubiläumsschrift zur 1200. Wiederkehr der Erstnennung von Linz (1999) 43–60.

P. Scherrer mit Beiträgen von M. Kronberger und W. Szaivert, Cetium, in: M. Šašel Kos – P. Scherrer (Hrsg.), The Autonomous Towns in Noricum and Pannonia – Die autonomen Städte in Noricum und Pannonien: Noricum, Situla 40 (2002) 213–244.

H. Ubl, Die Skulpturen des Stadtgebietes von Aelium Cetium, Corpus Signorum Imperii Romani, Österreich I 6 (1979).