Entsprechend den Schwerpunkten der Besiedlung in antiker Zeit, aber auch adäquat zur Forschungslage präsentiert sich die räumliche Verteilung von Zeugnissen zur römischen Religion als sehr ungleich. Die meisten kultischen Denkmäler stammen aus Carnuntum, wo auch alle bisher bekannt gewordenen und teilweise gut erforschten Tempelbezirke liegen. Abgesehen von der Limeszone entlang der Donau sind aus dem pannonischen Anteil Österreichs bisher nur wenige religiöse Monumente aufgefunden worden. Dies liegt einerseits an der schlechten Forschungslage, bisher gibt es ja nur wenige systematische Ausgrabungen in diesem Raum, andererseits aber daran, dass – abgesehen vom völlig unerforschten Kurort Aquae, dem heutigen Baden – hier keine größeren Siedlungen bestanden. Auch größeren Durchzugsverkehr gab es wohl nur im Bereich unmittelbar südlich und südöstlich von Wien, da sich der Fernverkehr auf die Bernsteinstraße, also die Linie Savaria/Szombathely – Scarbantia/Sopron – Carnuntum, und somit hauptsächlich auf Westungarn konzentrierte.
Aquae/Baden: Altar des Publius Geminius, vermutlich eines Legionsoffiziers, für die Göttin Salus. Links der Inschrift fliegt Victoria (Sieg) mit dem Siegeskranz in ihren Händen, rechts reicht Pax (Friede) einen Palmzweig, an der Rückseite steht die behelmte Virtus (Mannestugend) mit vexillum (Standarte) und Schwert. |
In Savaria als der ältesten Stadt Pannoniens befand sich das zentrale Provinzialheiligtum,
in dem vor allem der Kaiserkult gepflegt wurde, außerdem sind für Savaria und
Scarbantia Kapitolsheiligtümer mit den Statuengruppen von Iuppiter, Iuno und
Minerva gesichert, für das wesentlich jüngere Munizipium Carnuntum gibt es dafür
bisher keine Hinweise. In Vindobona deuten zumindestens Fragmente von Marmor-
und Bronzestatuen auf ein Iuppiter- und Kaiserkultzentrum auf dem Forum.
Öffentliche innerstädtische Tempel konnten bisher in beiden nordwestpannonischen
Städten nicht aufgefunden werden, in Carnuntum wurden aber mehrere kleine, wohl
von Vereinen betriebene Heiligtümer für Silvanus, Iuppiter Dolichenus und Mithras
ausgegraben. Ihre Form reicht von einfachen Einraumbauten bis zu Ensembles mit
Antentempel, Versammlungssaal mit Liegepodien und mehreren Nebengebäuden in
einem Hof- oder Gartenareal wie im Fall eines Dolichenusheiligtums.
Für die Verehrung einheimisch-keltischer Gottheiten gibt es in Nordwestpannonien, gegensätzlich zum südwestlichen Teil der Provinz rund um Poetovio/Ptuj und dem Savetal, keine eindeutigen Nachweise. Im Weihegeschehen dominiert außerhalb der Städte vielmehr das Militär und die diesem nahestehende Bevölkerung der canabae legionis von Carnuntum, wodurch Staatsgottheiten und zur Loyalitätsbekundung gegenüber dem Kaiser geeignete allegorische Figuren in Inschriften und Darstellungen besonders stark vertreten sind.
Silvanusheiligtum im Fischteich des Tiergartens von
Schloss Traun während der Ausgrabung 1983: im Raum lagen und standen verschiedene
Weihaltäre sowie das einst über der Tür verbaute Giebeldreieck |
Dolichenusheiligtum, Grundriss: |
Allerdings dürfte für die Zivilstadt in Carnuntum das auch für den Kaiserkult
bedeutende Heiligtum des Iuppiter Optimus Maximus auf dem nahe gelegenen Pfaffenberg
eine wichtige Rolle gespielt haben. Dieses wurde ursprünglich von Legionären
und den Bewohnern der canabae legionis angelegt und von ihrer Kultorganisation,
der vier magistri montis vorstanden, geführt. Im späteren 2. und 3.
Jh. scheinen aber auch Decurionen des Munizipiums bzw. der Colonia Carnuntum
unter diesen „Meistern des Berges“ auf.
Auf dem nahezu ebenen Plateau des Berges, das seit Beginn der Achtzigerjahre
des vergangenen Jahrhunderts völlig der Steinbruchtätigkeit zum Opfer gefallen
ist, standen zumindest zwei Tempelgebäude, ein Kulttheater, zahlreiche Altäre
und Säulendenkmäler sowie insgesamt ein Dutzend thronende oder stehende Statuen
von Iuppiter oder einem Kaiser im „Iuppiterkostüm“. Besonders auffällig ist
ein Denkmal für Iuppiter, dessen Thron von vier Giganten gestützt wird. Es handelt
sich hier, falls der Thron auf einer Säule stand, um eine bisher unbekannte
Variante der im Rheinland verbreiteten Iuppitersäulen. Über diesen thront Iuppiter
entweder, wie auch in einem Beispiel auf dem Pfaffenberg, oder er reitet einen
Giganten nieder, niemals aber thront er über Giganten.
Pfaffenberg, Carnuntum: Säulendenkmal mit thronendem Iuppiter, Rekonstruktion |
Pfaffenberg, Carnuntum: |
Ein ursprünglich als Haupttempel bzw. Kapitol angesehenes Gebäude mit breiter Vorhalle und durch seitliche Podien gegliedertem Hauptraum mit zwei Nebenräumen, von denen einer als Küche genützt worden sein dürfte, wird von mehreren Forschern nun als Speisehaus einer Kultgemeinde orientalischer Götter angesprochen. Wahrscheinlich diente der Bau als Versammlungsgebäude der, wie eine Bauinschrift hadrianischer Zeit für eine „hundert Fuß lange Mauer“ zeigt, unter dem Schutz des Iuppiter Optimus Maximus Dolichenus stehenden iuventus von Carnuntum, einer paramilitärischen staatlichen Jugendorganisation. Dieser Bund könnte auch in dem mit Zuschauertribünen versehenen und mit einer ca. 2 m hohen Mauer eingefassten Theater Spiele und Aufführungen zu Ehren der Kaiser und zum Ruhme Roms veranstaltet haben.
Iuppiterheiligtum auf dem Pfaffenberg, Grundriss |
Iuppiterheiligtum auf dem Pfaffenberg, |
Unklar ist der Hintergrund eines zumindest ab dem späteren 2. Jh. begangenen
Festtages am Tag III ante idus Iunias, also dem 11. Juni (älteste erhaltene
Inschrift aus dem Jahr 178), an dem Iuppiter auf dem Pfaffenberg ebenso regelmäßig
Weihinschriften erhielt wie ein Iuppiter mit dem Beinamen Teutanus im Umland
von Aquincum/Budapest in der Provinz Pannonia inferior. Man hat diesen 11. Juni
zuerst als Tag des so genannten Blitzwunders des Jahres 172 in Anspruch zu nehmen
versucht, das sich während des Markomannen- und Quadenkrieges des Kaisers Marcus
Aurelius zugetragen und die römische Armee gerettet haben soll. Da diese These
aber auf unhaltbaren Ergänzungen einiger Inschriften beruhte, wurden in der
Folge andere Lösungen angeboten: der Gründungstag der beiden Städte Carnuntum
und Aquincum; der Geburtstag der ungeteilten Provinz Pannonien oder eben der
Tag ihrer Teilung im Jahr 106; der Tag der Weihung des Kapitols oder des Kaiseraltars
in der ursprünglichen Hauptstadt Pannoniens vor seiner Teilung, Savaria/Szombathely;
sogar an ein keltisch beeinflusstes Sonnwendfest hat man gedacht.
Jüngst wurde vorgeschlagen, im 11. Juni den offiziellen Gründungstag der beiden
Heiligtümer zu sehen, und vorsichtig argumentiert, dass diese Initiative auf
die Statthalterschaft des Aelius Caesar im Jahr 137 zurückgehen könnte. Aelius
Caesar, Adoptivsohn und designierter Thronfolger Hadrians, war seit der Teilung
Pannoniens in zwei Provinzen deren einziger gemeinsamer Statthalter. Gegen diese
These spricht allerdings, dass der älteste bekannte, wenn auch stark fragmentarisch
erhaltene Weihaltar vom Pfaffenberg von einem Angehörigen der legio XV Apollinaris
der Victoria errichtet worden ist und somit wohl bereits spätestens im Jahr
des Abzugs der Legion, 62 n.Chr., aufgestellt worden sein muss; der Tempelbezirk
scheint also nur wenig jünger als die Stationierung der ersten Legion in Carnuntum
um die Mitte des 1. Jh. zu sein, der 11. Juni als Festtag und die Verehrung
eines Iuppiter K(arnuntinus?) aber traten erst später zum Kultgeschehen dazu.
Dafür könnte einer der beiden Tempel, nach den geringen Resten seiner Bauinschrift
zu urteilen, von Aelius Caesar für den im Nil ertrunkenen jugendlichen Liebhaber
Hadrians, Antinoos, errichtet worden sein.
In den canabae legionis von Carnuntum liegen in unmittelbarer Nachbarschaft zueinander drei heilige Bezirke, einer für Liber und Libera mit einem kleinen, nach Osten offenen Podiumtempel (9,60 × 6,60 m) in einem mit zwei Hallen ausgestatteten Hof (21 × 24 m), ein bisher nur durch ein Fragment einer Tempelbauinschrift gesichertes Heiligtum für Isis und Serapis und eine ausgedehnte Anlage für die Göttertrias der Stadt Heliopolis-Baalbek.
Heiliger Bezirk mit Podiumtempel für Liber und Libera in den canabae legionis, Grundriss |
Mit einer eingefassten Fläche von 90 × 110 m war das Heiligtum des I(uppiter) O(ptimus) M(aximus) H(eliopolitanus) der größte bekannte Baukomplex in den Canabae. Im Osten eines zentralen Hofes befand sich der Tempel, der mindestens einmal mit verschobenem Standort neu errichtet werden musste. Der ältere Tempel A (9,50 × 4,80 m) könnte den Resten der Fassadenverkleidung nach als einfacher Rechteckbau mit Pilasterfront bereits in hadrianischer Zeit errichtet worden sein, der jüngere, um 200 n.Chr. errichtete Tempel B stand auf einem Podium und wies Cella und Vorhalle auf. In der Südostecke lag ein Thermenkomplex von ungefähr 400 m², der nach einer bereits 1872 bei Grabungen gefundenen Altarinschrift von einem Legionstribunen Cornelius Vitalis im 3. Jh. zu Ehren des Iuppiter Heliopolitanus errichtet wurde. Im Westen schlossen weitläufige Hallen an das Badegebäude an, hinter denen über einen gemeinsamen Vorraum zwei Kultsäle mit Liegepodien betreten werden konnten.
Heiligtum der Heliopolitanischen Götter in den canabae legionis,
vorläufiger Grabungsplan: 1) älterer und jüngerer Tempel, Porticen C und D, 2 und 3) Versammlungssäle, 4) Thermen, 5) Hof |
Der kleinere Saal (10 × 15 m) besaß eine Hypokaustheizung. Die Podien verliefen nur entlang der Längswände. An der dem Eingang gegenüberliegenden Seite befand sich ein Fundament für ein Kultbild. Bei dem größeren Saal (13 × 25 m) liefen die Podien an drei Seiten der Wand entlang, an der vierten wurde ein Fundamentblock für einen Altar oder ein Kultbild gefunden. Zwei in die vorgelagerten Hallen eingebaute kleine Räume dienten wohl als Küche oder Depoträume für das bei den gemeinsamen Kultmahlzeiten benötigte Gerät und Geschirr. Ein für Wohnzwecke geeigneter, vielleicht Priestern oder Pilgern dienender Trakt konnte bisher nicht fertig ausgegraben werden. Alle vier im Kultbezirk geborgenen Inschriften, zwei Altäre und zwei metallene Votivplättchen, beziehen sich nur auf Iuppiter Heliopolitanus. Venus Victrix und Mercurius sind hier nicht nachweisbar. Umso schwieriger ist es, die Funktion der beiden Kultsäle näher einzugrenzen und deren Publikum zu bestimmen.
Peter Scherrer
V. Gassner, Kulträume mit seitlichen Podien in Carnuntum. Überlegungen zum Tempel II im Iuppiterheiligtum auf dem Pfaffenberg, in: Vis Imaginum. Festschrift für Elisabeth Walde zum 65. Geburtstag (2005) 79–90.
V. Gassner – M. Kandler, Il culto di Iuppiter Heliopolitanus in Pannonia, in: M. Buora – W. Jobst (Hrsg.), Roma sul Danubio. Da Aquileia a Carnuntum lunga la via dell’ambra, Cataloghi e monografie archeologiche dei civici musei di Udine 6 (2002) 145–151.
M. Großmann, Untersuchungen zum Iuppiter- und Kaiserkult im municipium Vindobonense – ein Diskussionsbeitrag, Fundort Wien 7, 2004, 198–210.
W. Jobst, Der römische Tempelbezirk auf dem Pfaffenberg/Carnuntum. Ausgrabungen – Funde – Forschungen. – The Roman Temple District of Pfaffenberg/Carnuntum. Excavations – Findings – Research (2006).
M. Kandler, Liber und Libera in Carnuntum, in: Carinthia Romana und die Römische Welt. Festschrift für Gernot Piccottini zum 60. Geburtstag, hrsg. von F.W. Leitner, Aus Forschung und Kunst 34 (2001) 63–77.
M. Kandler, Carnuntum (mit Beiträgen von F. Humer und H. Zabehlicky), in, M. Šašel Kos — P. Scherrer (Hrsg.), The Autonomous Towns in Noricum and Pannonia – Die autonomen Städte in Noricum und Pannonien: Pannonia II, Situla 42 (2004) 11–66.
M. Kandler, Zur Deutung des Tempels II auf dem Pfaffenberg bei Carnuntum, in: Orbis Antiquus. Studia in honorem Ioannis Pionis (2004) 269–282.
M. Kandler, Zum Kult des Silvanus und der Silvanae in Carnuntum, in: F. Beutler – W. Hameter (Hrsg.), „Eine ganz normale Inschrift“ .... und ähnliches zum Geburtstag von Ekkehard Weber, Althistorisch-Epigraphische Studien 5 (2005) 377–388.
G. Kremer, Das Heiligtum des Jupiter Optimus Maximus auf dem Pfaffenberg/Carnuntum 1. Die Skulpturen, Der Römische Limes in Österreich 41, Sonderband 2 (2005).
I. Piso, Das Heiligtum des Jupiter Optimus Maximus auf dem Pfaffenberg/Carnuntum 1. Die Inschriften, Der Römische Limes in Österreich 41, Sonderband 1 (2003).