Unsere heutigen Kenntnisse über die in vorrömischer Zeit in Mitteleuropa verehrten Gottheiten fußen angesichts der fehlenden Schriftlichkeit der keltischen und germanischen Stämme in erster Linie auf der Überlieferung durch mediterrane Schriftsteller. Deren Berichte sind allerdings nur unter der Einschränkung zu betrachten, daß sie einerseits zum Teil die barbarischen Kultplätze und -praktiken gegenüber der eigenen Form der Götterverehrung als unzivilisiert überzeichnen und anderseits nicht immer zutreffend versuchen die fremden Götter mit Namen aus dem griechisch-römischen Pantheon zu beschreiben. Letztere Gepflogenheit läßt sich, zurückgehend auf eine Stelle bei Tacitus (Germania 43), als Interpretatio Romana bezeichnen. Unter der gleichen Begrifflichkeit summiert man heute in der Regel auch die in zahlreichen kaiserzeitlichen Weiheinschriften überlieferte Verknüpfung römischer und einheimischer Götternamen, parallel zu bildlichen Darstellungen der lokalen Gottheiten, die sich in Ermangelung einer eigenen keltischen und germanischen Kultbildtradition mediterraner Bildelemente bedienten. Da allerdings in diesem Fall die Adaption des griechisch-römischen Pantheons wohl hauptsächlich von den zunehmend romanisierten Kultgemeinschaften selbst ausgegangen sein dürfte, ist der Begriff der Interpretatio Romana, der eine römische Aufprägung impliziert, nur bedingt zutreffend. Hinter der Fassade der in den zahlreichen Doppelbenennungen vorangestellten römischen Namenskomponente lebte in der Regel die Lokalgottheit fort, deren traditionelle Aufgaben und Wirkungsbereiche die üblichen Eigenschaften der vereinnahmten mediterranen Gottheit offenbar deutlich verschieben konnten. Zu den häufiger belegten Göttern mit einer einheimischen Namenskomponente zählen im südlichen Niedergermanien Mercur, Apollo, Mars und der ursprüngliche Halbgott Hercules. Schon C. Iulius Caesar (De bello Gallico VI 17) berichtet, daß sich in Gallien vor allem Mercur, den man dort als Erfinder aller Künster, Führer auf Reisen und Garanten von Hand und Wohlstand ansah, einer besonderen Beliebtheit erfreute. Eine ebensolche Bevorzugung des Mercur erwähnt Tacitus (Germania 9) auch bei den Germanen.
Ganz in diesem Sinne zeigt etwa das erhaltene Giebelfeld eines steinernen Larariums aus Köln (Stadt Köln; Nordrhein-Westfalen) / D einen an zentraler Stelle im Stile Iupiters thronenden, bärtigen Mercur, flankiert von zwei Göttinnen mit Füllhorn und zwei Flußgöttern. Außer in seiner rein römischen Namensform ist der Gott im Betrachtungsraum etwa als Mercurius Arvernus, so z.B. in Köln, Krefeld-Lang (Stadt Krefeld; NRW) / D oder Langerwehe-Wenau (Kr. Düren; NRW) / D, als Mercurius Channinus in Blankenheim-Rohr (Kr. Euskirchen; NRW) / D, Mercurius Cissonius wiederum in Köln, Mercurius Gebrinius in Bonn (Stadt Bonn; NRW) / D, Mercurius Leud(...)anus in Eschweiler-Weisweiler (Kr. Aachen; NRW) / D und als Mercurius Susurrio in Aachen (Stadt Aachen; NRW) / D belegt. Ebenso deutet die gelegentlich in Inschriften vertretene Anrede als "Deus Mercurius", zumal wenn sie in Verbindung mit einheimischen Dedikantennamen auftritt, darauf hin, daß hier vermutlich nicht der rein römische Gott gemeint ist. Die Bedeutung des Mercur unterstreicht schließlich auch das Fragment der Bauschrift eines Tempels für Mercurius Augustus, den der Rat der Colonia Claudia Ara Agrippinensium (Köln) samt Portikus, Stufen und Ausstattungsschmuck zum Heil des Kaisers Titus (79-81 n.Chr.) errichten ließ.
Apollo, der im Bericht Caesars zur gallischen Götterverehrung als Heilgott unmittelbar hinter Mercur genannt wird, ist, außer mit seiner rein römischen Bezeichnung, im südlichen Niedergermanien auch mit den Beinamen Apollo Dysprus (belegt in Xanten; Kr. Wesel; NRW / D), Apollo Grannus (u.a. belegt in Bonn) und Apollo Livix (Bonn) vertreten. Allerdings kann als gesichert einheimischer Name hiervon nur der Beiname Grannus gelten, bei dem es sich um einen keltischen Quell- und Heilgott handelt. Wenngleich die inschriftlichen Belege für Apollo Grannus verhältnismäßig schütter sind, so scheint er beim Kurbad der niedergermanischen Legionen in Aachen (Stadt Aachen; NRW) / D doch ein nicht ganz unbedeutendes Kultzentrum besessen zu haben. Jedenfalls läßt die vom frühmittelalterlichen Stadtnamen "Aquis Grani" rückerschlossene antike Ortsbezeichnung "Aquae Ganni" eindeutig darauf schließen.
Daß der zwischen den sogenannten Büchelthermen und den Münsterthermen festgestellte Kultbezirk mit mindestens zwei gallo-römischen Umgangstempeln, architektonisch gefaßter Thermalquelle (sog. "Quirinusquelle") und großzügiger Portikus zum Heiligtum des Apollo Grannus gehörte ist zwar wahrscheinlich, auf Grund fehlender inschriftlicher Nachweise und der bislang nur lückenhaften Kenntnisse über das antike Aachen letztlich aber nicht mit letzter Sicherheit zu entscheiden.
Im Verhältnis zu seiner literarisch verbürgten Bedeutung für Kelten und Germanen nur sehr spärlich sind auch Belege für Gleichsetzungen einheimischer Götter mit Mars. Sieht man von beifügungslosen Nennungen und einigen gängigen lateinischen Beinamen wie Mars Militaris oder Mars Propugnator ab, fanden sich immerhin etwa Inschriften für einen Mars Camullus in Kleve-Rindern (Kr. Kleve; NRW) / D und Xanten, für einen Mars Cicollvis ebenfalls in Xanten sowie für Mars Lenus in Blankenheim-Ripsdorf (Kr. Euskirchen; NRW) / D. Letzterer Beleg ist dabei wohl schon als eine Ausstrahlung aus dem Siedlungsgebiet der Treverer zu werten, bei denen der Stammesgott Lenus Mars mit den Bauten auf dem Martberg bei Pommern (Kr. Cochem-Zell; Rheinland-Pfalz) / D in Obergermanien und dem in der Gallia Belgica gelegenen Bezirk im "Irminenwingert" in Trier (Stadt Trier; Rheinland-Pfalz) / D zwei Heiligtümer von überregionaler Bedeutung besaß.
Um einen überregional verehrten niedergermanischen Gott handelt es sich hingegen bei Magusanus, der inschriftlich und bildlich mit Hercules gleichgesetzt wurde. Ein Weihealtar aus Bonn zeigt ihn ganz im Sinne des klassischen Hercules sogar zusammen mit dem Höllenhund Cerberus. Inwieweit Hercules Magusanus, dessen Kultschwerpunkt wohl vor allem am Niederrhein, d.h. im nördlichen Niedergermanien lag, allerdings auch die Funktionen des mediterranen Hercules als Gott des Handels, Verkehrs und Erwerbs, aber auch des Beschützers von Haus, Hof und Eigentum inne hatte, ist nicht sicher zu beantworten. Herculesdarstellungen, die an die eben genannten Aufgabenbereiche denken lassen, finden sich immerhin beispielweise auf den Seitenwangen mehrerer der zahlreichen Weiheältere für Nehalennia, einer besonders im Küstengebiet, aber nachweislich ebenso von Kölner Kaufleuten verehrten einheimischen Göttin der Schiffer.
Auch sein Vorkommen auf den Sockelsteinen von Iupitersäulen, einer Gattung von Monumenten, die sehr häufig auf Privatbesitz errichtet wurde, paßt gut zu den erwähnten Schutzfunktionen. Zumindest zeitweise erlangte neben Hercules Magusanus wohl auch Hercules Deusoniensis in Niedergermanien eine gewisse überregionale Bedeutung. Der nach einem Ort Deuso/Deusone benannte Hercules ist in Weiheinschriften zwar bislang nicht sicher zu fassen, dafür aber auf Münzen des Postumus (260-269 n.Chr.), des ersten Kaisers des sogenannten "Gallischen Sonderreiches", überproportional oft vertreten.
Im "Chronicon" des Hieronymus wird der Ort Deuso "in regione Francorum" erwähnt, was angesicht der Zeitstellung der vom Autor beschriebenen Ereignisse sowohl das linksrheinische Niedergermanien als auch sein rechtsrheinisches Vorfeld meinen könnte. Es wäre somit auch denkbar, daß mit Hercules Deusoniensis nicht dem Lokalgott eines provinzialrömischen Siedlung gehuldigt wurde, sondern einer Gottheit, die umgesiedelte Germanen aus ihrer rechtrheinischen Heimat in die Provinz Niedergermanien mitgebracht hatten. Als Hauptkultstätte wäre somit auch ein außerhalb jedes Ortes gelegener Tempelbezirk vorstellbar. In diesem Sinne haben, außer dem spärlichen Fragment einer Weiheinschrift, sowohl die Monumentalisierung und der Zeitraum der Blütezeit als auch die anschließende, tiefgreifende Tilgung eines Heiligtums in Krefeld-Elfrath (Stadt Krefeld; NRW) / D schon dazu geführt dort einen zumindest wichtigen, wenn nicht gar den primären Kultplatz des von Postumus so hofierten Hercules Deusoniensis zu vermuten.
Neben den zumindest dem Namen nach "romanisierten" Gottheiten sind, wie etwa mit der Erwähnung der Nehalennia schon angeklungen, aus der Provinz Germania inferior auch einige Götter bekannt, die sich ihre rein keltische oder germanische Benennung noch in der Kaiserzeit bewahrt haben. Allerdings sind selbst dabei gewisse Lautverschiebungen nicht auszuschließen, da die Namen bei ihrer schriftlichen Umsetzung dem lateinischen Laut- und Deklinationssystem unterworfen wurden. Auch bleiben die genauen Wirkungsbereiche der Gottheiten oft im Dunklen. Als ein Beispiel sei etwa die auf dem Weihealtar eines Präfekten der Prätorianergarde in Köln, aber auch durch Inschriften aus Kalkar (Kr. Kleve; NRW / D) und Kleve-Rindern belegte Vagdavercustis genannt, bei der es sich möglicherweise um eine im Sinne militärischer Tugenden mit Virtus zu vergleichende Kriegsgöttin handelte.
Während die u.a. in Bad-Münstereifel-Iversheim (Kr. Euskirchen; NRW) / D und Xanten vorkommende Hludana wohl eine Fruchtbarkeitsgöttin darstellt, weiß man über die als Ahuecannae im Umfeld von Hürth-Gleuel (Kr. Bergheim; NRW) / D verehrten Göttinnen Aveha und Hellevesa praktisch nichts. Gleiches gilt etwa für den inschriftlich belegten keltischen oder germanischen Lokalgott Requalivahanus in Kerpen-Blatzheim (Rhein-Erft-Kr.; NRW) / D oder den vermutlich keltischen Bacurdus in Köln. Von anderen, wie der unter den Inschriften im Lößbörden- und Eifelgebiet des südlichen Niedergermanien häufiger vertretenen Dea Sunuxal ist hingegen zumindest bekannt, daß sie die Stammesgöttin der zwischen den Ubiern und Tungerern siedelnden Sunucer war. Im Ort Varnenum, dem heutigen Aachen-Kornelimünster (Stadt Aachen, NRW) / D, wurde die potentielle Muttergottheit in einem größeren Kultbezirk zusammen mit dem Lokalgott Varneno verehrt. Orts- und Landschaftsbezeichnungen sind häufiger in Götterbeinamen enthalten. Neben beispielsweise der Dea Ardbinna, die in einer Inschrift aus Hürtengenwald-Gey (Kr. Düren; NRW) / D genannt wird und wohl mit Arduinna, der Göttin der Ardennen und Eifel identisch ist, sind hier vor allem Matronennamen anzuführen. Bei den in Niedergermanien im Vergleich mit anderen Provinzen besonders stark verbreiteten Matronen handelt es sich um Muttergottheiten.
Bislang sind wenigstens 70 verschiedene Beinamen belegt. Unter diesen bezieht sich etwa der der Matronae Iulineihiae auf die Siedlung Iuliacum - Jülich (Kr. Düren; NRW) / D oder der der Matronae Nersihenae auf den Fluß Niers. Andere wiederum lassen eindeutig Stammesbezüge erkennen, wie etwa die Matronae Canninefates oder Matronae Marsacae zu Stämmen im Rhein-Maas-Mündungsgebiet. Mehrere Namen, hinter denen man ursprünglich wiederum Verbindungen zu nicht mehr näher lokalisierbaren Orten vermutetet, scheinen sich ebenfalls auf Personengruppen zu beziehen. Diese als Curiae zu titulierenden Gruppen lassen sich möglicherweise am ehesten als Männerbünde auf der Basis von Großfamilien, Sippen oder Clans einstufen. Als ungefährer Anhaltspunkt für ihren möglichen Umfang mögen etwa die in sekundärer Nutzung als Schotter einer Furt gefundenen Bruchstücke von 250 bis 300 Weiheältären dienen, die die Curia Austriatinna, d.h. die Sippe der Austriates, den Matronae Austriahenae in einem Heiligtum bei Morken-Harf (Rhein-Erft-Kr.; NRW) / D über einen Zeitraum von etwa 150 bis 200 Jahren stiftete. Als weitere Beispiele sind u.a. die von den Curiae der Gesationes und Etrates in Titz-Rödingen und Titz-Höllen-Bettenhoven (Kr. Düren; NRW) / D verehrten Matronae Gesahenae bzw. Matronae Etrahenae zu nennen. Gegenüber solchen offensichtlichen Gruppenbindungen sind in manchen Matronennamen allerdings auch nur nähere Charakterisierungen enthalten. So bedeutet z.B. der in Köln nachgewiesene, vermutlich germanische Beiname der Matronae Axsinginehae wahrscheinlich "Fruchtbarkeit spendend", der der weit verbreiteten Matronae Aufaniae kennzeichnet sie auf Germanisch als "freigiebige Ahnmütter" und Audrinehae als "freundliche Schicksalsmächte". Hingegen verweist die in Eschweiler-Lohn-Fronhoven (Kr. Aachen; NRW) / D; Inden-Altdorf (Kr. Düren; NRW) / D und Dormagen (Rhein-Kr. Neuss; NRW) / D vorkommende, ebenfalls germanische Benennung der Matronae Alaferhviae auf einen Baum. Hierin mag noch eine Anspielung auf die Ursprünge der niedergermanischen Matronenverehrung zu finden sein, die wahrscheinlich auf einen Baumkult zurückzuführen ist.
Darauf lassen auch die Weiheältere schließen, auf deren Schmal- und Rückseiten häufig Bäume, teils mit erdverbundenen Fruchtbarkeitssymbolen wie Schlange und Vogelnest, teils mit Girlanden geschmückt oder aus einer Gebäude-/Tempelarchitektur herauswachsend, wiedergegeben sind. Entsprechend spät, wohl erst in der 2. Hälfte des 2. Jh. n.Chr., scheinen dann auch die ersten Matronendarstellungen in menschlicher Gestalt aufgekommen zu sein, während die frühesten Weiheinschriften bereits aus der 2. Hälfte des 1. Jh. n.Chr. stammen. Zu den am stärksten verbreiteten Matronenbildern gehört die vor allem im südlichen Niedergermanien häufig belegte Darstellung dreier nebeneinander sitzender Frauen.
Die mittlere, ein barhäuptiges junges Mädchen wird von zwei älteren Frauen flankiert die eine für das Ubiergebiet offenbar typischen Haubentracht tragen. Als Fruchtbarkeitsattribute halten sie Ährenbündel, Blüten und Früchte-/Fruchtkörbe auf dem Schoß. Säuglinge bzw. Wickelkinder oder kleine Hunde, wie sie bei manchen anderen Matresdarstellungen zu beobachten sind, sind bei den niedergermanischen Matronen hingegen nicht verbreitet. Unter den auf manchen Weihesteinen kenntlichen Opfergaben scheint Obst zu dominieren, womit wiederum eine Verbindung zum Baum, als dem ursprünglichen Kultmittelpunkt, geknüpft sein könnte. Die häufige Trinität der Matronen und ihre Darstellungsform geht möglicherweise auf ein spezielles Kultbild im Tempel der Matronae Aufaniae in Bonn zurück, der nach Ausweis seiner erhaltenen Bauinschrift um 160 n.Chr. errichtet wurde. Die Dreizahl symbolisiert dabei eventuell sowohl verschiedene Lebensalter als auch die Vielzahl der Aufgabenbereiche und die Allmacht der Muttergottheiten.
Abgesehen von den Matronen und der Capitolinischen Trias sind, anders als etwa in den Provinzen Germania superior oder Gallia Belgica, wo manchen Göttern eine Kultgefährtin zur Seite gestellt ist, feste Kultpaarungen verschiedener Götter im südlichen Niedergermanien bislang selten. Selbst die Kombination von Iupiter Optimus Maximus und seiner Gemahlin Iuno Regina in einer gemeinsamen Sitzgruppe, wie sie als Bekrönung von Iupitersäulen in Obergermanien häufiger belegt ist, bleibt in der Germania inferior auf Einzelerscheinungen beschränkt. Diese tendenzielle "Separierung" der Gottheiten schließt natürlich die Möglichkeit einer Verehrung mehrerer Götter innerhalb desselben Heiligtums, entsprechend dem gängigen antiken Religionsverständnis, nicht aus. Auch sind, beispielsweise in Form eines gelegentlich auf Matronensteinen zu beobachtenden Caduceus, gewisse Verbindungen der Muttergottheiten vor allem zu Mercur, für den auch zahlreiche Weihungen aus Matronenheiligtümern bekannt sind, nicht abzusprechen. Wenngleich diese Verknüpfung immerhin fester gewesen sein mag, als etwa zu Herkules und Venus, die z.B. auf den Seiten eines Altars der Aufanischen Matronen aus Nettersheim (Kr. Euskirchen; NRW) / D vertreten sind, so ist auch sie wohl nicht mit der Stellung der Kultgefährten in den genannten Nachbarprovinzen vergleichbar.
Sicherlich nicht im Sinne fester Kultkombinationen sind ebenso die Götterreliefs aufzufassen, die maximal alle Schauseiten der sogenannten "Viergöttersteine" schmücken. Bei diesen hochrechteckigen Steinen handelt es sich in der Regel um den Sockel einer Gattung von Weihedenkmälern, die sich, wenngleich über das gesamte nordöstliche Gallien verbreitet, vor allem in der nördlichen Germania superior, der Gallia Belgica und im Südteil der Provinz Germania inferior größter Beliebtheit erfreute. Gemeint sind die sogenannten Iupitersäulen.
Die stets dem Iupiter Optimus Maximus geweihten Monumente erweisen sich in ihrem Aufbau als recht einheitlich. Über dem Fundamentbereich erhebt sich meist der schon angesprochene Sockelstein, der mitunter eine Weiheinschrift trägt. Er kann sowohl unverziert als auch drei- oder vierseitig reliefiert sein kann. Unter den niedergermanischen Iupitersäulen sind diese drei Varianten gleichermaßen vertreten. Seltener sind Sockel mit nur einem Relief und von zylindrischer oder achteckiger Form. Das Mißverhältnis zwischen gefundenen Sockelsteinen und sonstigen Teilen des Monuments läßt zudem darauf schließen, daß eine ganze Reihe der Säulen im Betrachtungsgebiet eventuell auch gar keinen Sockel besaß.
Bei den erhaltenen Sockelreliefs handelt es sich überwiegend um stehende, seltener sitzende Götterdarstellungen. Die Wiedergabe von zwei Personen in einem Bildfeld, wie beispielsweise Iupiter mit Ganymed auf einem Fundstück aus Jülich (Kr. Düren; NRW) / D, bildet Ausnahmen. Auffällig ist die fast durchgehende Verwendung von Hercules auf einer der vier Seiten, während die Wahl der übrigen Götter stärker variiert. Entsprechend der Häufigkeit ihres Auftretens sind hier nacheinander Minerva, Apollo sowie Iuno und gleichermaßen Vulcanus zu nennen. Andere Gottheiten sind seltener oder fehlen auf den Sockeln ganz, wie z.B. Diana, Luna und Victoria. Sie sind hingegen mitunter auf den Schäften der sich über dem Sockel erhebenden Säulen oder rechteckigen Pfeiler dargestellt. Ein vieleckiger, reliefierter Zwischensockel, wie er in Obergermanien und der Gallia Belgica oft belegt ist und dort in Anspielung auf sein häufiges Dekormotiv mitunter als "Wochengötterstein" bezeichnet wird, fehlt in Niedergermanien fast völlig. Die mit ihrer Plinte somit unmittelbar auf dem Sockelstein oder sogar nur auf einen Unterbau aufsitzende Säule war in der Regel aus mehreren Teilen zusammengesetzt und besaß meist ein schuppenartiges Oberflächenrelief. Neben ansonsten undekorierten Stücken, die das Gros des bekannten Materials ausmachen, zeigen mehrere Säulen auch noch einen darüber hinausgehenden Reliefschmuck.
Dabei handelt es sich überwiegend um drei nur schauseitig übereinander angeordnete Gotterreliefs. Allseitige figürliche Reliefverzierungen bilden an den Säulen hingegen Ausnahmeerscheinungen. Zu solchem Zweck griff man offenbar lieber auf die parallel zu den Iupitersäulen in der Germania inferior ebenfalls bisweilen vertretene Monumentform eines vierseitig reliefierten Iupiterpfeilers zurück. Die schauseitigen Götterfiguren der Säulen wurden von herausgearbeiteten Konsolen unterfangen und sind mitunter durch eine Konche umschlossen. Zwar ist die Reihenfolge der dargestellten Figuren nicht unumstößlich, doch ist an oberster Stelle zumeist Iuno zu finden, oft gefolgt von Minerva in mittlerer Höhe. Am variabelsten ist die untere der drei Positionen, auf der u.a. Mercur, Mars, Hercules, Fortuna, Victoria etc. nachgewiesen sind. Eine ähnliche Götterhierarchie läßt sich in der Regel auch an Säulen mit umlaufendem Figuralrelief und Reliefpfeilern fassen. Iuno, als seine Gemahlin, wird so in deutliche Nähe zu Iupiter gerückt, dessen Skulptur das gesamte Monument nach oben abschließt. Als Basis dieser Krönungsfigur dient das Kapitell der Säule, bei dem es sich in Niedergermanien um korinthische Normalkapitelle oder um Kompositkapitelle handelt. Figuralkapitelle sind offenbar bislang nicht nachzuweisen.
Auch in der Wahl der Iupiterskulpturen setzt sich Niedergermanien deutlich gegenüber der Gallia Belgica und Obergermanien ab. So zeigt die Masse der Krönungsfiguren hier einen thronenden Iupiter, der das Blitzbündel in der auf dem Oberschenkel ruhenden rechten Hand hält, während die erhoben linke das ursprünglich als Metallteil eingesetzte Zepter umklammerte. Der Gott erscheint als Mann fortgeschrittenen Alters, dessen nackter Körper durch einen in unterschiedlicher Weise drapierten Mantel teilweise verhüllt ist. Auch die Gestaltung des Thrones, dessen Rückseite noch mit weiteren Reliefsdarstellungen, wie etwa der Weltkugel zwischen gekreuzten Füllhörner, dem Adler oder in einem Fall auch Hercules geschmückt sein kann, variiert im Detail. Die Mehrheit dieser verschiedenen Varianten des thronenden Iupiter läßt sich trotz allem wohl auf das Kultbild des Iupiter Capitolinus in Rom zurückführen, das hier allerdings nur mittelbar als Vorlage gedient haben dürfte. Als direkte Inspirationsquelle scheinen seine unterschiedlichen Umsetzungen in den Capitolia der römischen Coloniestädte wesentlich wahrscheinlicher. Trotz weiterer künstlerischer Freiheiten, bleiben die Krönungsfiguren der niedergermanischen Iupitersäulen somit zutiefst römisch inspiriert. Abgesehen von den allgemein selteneren und in Niedergermanien bislang zu vernachlässigenden Belegen eines stehenden, schreitenden oder neben Iuno thronenden Iupiters, ist demgegenüber das relativ geringe Vorkommen des in Obergermanien und der Gallia Belgica so beliebten Motivs des sogenannten "Jupiter-Giganten-Reiters" auffällig. In ihrer Entstehung geht diese Krönungsfigurengruppe, die den gepanzerten Gott beim Niederreiten eines Giganten darstellt, vermutlich auf lokale provinziale Vorstellungen in Anlehnung an das Reiter-Siegermotiv auf Soldatengrabsteinen und Münzen des fortgeschrittenen 1. Jh. n.Chr. zurück. Doch nicht nur dieses Bild ist bei den Säulenfiguren des südlichen Niedergermanien seltener zu finden sondern auch Attribute wie das Rad, als keltisches Symbol der Sonne und des Himmelsgottes Taranis, oder Figuralkapitelle mit den Allegorien der Jahreszeiten oder Planetengötter, sind, wenngleich durchaus bekannt, unter den Monumenten des Betrachtungsgebiets nicht verbreitet.
Im Gegensatz zu Iupitersäulen in Obergermanien und der Gallia Belgica fehlt damit offensichtlich der starke keltische Einschlag, der Iupiter Optimus Maximus über seine mediterrane Beschränkung hinaus kosmisch-universale Züge verleiht. Trotz mancher Unterschiede, die sich letztlich auch noch im Fehlen eines in anderen Gebieten dem Hauptmonument meist zugehörigen, separaten Weihealtars manifestieren, dürfen wohl auch die niedergermanischen Iupitersäulen dennoch bis zu einem gewissen Grad als Universalkultbilder aufgefaßt werden, die die für die lokale Bevölkerung maßgeblichen Götter in sich vereinten.
Unter Vernachlässigung der im Verlauf der Kaiserzeit schließlich noch an Boden gewinnenden orientalischen Kulte, stellen sich die religiösen Verhältnisse des südlichen Niedergermanien zusammenfassend als eine Mischung keltisch-gallischer und germanischer Vorstellungen dar, die zu einer Betonung ganz eigener Kultschwerpunkte führte. Die römische Götterwelt wurde zwar bis zu einem gewissen Grade adaptiert, blieb teilweise offenbar jedoch, wie u.a. manche künstlerische Ausdrucksform erkennen läßt, wesentlich mehr den mediterranen Vorstellungen verhaftet, als etwa in Obergermanien oder vielen anderen Teilen Galliens.
Christian Miks
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