Das Bild einheimischer Gottheiten in Noricum

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In zahlreichen Weihinschriften begegnen in Noricum einheimisch keltische Gottheiten, wie etwa die gallischen Hauptgötter Teutates, Smertrios und Esus sowie der Heilgott Grannus. Nur aus dieser Provinz bekannt sind beispielsweise die Göttinnen Vibes und der mit Mars verschmolzene Latobius. Von seiner marmornen Kultstatue aus dem Umgangstempel am Burgstall im Lavanttal (Kärnten) sind einige Fragmente erhalten, durch die das Bild eines Kriegers mit Schild und dem pedum, dem Wurfholz der Hirten, als Angriffswaffe nur ungefähr rekonstruiert werden kann. Leider sind im Gegensatz zu den zahlreichen Inschriften weitere bildliche Zeugnisse für diese regionalen Gottheiten aus Noricum nicht erhalten geblieben.

 

Lokale Wetter- und Himmelsgottheiten

Lokale Blitz- und Wetter- bzw. allgemein Himmelsgottheiten, die unter römischer Herrschaft mit Iuppiter Optimus Maximus geglichen wurden, sind beispielsweise Arubianus im Salzburger Raum, Uxlemitanus bzw. Uxellimus und Culminalis in der Steiermark und Slowenien sowie Vocretanus, für den drei Altäre auf dem Berg Landskron bei Villach, der antiken Siedlung Santicum, gefunden wurden.


Einer dieser Steine zeigt auf der Vorderseite des Altaraufsatzes, direkt über dem am Schaft eingemeißelten Gottesnamen ein Blitzbündel, charakterisiert Vocretanus also als Himmels- und Wettergott analog zu Iuppiter. Ein leider nur in seiner unteren Hälfte erhalten gebliebenes Seitenrelief eines anderen Weihesteins zeigt einen mit Stiefeletten und einem knielangen, gegürteten Kittel (tunica) bekleideten Gott in zum Betrachter frontal gerichteter Haltung. Die gesenkte Rechte hält einen schräg nach oben von der Gestalt wegführenden Stiel oder Stab, dessen oberes Ende wie auch der Kopf der Gottheit, deren Schulterpartie und der erhoben gewesene linke Arm fehlt. Der erhobene linke Arm könnte am ehesten eine Wurf- oder Schleuderbewegung vollführt haben, wobei hier in erster Linie an den Blitz zu denken wäre, der ja auch auf einem der anderen Altäre dargestellt ist.


Stiefeletten und langer Stab sowie die Affinität zum Blitzbündel verbinden den Vocretanus von der Landskron mit der Darstellung eines Iuppiter genannten Gottes vom Ziehberg in Ansfelden bei Linz.


Das Hauptfeld dieses Weihaltars trägt die stark abgewitterte Inschrift: Iovi o(ptimo) m(aximo) / Ti(berius) Claudius / Soni fil(ius) / Provincialis / v(otum) s(olvit) l(ibens) m(erito), d.h.: Dem größten und besten Iuppiter! Tiberius Claudius, Sohn des Sonius, (mit Beinamen) Provincialis, hat sein Gelübde gern und nach Verdienst (des Gottes) erfüllt.

Demnach hat ein von Kaiser Claudius um 50 n. Chr. mit dem römischen Bürgerrecht beschenkter Einheimischer, mit Sicherheit ein führendes Mitglied der lokalen Gesellschaft, wenn nicht überhaupt der örtliche �Fürst�, ein in typisch römischer Weise ausgeführtes Gelübde an den obersten Reichsgott vollzogen und � ebenfalls echt römisch � auf einem steinernen Weihaltar festgeschrieben und somit öffentlich dokumentiert. Dies ist ein Vorgang, den wir an sich häufig beobachten können und der das Bestreben der lokalen Oberschichten zeigt, sich wie Römer von echtem Schrot und Korn zu benehmen. Das wirklich spannende ist aber, dass dieser Provincialis beiderseits der Inschrift in den Seitenfeldern Reliefs einmeißeln ließ. Das rechte zeigt das Blitzbündel, das römische Symbol des Iuppiter, das linke in exakt gleicher Größe einen bis auf Stiefeletten nackten Wandersmann mit Stab in der Linken und einem an einem Stiel befestigten, rechtsseitig geschulterten Rad. Diese Gegenüberstellung zeigt als demonstrativen und auf den Lerneffekt zielenden Akt den Bewohnern der Gegend, dass ihr mit dem Radsymbol ausgestatteter Himmelsgott nunmehr Iuppiter Optimus Maximus heißt und ab sofort durch das Blitzbündel symbolisiert bzw. charakterisiert wird.

Ähnliche Darstellungen eines stehenden oder schreitenden, meist ganz nackten oder mit Stiefeletten versehenen Gottes mit Rad und Szepter oder Blitzbündel gibt es aus den gallischen und germanischen Provinzen. Meist wird für die Benennung dieser Gestalt der im Bürgerkriegsepos �Pharsalia� des Dichters Lucanus überlieferte Name des keltischen Himmelsgottes Taranis vorgeschlagen; sein Rad soll das Donnergrollen symbolisieren. Da keine der Figuren aber antik benannt ist, ist darüber keine Sicherheit zu gewinnen.

Man kann aber auch einen anderen Ansatz mit vielleicht größerer Wahrscheinlichkeit verfolgen, nämlich dass der nackte Gott auf dem Ansfeldner Altar das Sonnenrad trägt. Dann symbolisiert das Relief möglicherweise den Lauf der Sonne auf dem nackten (= heiteren, unbewölkten) Himmel. Im Gegensatz dazu könnte der breitbeinig stehende, vielleicht Blitze schleudernde Vocretanus mit gegürteter Tunica und dem auf den Boden abgestellten Rad (?)-Stab den Stillstand der Sonne in der finsteren (bekleideten) Nacht oder das Verfinstern des Himmels und Verbergen der Sonne während eines Gewitters darstellen, ähnlich wie eine � allerdings nackte � Bronzestatuette aus Châtelet in Zentralfrankreich, die ebenfalls das Rad abgestellt hat, während sie den Blitz schleudert.

Der Ziehberg bei Ansfelden und die Landskron bei Villach haben möglicherweise Höhenheiligtümer für den keltischen Himmels- und Wettergott getragen, der nach der römischen Okkupation von Noricum mit dem Reichsgott Iuppiter Optimus Maximus geglichen wurde. Die zufällig erhaltenen Reliefs, bieten uns trotz ihres isolierten Fundzustandes interessante und anregende Streiflichter auf eine fast im Dunkel der Geschichte versunkene Gottesgestalt, die zumindest im Villacher Raum Vocretanus, in Gallien aber vielleicht Taranis genannt wurde. Jedenfalls handelt es sich um jenen Gott, von dem das antike Scholion zu Lucan schreibt: praesidem bellorum et caelestium deorum maximum, "Herr des Krieges und der himmlischen Götter Größter".

 

Die sog. Isis Noreia-Statue aus dem Bäderbezirk von Virunum

In einem wegen einer eingebauten Privattherme als Bäderbezirk bekannt gewordenen Häuserblock direkt beim Forum von Virunum wurde ein dort wahrscheinlich erst in sekundärer spätantiker Verwendung aufgestelltes Ensemble von zwölf knapp lebensgroßen Marmorstatuen ausgegraben. Es handelt sich meist um griechische Göttertypen, nämlich Ares (Mars), Hermes (Mercurius), Dionysos (Liber Pater), Apollon, die Dioskuren, einen Hermaphroditen, einen Satyr, Aphrodite (Venus), eine Amazone, eine Brunnennymphe und die so genannte Isis Noreia. Die Skulpturen wurden um die Mitte des 2. Jh.s, wahrscheinlich von einem aus dem Süden zugewanderten Bildhauer, dem so genannten �Meister von Virunum� oder einem seiner einheimischen Schüler gearbeitet.

Der Typus der dargestellten Göttin ist abhängig von der Artemis von Dresden, der � im 4. Jh. v.Chr. entstanden � "in der Folgezeit mit verhältnismäßig kleinen Abänderungen und Zusätzen zu Darstellungen der Tyche-Fortuna und dann auch der Isis verwendet worden" (C. Praschniker) war.

Die auf strenge Vorderansicht gearbeitete Statue vermittelt den Eindruck feierlich-ruhigen Stehens. Ihre Kleidung besteht aus einem Untergewand, einem fransenbehangenen Peplos mit rechtsseitigem Schulterüberschlag, dem über beide Schultern gelegten Mantel und Schuhen. Das stark bestoßene Haupt ist unbedeckt, über der Brust liegt ein schweres Metallgehänge, wie wir es als Schmuck vornehmer norischer Frauen kennen und das außerdem einen M-förmigen, mehrfach als Schlangensymbol gedeuteten Anhänger aus Metalldraht besitzt. Einheimische Elemente der Kleidung sind auch die Fransen des Peplos und der breite, beschlagene Gürtel. Die linke Hand hält ein an die Schulter gelehntes Füllhorn, die verlorene Rechte stützte sich wahrscheinlich auf ein Steuerruder.

Die Statue wurde gleich nach ihrer Ausgrabung 1906 als Darstellung der Isis Noreia bezeichnet, C. Praschniker übernahm diese Deutung zunächst vorsichtig, in der neueren Literatur gilt die Zuweisung oft als sicher, wobei H. Kenner etwa schreibt: "Deren (sc. Noreias) einzige, nicht anzweifelbare Monumentaldarstellung, die Statue aus dem Bäderbezirk Virunum, zeigt sie als milde, mütterliche Gottheit mit dem früchtegefüllten Horn der Isis-Fortuna-Tyche, mit dem Schlänglein der Isis vorn an der Brust, sonst jedoch in der Tracht einer einheimisch-keltischen Dame."

Anders beurteilte aber schon H. v. Petrikovits den Habitus der Statue: "Inwieweit diese Deutungen zutreffen, ist nicht sicher zu entscheiden, da manches an der Tracht, wie Fransen, Apoptygma (Anm.: = aus dem Gürtel herausgezogener Teil des Chitons), Schleier (?) eher an eine einfache Isis-Fortuna-Darstellung erinnert. Nur der gerade herabfallende Gürtel ist norisch gebildet. Er kann aber auch die von einem Künstler mißverstandene Falte unter dem �Isisknoten� sein." Andererseits fehlen der Virunenser Göttin einfach die für Isis kennzeichnenden Attribute wie die Palla (Schulterumhang) mit dem Isisknoten, Sistrum (Klapper), Krug und Uräussschlange. Die Statue ist vielmehr mit der üblichen Darstellung der Fortuna bzw. Isis-Fortuna mit den Attributen Füllhorn und Steuerruder zu vergleichen. Am wahrscheinlichsten kann die Virunenser Statue daher mit dem Typus der Tyche-Fortuna zugeordnet und wegen der wohl bewusst beigemengten einheimischen Trachtelemente als Darstellung der Stadtgöttin von Virunum, also der auch inschriftlich bezeugten Fortuna Virunensium, angesehen werden.

Gegen diese Benennung der Statue aus dem Bäderbezirk als Fortuna sprach sich zwar bereits C. Praschniker aus, da Fortunadarstellungen seiner Meinung nach normaler Weise keine einheimischen Züge aufwiesen, allerdings sind die Tychen von Antiochia und Alexandria ebenfalls individuell erkennbar dargestellt worden. Warum hätte man also der Stadtgöttin von Virunum nicht Elemente der in Südnoricum so beliebten und typischen einheimischen Frauentracht beigeben sollen? Wie auch immer, eine Benennung der Statue als Isis, Isis Noreia oder Noreia bleibt höchst unsicher, sie kann daher für eine grundlegende Interpretation der Göttin, deren Hauptheiligtum sich im nahe gelegenen Hohenstein befand, nicht herangezogen werden.

Peter Scherrer

Literatur:

L. Eckhart, Die Skulpturen des Stadtgebietes von Ovilava, CSIR Österreich III 3 (1981).

H. Kenner, Die Götterwelt der Austria Romana, ANRW II 18.2 (1989) 875�974 und 1652�1655.

H. v. Petrikovits, in: W. Pauli � G. Wissowa (Hrsg.), Real-Encyclopaedie der classischen Alterthumswissenschaft XVII 1 (1936) 963�967, s.v. Noreia 1.

G. Piccottini, Die Rundskulpturen des Stadtgebietes von Virunum, CSIR Östereich II 1 (1968).

C. Praschniker, Noreia Isis, Carinthia I 131, 1941, 262�283.

C. Praschniker, Der Bäderbezirk von Virunum (1947).

M. �a�el-Kos, Pre-Roman Divinities of the Eastern Alps and Adriatic, Situla 38 (1999).

P. Scherrer, Taranis im Donauraum? � Überlegungen zu lokalen Gottheiten in Noricum und Pannonien, in: Festschrift Gerhard Winkler zum 70. Geburtstag, Jahrbuch Oberösterreichischer Musealverein 149, 2004 (Linz 2005) 91�108.

P. Scherrer, Noreia � Prähistorisch-gallorömische Muttergottheit oder Provinzpersonifikation, in: Akten des Symposiums F.E.R.C.AN 2004 in Graz, Mitteilungen der Prähistorischen Kommission der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (2007, in Druck).