Die Eroberung des nordwestlichen Balkanraumes, damals Illyricum genannt, durch
Rom setzte unter Octavianus, dem späteren Kaiser Augustus im Jahr 35 v.Chr.
ein. Ab 16/15 v.Chr. führte ein Zangenangriff zweier Heeresgruppen unter den
Stiefsöhnen des Augustus, Tiberius und Drusus zur Einnahme der Provinzen Raetia
et Vindelicia, Noricum und des ab 20 n.Chr. als Pannonia bezeichneten Gebietes.
Anfangs war Pannonien Teil der Provinz Illyricum, wahrscheinlich unter Kaiser
Claudius (41–54), spätestens jedoch unter seinem Nachfolger Nero (54–68) wurde
Illyricum geteilt und Pannonien eine eigene Provinz. Gemeinsam mit Noricum verblieb
es aber beim illyrischen Zollbezirk, wodurch die Grenze zwischen beiden Provinzen,
die sich anderswo am besten durch die Zollstationen erfassen läßt, kaum nachvollziehbar
ist. Von der Mitte des 1. Jh.s v.Chr. bis Claudius gehörte das später nordwestpannonische
Gebiet vom Wienerwald südwärts bis zur Buckligen Welt am Ausläufer der Ostalpen
und nach Osten bis mindestens zum Neusiedler See, eher sogar bis zum Balaton
zum Einflussbereich des regnum Noricum bzw. der diesem nachfolgenden römischen
Provinz. Im Jahre 6 n.Chr. überwinterte Tiberius in Vorbereitung eines Eroberungskrieges
der Markomannengebiete im heutigen Böhmen „in Carnuntum, einem Ort in Noricum“,
wie einer der ihm untergeordneten Senatoren und Offiziere, Velleius Paterculus,
in seinem Kriegsbericht schreibt. Der für die Römer überraschend ausbrechende
Aufstand pannonischer Stämme unter ihrem Führer Bato verhinderte nicht nur diese
Offensivpläne, sondern bedrohte sogar die Existenz Roms insgesamt. Nach dreijährigem
blutigen Krieg wurde der Aufstand niedergeschlagen und die pannonischen Stämme
schwer bestraft, dezimiert und teilweise umgesiedelt bzw. die kampffähige Jungmannschaft
in römische Hilfstruppenverbände gesteckt und in entfernten Provinzen zum Dienst
eingeteilt. Erst um die Mitte des 1. Jh.s wurde mit Savaria in Pannonien eine
erste, von Legionsveteranen bewohnte Stadt gegründet, in deren engerem Umfeld
offensichtlich alle Einheimischen ausgesiedelt wurden. Noch Ende des 1. Jh.s
standen viele einheimische civitates unter der direkten Aufsicht eines
römischen centurio oder eines ritterlichen Offiziers. Ein solcher praefectus
namens Lucius Volcacius Primus übte unter Domitian (81–96) etwa die Aufsicht
über die Donaugrenze (ripa Danuvii) und die Stämme der Azaler (im Gebiet
um Arrabona/Gyõr bzw. Brigetio/Komárom) und der Boier (ursprüngliche Zentren
bei Devin und Bratislava) aus. Im frühen 2. Jh. dienten den Römern bei diesen
Stämmen aus dem lokalen Adel stammende principes (Fürsten) als Ansprechpartner,
ab Hadrian dürften die städtischen Funktionäre in den neuen Munizipien die Aufsicht
über die Einheimischen wahrgenommen haben.
Die besondere militärische Bedeutung und die wirtschaftliche Kraft des Raumes
vom Wiener Becken ostwärts (Raseneisenerze und fruchtbare Schwarzerdeböden)
wurde durch die Lage an der uralten Handelsverbindung zwischen Adria und Ostsee,
der so genannten Bernsteinstraße noch verstärkt. Diese Umstände führten bei
der endgültigen Trennung der bis Claudius wohl von einem übergeordneten Militärkommando
befehligten Provinzen Noricum und Pannonien dazu, den gesamten Raum östlich
der Ostalpen von Vindobona/Wien bis Poetovio/Ptuj von der ruhigen und ungefährdeten,
daher militärisch schwach besetzten und nunmehr von einem zivilen Procurator
verwalteten Provinz Noricum abzuteilen und zu dem von vier Legionen kontrollierten
Pannonien zu überstellen.
Römische, germanische und keltische Siedlungsplätze
im 1. Jh. n.Chr. in Nordwestpannonien |
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Überblick über die römische Besiedlung im österreichischen
Anteil der Provinz Pannonia superior und Siedlungsstellen mit römischem
Fundgut im Barbaricum im nördlichen Niederösterreich |
Die Kaiser von Vespasian (69–79) bis Traian (98–117) bauten – wie im benachbarten Noricum – in Pannonien die Donaulinie militärisch aus. Traian teilte, wohl im Jahr 106 (vielleicht auch schon 102) Pannonien in eine donauaufwärts gelegene Provinz Pannonia superior mit drei Legionen und die südöstlichere Pannonia inferior mit nur einer Legion in Aquincum/Budapest. Die Grenze zwischen beiden pannonischen Provinzen verlief ungefähr von Esztergom zum Balaton und dann weiter südwärts, bis sie südlich des Savetals an die Provinz Dalmatia, den ehemaligen Südteil von Illyricum, stieß. Unter Caracalla, im Jahr 214 wurde der Legionsstandort Brigetio mit seinem Umland der Provinz Pannonia inferior zugeteilt, womit nun beide Pannonien über jeweils zwei Legionen verfügten.
Von der Eroberung Pannoniens bis in das beginnende 2. Jh. diente Poetovio/Ptuj
an der Bernsteinstraße als Legionsstandort, einerseits um die wichtige Straßenverbindung
zu sichern, andererseits um Italien im Falle eines neuerlichen Aufstandes der
südpannonischen Stämme oder eines feindlichen Einfalls abriegeln zu können.
Etwas nördlich bestand ein Hilfstruppenlager in Salla. Im 2. Jh. wurden an der
Stelle der Lager an beiden Orten Städte gegründet, der Legionsstandort nach
Brigetio/Komárom verlegt.
Ab der Regierung Traians (98–117) bis in die beginnende Spätantike bestanden
in Oberpannonien Militärlager nur mehr entlang der Donau. Die Legionsstandorte
waren Vindobona/Wien (erbaut von der legio XIII gemina unter Domitian,
ab den Dakerkriegen um 104/107 durchgehend Standlager der legio X gemina)
, Carnuntum/Bad Deutsch-Altenburg (ab spätestens der Mitte des 1. Jh.s hauptsächlich
die legio XV Apollinaris, ab Traian die legio XIV gemina Martia
victrix) und Brigetio/Komárom (ab Traian die legio I adiutrix).
Für Vindobona wird außerdem westlich des Legionslagers, das den Stadtkern des
späteren Wien gebildet hat, das Lager einer Reitereinheit (ala I Flavia
milliaria) ungefähr bei bzw. nordöstlich der Votivkirche vermutet. Ein
weiteres Reiterlager (ala I Thracum) in Carnuntum, am östlichen Ortsrand
von Petronell, ist in den vergangenen 30 Jahren weitgehend ausgegraben worden.
In Brigetio lag bereits vor der Legion, seit dem mittleren 1. Jh. n.Chr., eine
Hilfstruppe, die cohors I Britannica milliaria, außerdem gab es am
gegenüber liegenden Donauufer ein Brückenkopfkastell bei Iža (Slowakei).
Weitere Hilfstruppen im Westen der Provinz lagen in Arrianis?/Klosterneuburg
(zuerst cohors II Batavorum, dann cohors I Aelia sagittariorum),
Ala Nova/Schwechat (ala I Thracum victrix?), Aequinoctium/Fischamend
(Infanterie, Truppe unbekannt). Östlich von Carnuntum folgte das Kastell der
ala I Canninefatium in Gerulata/Rušovce (Slowakei) und dann – auf heute
ungarischem Gebiet die von unbekannten Truppen bzw. Legionsvexillationen besetzten
Lager von Ad Flexum/Mosonmagyaróvár und Quadrata/Lébénymiklós. An der Einmündung
der Flüsse Rába (Raab) und Rábca (Rabnitz) in die Donau, einem wichtigen Straßenknotenpunkt
wurde bereits unter Claudius das Lager Arrabona/ Gyõr angelegt, in dem im frühen
2. Jh. die ala I Ulpia contariorum milliaria Garnison bezog. Das nächste
Kastell auf dem Weg nach Brigetio, Ad Statuas/Ács-Vaspuszta, wurde erst im Gefolge
der Markomannenkriege im letzten Viertel des 2. Jh.s als Holz-Erde-Konstruktion
errichtet und unter Caracalla in Steinbauweise vollendet. Das benachbarte Kastell
Ad Mures/Ács-Bumbumkút dürfte aus traianischer Zeit stammen und einer Vexillation
der legio I adiutrix als Quartier gedient haben. Nach Brigetio folgen
die heute fast völlig zerstörten Kastelle Odiavum/Almásfüzitõ und Crumerum/Nyergesújfalu.
Das Lager der cohors I Ulpia Pannoniorum milliaria, eines 1000 Mann
starken Infanterieregimentes, in Solva/Esztergom lag an der Grenze zu Pannonia
inferior.
Die Besiedlung von Nordpannonien in claudischer Zeit
(Mitte 1. Jh. n.Chr.) |
Die Besiedlung von Nordpannonien in flavischer Zeit
(letztes Drittel 1. Jh. n.Chr.) |
Die Besiedlung von Nordpannonien in der ersten Hälfte des 2. Jh.s n.Chr. |
Durch Westpannonien führte die so genannte Bernsteinstraße, eine wichtige Handelsverbindung vom Adriahafen Aquileia nach Norden mit dem Donauübergang bei Carnuntum. Sie wurde durch die seit der Mitte des 1. Jh. n. Chr. dauerhaft in Carnuntum (Bad Deutsch-Altenburg) und Vindobona (Wien) stationierten Legionen kontrolliert, auch der Statthaltersitz der Provinz Pannonia wurde nach Carnuntum verlegt. Als Sitz des pannonischen Landtages und somit als zivile „Hauptstadt“, aber auch als nomineller Heimatort der Legionsveteranen wurde die colonia Claudia Savaria (Szombathely) an der Bernsteinstraße unter Kaiser Claudius (41–54 n.Chr.) gegründet. Ebenfalls an der Bernsteinstraße, noch weiter im Süden, wurde der frühere Legionsstandort Poetovio unter Kaiser Traianus zur Colonia erhoben und diente auch als Sitz der Zollbehörden (portorium Illyricum). Südlich des Neusiedler Sees wurde bereits unter Augustus oder Tiberius mit dem oppidum Iulium Scarbantia (Sopron) ein Handelsstützpunkt eingewanderter italischer Händler gegründet, der unter den flavischen Kaisern zum municipium erhoben wurde.
Der Verlauf der Bernsteinstraße von der Adria zur Ostsee |
Von der Bernsteinstraße führten Querstraßen zu benachbarten Städten im Westen:
einmal von Savaria über das Raabtal und die Siedlung in Gleisdorf in das Murtal
bei Kalsdorf zur Anbindung an die Straße nach Flavia Solva, zum anderen von
Scarbantia nach Vindobona. Diese nördliche Straßenverbindung diente vor allem
der Aufschließung der erzreichen Gebiete im mittleren Burgenland (Eisenstadt)
und in der Buckligen Welt rund um die Spätlatènesiedlung bei Schwarzenbach.
Die beiden Legionsstandorte Carnuntum (spätestens unter Claudius) und Vindobona
(wohl seit Domitian, also zwischen 81 und 96 n.Chr.) erhielten wie die meisten
Orte an der Donaugrenze ihr Stadtrecht erst relativ spät, was mit der steigenden
Bedeutung der Donau im 2. Jh. als Handelsweg übereinstimmt. Die Zivilsiedlung
ca. 2 km westlich des Legionslagers von Carnuntum, im Gebiet des heutigen Ortes
Petronell, wurde von Kaiser Hadrian, wohl um 118 anlässlich eines persönlichen
Aufenthaltes des Kaisers in der Provinz zum municipium. Septimius Severus,
der als amtierender Statthalter von Oberpannonien am 9. April 193 in Carnuntum
zum Kaiser ausgerufen wurde, verlieh der Stadt als Dank den Titel einer colonia.
Das Stadtrecht von Vindobona ist nur aus einer einzigen, in der Renaissance
in der Wiener Stadt entdeckten und wieder verloren gegangenen Inschrift belegt.
Tendierte die Forschung früher zu einer Verleihung des Munizipalranges erst
unter Caracalla (211–217), so wurden in letzter Zeit gute Argumente für einen
Ansatz der Stadterhebung bereits unter Hadrian vorgebracht. In jedem Fall haben
in beiden Siedlungen die Stadterhebungen mit ihrem Aufblühen als Standorte römischer
Legionen zu tun und wenig mit den latènezeitlichen Vorgängerorten.
Im Hinterland von Vindobona und Carnuntum sind kaum größere Siedlungen bekannt,
das Land diente vor allem als land- und forstwirtschaftliche Region der Versorgung
der Legionen und der Stadtbewohner. Lediglich die warmen Quellen des heutigen
Kurortes Baden bei Wien wurden schon in römischer Zeit als Thermen unter dem
Namen Aquae genützt. Wissenschaftliche Ausgrabungen haben aber hier bisher noch
nicht stattgefunden.
P. Scherrer – H. Sedlmayer
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F. Humer (Hrsg.), Legionsadler und Druidenstab. Vom Legionslager zur Donaumetropole. Sonderausstellung aus Anlass des Jubiläums „2000 Jahre Carnuntum“, Katalog- und Textband (2006).
M. Kandler – H. Vetters (Hrsg.), Der römische Limes in Österreich. Ein Führer (1986).
O.H. Urban, Der lange Weg zur Geschichte. Die Urgeschichte Österreichs, Österreichische Geschichte bis 15 v. Chr. (2000).
Zs. Visy, Der pannonische Limes in Ungarn (1988).