Städtische Siedlungen in Nordwestpannonien

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Die Gründung der römischen Städte in Westpannonien entlang der Bernsteinstraße

Um die Mitte des 1. Jh. n.Chr. wurde die Bernsteinstraßenregion, mit Ausnahme des südlichsten Abschnittes, der durch das "alt-norische" Celeia führte, von Noricum abgetrennt und dem unter starker Legionsbedeckung stehenden Illyricum zugeschlagen. Von diesem wiederum wurde bald darauf (spätestens unter Vespasian) die neue Provinz Pannonia abgetrennt. Unter Claudius wurden die bisher im Landesinneren stationierten Legionen an die Donau vorgeschoben und neue Standlager in Carnuntum (Bad Deutsch-Altenburg) und wohl auch bereits in Vindobona (Wien) bezogen, die den Donauübergang der Bernsteinstraße in das unruhige markomannisch-quadische Gebiet schützten. Als ziviler Verwaltungsmittelpunkt und Sitz des Statthalters, jedenfalls der Steuerbehörden, sowie als zumindest nomineller Heimatort der Legionsveteranen wurde die colonia Claudia Savaria (Szombathely, Ungarn) auf halbem Weg zwischen Carnuntum und der nordöstlichsten Stadt Italiens, Emona (Ljubljana, Slowenien), geschaffen. Der Bedeutung der Bernsteinstraßenregion entsprechend wurden das bereits in augusteischer Zeit unweit des Neusiedler Sees angelegte oppidum Iulium Scarbantia (Sopron) unter einem der flavischen Kaiser (69–96) zum municipium und unter Traian (98–117) der ehemalige Legionsstandort Poetovio (Ptuj, Slowenien) zur colonia Ulpia erhoben. Ansonsten erhielten vor Hadrian nur Orte im bereits weitgehend romanisierten Süden Pannoniens, Andautonia (Zagreb), Sirmium (Sremska Mitrovica bei Belgrad), Siscia (Sisak) und Neviodunum (Drnovo, Slowenien) Stadtrechte.

Den nördlichen Abschnitt des Donaulaufes und sein gesamtes Hinterland erreichte die Munizipalisierung erst unter Hadrian. In Pannonien wurden die Legionsstandlager Carnuntum und Aquincum (Budapest), wahrscheinlich auch Vindobona (Wien), und eine Reihe von Städten im Landesinneren zu Munizipien. Abgesehen von wenigen, teils unsicheren Ausnahmen und mit der Politik gegenüber den Legionen zusammenhängenden "Rangerhöhungen" vom municipium zur colonia wie in Carnuntum und Aquincum unter Septimius Severus war damit die Munizipalisierung Pannoniens abgeschlossen. Die meisten Städte Pannonien liegen wie der Haupttel der Provinz allerdings außerhalb des heutigen Österreich und können hier nicht weiter behandelt werden (vgl. den Projektabschnitt "Ungarn").

Die hadrianischen Stadtgründungen an der Donau hingen – wie bereits gesagt – primär mit den hier stationierten Legionen zusammen. In deren Umfeld hatten sich seit der zweiten Hälfte des 1. Jh. n.Chr. nicht nur ausgedehnte canabae legionis, sondern in einer Distanz von etwa 2,2 km (= eine römische leuga) vom Lager auch jeweils ein vicus gebildet. Mit der unter Hadrian vorgenommenen Umstrukturierung des Heeres und der nun üblichen Ergänzung der Truppen aus der eigenen Standortprovinz konnten Städte in direkter Nachbarschaft zu den Legionslagern nicht nur durch iuventus-Organisationen auf den Militärdienst bereits vorbereitete Rekruten liefern, sondern auch Heimat der Veteranen werden. Damit entstanden in den Städten an der Grenze Familien mit langer militärischer Tradition, was sich auf Grabsteinen oft über vier oder fünf Generationen verfolgen lässt.

 

Die Bevölkerung

Entlang der Bernsteinstraße scheinen die römischen Okkupatoren zur Gründung ihrer Städte ab der Mitte des 1. Jh. n.Chr. die einheimische Bevölkerung fast vollständig ausgesiedelt zu haben. Zumindest für die colonia Claudia Savaria (Szombathely) lässt sich dies gut nachweisen. Als neue Bevölkerung kamen vor allem Legionsveteranen, aber auch ein hoher Anteil an Händlern aus dem ganzen Reichsgebiet ist durch deren Vereinsinschriften belegbar. So kennen wir Händler aus dem zu Italia gehörenden Emona (Ljubljana), aus der colonia Augusta Treverorum (Trier, Deutschland) und von mehreren Orten im Euphratgebiet.

In Carnuntum und Vindobona ist die Situation schlechter erforscht, muss aber ähnlich gewesen sein. Noch in den Jahren vor und nach 100 n.Chr. ist im Hinterland von Carnuntum eine civitas Boiorum bezeugt, deren Fürst den Gutshof von Bruckneudorf besaß. Allerdings gehörten zu den Angehörigen dieser keltischen civitas bereits in erheblicher Anzahl unter Augustus und Tiberius in das Reich aufgenommene Germanen. Vor allem Anhänger der von ihrem eigenen Volk vertriebenen Markomannenkönige Marbod und Vannius wurden im Raum beidseits des Leithagebirges angesiedelt. Im ganzen 1. Jh. zeichnet sich nach dem Fundmaterial und Inschriften im Raum zwischen Wien und Bratislava an der Donau und nach Süden bis in die nördliche Steiermark hinein eine locker in kleinen Orten und auf Bauernhöfen sitzende germanisch-keltische Mischbevölkerung ab. In den Legionsstandorten und späteren Städten Vindobona und Carnuntum selbst hört jedoch die keltische Besiedlung schon in augusteischer Zeit oder bald danach auf, was neben anderen Indizien wie frühen Legionärsinschriften für eine Absiedlung der lokalen Bevölkerung und eine gewisse militärische Besetzung dieser Orte und ihres unmittelbaren Umlandes schon unter Kaiser Tiberius (14–37) spricht. Für Carnuntum lässt sich eine durchgehende Vermessung (centuriatio) des Umlandes nachweisen, wohl weil das Land auf römische Veteranen aufgeteilt wurde.

 

 

Städtische Infrastruktur und öffentliche Bauten

Der Verlauf der im 3. oder 4. Jh. errichteten Stadtmauern von Carnuntum ist über weite Strecken gesichert. Für Vindobona sind abschnittweise Gräben als Umwehrung bekannt, die wie die Carnuntiner Stadtmauer ältere Wohnbauten durchschneiden, deren Alter und Funktion aber noch nicht definitiv bestimmt sind. Für beide Städte sind gemauerte, noch nicht näher untersuchte Fernwasserleitungen nachgewiesen.

Abgesehen von der Linie der durch die Stadt führenden Hauptachse, dem heutigen Rennweg, der Verbindungsstraße der Legionslager Vindobona und Carnuntum, als decumanus maximus und einigen davon rechtwinkelig abzweigenden Gassen (cardines) ist über das Straßensystem des municipium Vindobonense so gut wie nichts bekannt. Von den öffentlichen Bauten ist nur eine Thermenanlage teilweise ausgegraben, von Tempeln und Heiligtümern in Vindobona wissen wir nichts Konkretes. Lediglich die Lage des Forums und einer angeschlossenen area sacra im Ostbereich des municipium, beim Ziakplatz, ist durch Funde von Statuenteilen zu vermuten. Diese fast periphere Lage am Ostende der Stadt erklärt sich aus der wahrscheinlich dichten Verbauung des Westteils des Stadtareals durch einen hier seit dem späten 1. Jh. bestehenden vicus.

 

Der Stadtplan des hadrianischen Munizipiums und severischen Colonia Carnuntum zeigt – zumindest für den von den Stadtmauern umgebenen Bereich – eine ovoide Mischform aus Rechteck und Ellipse (1.150 zu 525 m; Seitenverhältnis ca. 2: 1) mit teilweise genau Ost-West-gerichteten geraden und teilweise kurvig verlaufenden decumani und leicht schräg und teilweise gebogen verlaufenden cardines. Eine Straße führt überhaupt diagonal von der Südostecke des Forums nach Südwesten. Das nur durch Bodenmessungen bekannte Forum selbst liegt ungefähr mittig in der Stadt, an seiner Nordseite mit der Basilika führt der decumanus maximus vorbei, auf der dem Forum gegenüberliegenden Straßenseite befindet sich ein als Macellum gedeuteter Platz, dahinter eine große Therme.

Die Baublöcke weisen sehr unterschiedliche Größen von 37,5 × 75 (vor allem im Zentrum) bis zu 100 × 100 m auf. Die im mittleren 1. Jh. als vicus entstandene Siedlung orientierte sich offensichtlich – ähnlich wie die benachbarten canabae legionis und die wesentlich jüngere Siedlung beim norischen Legionslager Lauriacum – nach vorhandenen Fernstraßen, der Lagerumgehungsstraße und den aus den Lagertoren herausführenden Routen. Bei der formalen Stadtgründung war der Plan bereits weitgehend vorgegeben. Das Amphitheater lag am südlichsten Rand der Stadt an einer Fernstraße. Innerstädtische öffentliche Heiligtümer wurden bisher nicht näher untersucht; ein Podiumstempel lag an der Südseite des Forums. Die in den canabae legionis und auf dem nahe gelegenen Pfafenberg angelegten Heiligtümer (siehe dazu im Kapitel Carnutnum) wurden aber sicher auch von den Bewohnern der Stadt frequentiert.

Peter Scherrer

Literaturauwahl

J. Fitz, Die Verwaltung Pannoniens in der Römerzeit , 4 Bände (1993–1995).

V. Gassner – S. Jilek – S. Ladstätter, Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich, Österreichische Geschichte 15 v. Chr. – 378 n. Chr. (2002).

F. Humer (Hrsg.), Legionsadler und Druidenstab. Vom Legionslager zur Donaumetropole, Sonderausstellung aus Anlass des Jubiläums "2000 Jahre Carnuntum", 2 Bände (2006).

M. Šašel Kos, The End of the Norican Kingdom and the Formation of the Provinces of Noricum and Pannonia, in: B. Djuric – I. Lazar (Hrsg.), Akten des IV. Internationalen Kolloquiums über Probleme des provinzialrömischen Kunstschaffens. Akti IV mednarodnega kolokvija o problemih rimske provincialne umetnosti, Celje 1995, Situla 36 (1997) 21–42.

M. Šašel Kos – P. Scherrer (Hrsg.), The Autonomous Towns in Noricum and Pannonia – Die autonomen Städte in Noricum und Pannonien: Pannonia I und II, Situla 41+42 (2003–2004).

Weitere Literatur siehe bei den Kapiteln zu den Städten Carnuntum und Vindobona.