Terra-Sigillata-Produktion in Raetien

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Schwabegg
Westerndorf
Literatur

 

In Italien entwickelte sich Ende des 1. Jhs. v.Chr. eine Keramikindustrie mit technischen Innovationen – Benutzung von Modeln, Zwei-Kammer-Brennöfen und Muffel-Brennöfen –, die einen provinzübergreifenden Absatz im gesamten Mittelmeerraum erzielten. Auch die im südgallischen La Graufesenque gegründete Manufaktur erreichte ähnlich überregionale Bedeutung. Bereits Ende des ersten Jhs. entstanden im ostgallischen Raum die ersten kleineren Produktionsstätten für Terra Sigillata. Im 2. Jh. nahmen erstmals auch in den germanischen und raetischen Provinzen solche Töpfereien ihre Arbeit auf. Provinzgrenzen spielten bei der Verbreitung der Sigillata aus den verschiedenen Produktionsstätten offenbar keine große Rolle.


In der Provinz Germania Superior befanden sich mehrere Werkstätten zur Herstellung reliefverzierter Sigillaten.

 

Schwabegg

Die Sigillata-Töpferei bei Schwabegg an der römischen Fernstraße von Augsburg nach Kempten wurde erst 1979 entdeckt. Mehrere Formschüsselfragmente sowie viele Ausformungen und Fehlbrände deuten auf eine Produktionsstätte hin. Der antike Namen dieses Töpferdorfes war vermutlich Rapis. Auch die in der Nähe befindlichen Tongruben konnten im Gelände nachgewiesen werden.
Die in Schwabegg hergestellten Sigillaten wurden über Land zur Donau gebracht, da der örtliche Bach wohl nicht schiffbar war.

Die Reliefsigillata läßt sich in 3 Werkstätten unterteilen. Die größte Werkstatt (Werkstatt I) gehörte dem Lucanus I, dessen Namen im Bildfeld einer Schwabegger Formschüssel eingeprägt war. Er stempelte auch die glatten Ränder von Bilderschüsseln und verschiedene Formen der glatten Sigillata. Dadurch gibt er sich als Ausformer von Bilderschüsseln und als Dreher glatter Ware zu erkennen. Derselbe Namenstempel, den Lucanus in seiner Werkstatt verwendete, findet sich in Rheinzabern auf glatter Sigillata. Der gleichnamiger Rheinzaberner Relieftöpfer Lucanus hat allerdings keine Gemeinsamkeiten mit dem Schwabegger Lucanus.
Von den 26 aus Rheinzabern abgeformten oder übernommenen Punzen entstammten 19 dem Oeuvre des Rheinzaberner Primitivus I. In Schwabegg selbst sind 25 weitere Punzen hinzugefügt worden, darunter der Eierstab E1, der somit als Leitpunze für dieses Produktionszentrum gilt.

Eine etwas kleinere Werkstatt (Werkstatt II) konnte dem Töpfer Elenius zugewiesen werden. Die Werkstatt III ist bis jetzt namentlich nicht identifiziert worden.

Die reliefverzierte Ware wurde vorwiegend donauabwärts verhandelt. Das Absatzgebiet der Schwabegger Ware ähnelt auffällig dem Absatzmuster der Waiblinger Töpfereien.
Eine mögliche Datierung von Schwabegg ergibt sich aus der Verbindung der dort hergestellten Ware mit den der späteren Rheinzaberner Bilderschüsseln des Primitivus I. Damit ist eine Zeitstellung nach 180 n.Chr. denkbar.

 

 

 

Westerndorf

Die Sigillata-Töpferei in Westerndorf wurde bereits am Anfang des 19. Jhs. gefunden. Der römische Namen des Töpferdorfes bei Westerndorf war Pons Aeni.
Im nur wenige Kilometer entfernten Dorf Pfaffenhofen wurden ebenfalls Töpferanlagen angetroffen. Leider sind die Sigillata-Altfunde in den Museen Rosenheim und München nicht gut oder gar nicht nach Fundorten und Fundstellen getrennt aufbewahrt worden, so dass man bis jetzt lediglich aufgrund der deutlich schlechteren Qualität der Pfaffenhofener Ware vermuten kann, dass die jüngere Produktion dorthin umgezogen ist.
Die Reliefsigillaten aus Westerndorf wurden in drei Werkstätten hergestellt: denen von Comitialis, Helenius und Onniorix. Vor allem die Werkstatt des Helenius weist viele Verbindungen mit der Rheinzaberner Manufaktur auf: Mehr als 40 Punzen, die in Rheinzabern ausschließlich vom dortigen Helenius verwendet wurden, tauchen auch im Atelier des Westerndorfer Helenius auf. Zwischen dem Westerndorfer Comitialis und dem Rheinzaberner Comitialis sind dagegen gar keine Verknüpfungen nachweisbar.

In Westerndorf wurden nicht nur die Modeln regelmäßig signiert, sondern auch die daraus hergestellten Ausformungen am Rand gestempelt. Von Helenius sind Gefäße bekannt, bei denen der Model und später der Rand gestempelt wurden. Seine Randstempel wurden nicht nur auf Produkten aus seiner eigenen Werkstatt angebracht, sondern sind auch auf Rändern von solchen Gefäße nachgewiesen, die in der Werkstatt des Comitialis hergestellt wurden.

 

Die Reliefsigillaten aus Westerndorf sind fast ausschließlich donauabwärts verbreitet. Ähnlich wie Rheinzaberner Reliefsigillaten findet man auch Westerndorfer Bilderschüsseln weit gestreut im Barbaricum, ohne dass die Punkte auf der Karte zu erkennen geben, in welchen Mengen Westerndorfer Sigillata an den einzelnen Fundplätzen auftritt: Der Großteil der Westerndorfer Sigillaten gelangte an die militärischen Plätze entlang der Donaugrenze. Dort verbergen sich hinter einem Punkt oft mehrere hundert Gefäße, während die Fundstellen im Barbaricum in der Regel nur 1 oder 2 Gefäßreste repräsentieren.
Vor allem die Funddichte an der mittleren Donau ist - wie bei den Produktionsgruppen 4-6 aus Rheinzabern - sehr auffällig. In der Literatur werden häufig ausschließlich die Markomannenkriege für dieses Phänomen verantwortlich gemacht. Dagegen spricht allerdings, dass auch nach Ende der Markomannenkriege der Zustrom Westerndorfer Sigillaten in dieses Gebiet weiter anhielt. Die Konzentration könnte deshalb auch noch mit den Aufenthalten der Kaiser Septimus Severer und Caracalla in dieser Region zwischen 190 und 212 in Zusammenhang stehen.

 

Formschüsselfunde ausserhalb der Manufakturen in Raetien

In Raetien wurden nur zwei Formschüsselfragmente außerhalb der ursprünglichen Produktionszentren angetroffen. Dies ist eine auffällig geringe Menge, verglichen mit den Formschüsselfunden in der benachbarten Provinz Germania Superior.
Der Fund eines in Westerndorf hergestellten Formschüsselbruchstückes in Kempten ist darüber hinaus deshalb bemerkenswert, weil Kempten nicht im normalen Absatzgebiet dieses Produktionszentrums liegt. Der angebliche Fund eines Rheinzaberner Modelrestes in Bregenz ist mit Vorsicht zu betrachten, weil es sich hier um ein auffällig großes modelgestempeltes Fragment handelt, das wohl eher am Ende des 19. Jhs. in den Bestand des dortigen Museums gelangt sein dürfte – ähnlich wie Rheinzaberner Formschüsselstücke in Lyon, Nantes und Bordeaux.

MUFAS

 

Liste 1      
Fundort Herstellungsort Model / Töpfer   Literatur
Kempten Westerndorf / Helenius

Kellner 1962, Taf. 6-7; Czysz 1982, 344, Abb. 42; Schleiermacher 1972, Abb. 47

 

Liste 2      
Ungesicherter Herkunft      
Bregenz Rheinzabern / Cerialis
Forrer 1911, 695, Fig. 97; Kellner 1962, Taf. 8,10; Simon 1977, 473

 

Liste 3      
Formschüsseln aus einheimischer Keramik      
Fundort Herstellungsort Model / Qualität Ausformung   Literatur
Nassenfels "Einheimischer Formschüssel" Kellner 1962, Taf. 6,1

 

Fundortlisten / Verbreitungskarten der einzelnen Produktionsstätten basierend auf:

 

Schwabegg

Gabler 1996; Sölch 1999.

Datierung: 170-230 (Gabler 1996, 137).

 

Westerndorf

Droberjar 1991; Gaber 1978, 97, Abb. 18; Gabler 1983, 349; Gabler / A.H. Vaday 1986; Gabler / A.H. Vaday 1992; Hansen 1987, 179-191; Kuzmová / Roth 1988; Kuzmová 1997; Popilian 1973; Sakař 1956; Tyszler 1999.

 

Literatur

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Th. Fischer, Das Umland des römischen Regensburg. Münchner Beiträge zur Vor- und Frühgeschichte 42 (München 1990).

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