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Die ältesten Baustrukturen lassen sich in Cambodunum-Kempten ab dem zweiten Jahrzehnt n. Chr. nachweisen. Für eine einheimische Vorgängersiedlung existieren keinerlei Belege. Ebenso wenig gibt die frühe Bebauung Hinweise auf ein Militärlager.
Eine neue Qualität im Städtebau erreichte die Siedlung mit dem Ausbau in Stein um die Mitte des 1. Jh. n. Chr. sowie beim Wiederaufbau nach einer großflächigen Zerstörung, die im Zusammenhang mit dem Bürgerkrieg 69/70 n. Chr. oder auch etwas später stattgefunden haben könnte. Mit seinen Großbauten und auch den Wohnbauten stand die Siedlung in mediterraner Bautradition.
Aus dieser Sicht spricht vieles dafür, dass es sich um einen Zentralort handelt. Allerdings fehlen eindeutige inschriftliche Zeugnisse, die den Status Kemptens wiedergeben. Die Nennung auf einem Meilenstein macht zwar eine Funktion als Zentralort wahrscheinlich, sicher ist dies jedoch nicht. Gleiches gilt auch für zwei Schriftzeugnisse. Die Siedlung wird beim Geographen Strabo im frühen 1. Jh. n. Chr. als Stadt (polis) bezeichnet. Möglicherweise bezog sich auch eine Stelle bei Tacitus, der die „glanzvollste Kolonie der der Provinz Raetien“ (splendissima Raetiae provinciae colonia) erwähnt, auf Kempten. Der Ort ist allerdings nicht eindeutig zu bestimmen, die Zuweisung zu Kempten ergibt sich durch die bessere bauliche Ausstattung gegenüber Augsburg im 1. Jh. n. Chr.
Cambodunum-Kempten könnte auch die Rolle der ersten Provinzhauptstadt Raetiens bis zum Ende des 1. Jh. n. Chr. erfüllt haben. Dafür würde der als Statthalterpalast gedeutete Gebäudekomplex sprechen, der sich beim Forum befand und der noch mangelhafte Ausbau Augsburgs zu dieser Zeit. Aber auch hier fehlen letztlich eindeutige schriftliche Zeugnisse.
Der Kern der Siedlung mit dem Forum und den sich nördlich anschließenden Wohnhäusern war in ein annähernd rechteckiges Straßenraster mit Gebäudeblocks gegliedert. Nördlich und südlich davon war die Verkehrsführung auch aufgrund topographischer Erfordernisse spitzwinklig geführt. Die Ausdehnung der Siedlung lässt sich auf maximal ca. 20 ha bemessen. Aufgrund der Größe und auch der Verkehrsführung kommt auch dem ummauerten Heiligen Bezirk eine zentrale Bedeutung bei der Planung der Siedlung zu. Insgesamt stellen sich die öffentlichen Bauten fast übergroß in Relation zu den Flächen der Wohnbebauung dar. Dies könnte als Indiz für eine ursprünglich großflächiger geplante Siedlung sein, die aber dann in ihrer Entwicklung stagnierte.
Cambodunum-Kempten. Plan der römischen Stadt
mit Nummerierung der insulae. |
Cambodunum-Kempten. Rekonstruktion des römischen
Stadtbildes. |
Für das Forum lassen sich zwei Perioden nachweisen. Das ältere, nicht vollständig bekannte Forum entstand um 50 n. Chr. im nordwestlichen Teil der späteren Anlage. Von diesem sind eine Reihe von Kammern sowie daran anschließende größere Funktionsräume bekannt. Die dreischiffige Basilika (49,5 x 25 m) stand frei ohne erkennbare Anbindung and das Forum. Sie war bald danach nach um mehr als 9 m verkürzt worden. An der nördlichen Schmalseite befand sich auf einem Podium das Tribunal als erhöhter Sitzplatz für Magistrate etwa bei Gerichtsverhandlungen. Marmorplatten bezeugen die hochwertige Ausstattung des Forums bereits in der ersten Phase. Nach der Zerstörung wurde das Forum etwas versetzt wieder aufgebaut. Die Arbeiten lassen sich nicht sicher datieren, dürften aber bis zum frühen 2. Jh. n. Chr. abgeschlossen worden sein. Mit einer Fläche von über 10.000 m2 lässt es sich mit den Anlagen in den römischen Kolonien von Augst und Nyon vergleichen. Allerdings ist der rundum geschlossene Bautyp mit der seitlich angegliederten Basilika höchst ungewöhnlich. Der monumentale Zugang von der Straße lag zwischen Forum und Basilika. Ein in den Innenhof vorspringender Bau an der nördlichen Schmalseite wird als Forumstempel interpretiert, das nach hinten an der südlichen Schmalseite integrierte Gebäude hingegen als Versammlungsort des Gemeinderates gedeutet. Die Basilika entstand an alter Stelle neu, verfügte nun aber über einen direkten Zugang zum Forum.
Cambodunum-Kempten. Das Forum in der älteren
Periode. |
Cambodunum-Kempten. Rekonstruktion von Forum
und heiligem Bezirk in der älteren Periode. |
Cambodunum-Kempten. Das Forum in der jüngeren
Periode mit Kenzeichnung der Mauerzüge der älteren Periode. |
Cambodunum-Kempten. Rekonstruktion des Forums
in der jüngeren Periode. |
Direkt an die Basilika angrenzend und mit dieser durch einen Zugang verbunden, lag die als Statthalterpalast (praetorium) interpretierte Anlage. Sie gliederte sich in einen vorderen, großen Eingangsbereich, einen zentralen Repräsentationsraum und seitliche Zimmer sowie einen rückwärtigen Hofbereich, an den wiederum zwei Raumgruppen als Annexe angebaut waren. An diesen Komplex schloss sich mit den so genannten Kleinen Thermen ein eigenes Bad an. Im zweiten Jahrhundert verkleinerte man die Raumeinheiten zum Teil durch Fachwerkwände. Dies wird mit einem Funktionswandel vom Statthalterpalast hin zum Gästehaus in Verbindung gebracht.
Cambodunum-Kempten. Die zentralen Großbauten. |
Cambodunum-Kempten. Rekonstruktion des Statthalterpalastes
bzw. Unterkunftsgebäudes und der so genannten Kleinen Thermen. |
Die an den vermuteten Statthalterpalast und spätere Unterkunftshaus angebauten so genannten Kleinen Thermen waren nicht von außen, sondern vom Unterkunftsbgebäude aus zugänglich und mit einer Mauer umgeben, hinter der sich ein Sportplatz (palaestra) befand. Sie wurden um die Mitte des 1. Jh. n. Chr. erbaut. Die drei in einer Reihe angeordneten Baderäume wurden zu einem späteren Zeitpunkt durch ein Schwitzbad ergänzt, das über die Außenmauer ausgriff, jedoch von dort nicht zugänglich war. Ebenfalls angebaut wurden zwei von außen zugängliche öffentliche Latrinen.
Cambodunum-Kempten. Grundriss der so genannten Kleinen Thermen
in der älteren (oben) und jüngeren Phase (unten).
Auf einer Fläche von ca. 4.200 m2 erstreckte sich das als Große Thermen bezeichnete Bad. Die Baderäume grenzten an einen von einem Säulenumgang eingefassten Hof, der als Sportplatz (palaestra) diente. Um die Mitte des 2. Jh. n. Chr. erfuhr die Anlage eine völlige Umgestaltung. Die Baderäume wurden verkleinert und neu angeordnet, was zu einer Verringerung dieser Flächen um ein Fünftel führte.
Cambodunum-Kempten. Grundriss der so genannten Großen Thermen
in der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. (links) und ab der Mitte des 2. Jh. n. Chr. (rechts).
Ein kleineres öffentliches Bad stellt als bezeichnete Thermenhaus Gebäude beim Tempelbezirk dar. Bereits um 40 n. Chr. in Stein errichtet, verfügte es neben den Baderäumen auch über eine Latrine. In der zweiten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. wurde das Gebäude nach einem Brand umgestaltet und fortan für Wohnzwecke benutzt.
Cambodunum-Kempten. Grundriss des Themenhauses um 50 n. Chr.
Südlich des Forums lag ein ummauerter heiliger Bezirk. Hinter dem Eingangsbereich (50 x 13 m) schloss sich ein rechteckiges Feld (238 x 179 m) an. In der Mitte der ansonsten unbebauten Fläche wurde die Fundamentplatte eines großen Altars nachgewiesen. In Analogie zum Altar von Roma und Augustus in Lyon wurde auch für Cambodunum eine Funktion im Bereich des Kaiserkultes und als Versammlungsort eines Provinziallandtages vermutet. Allerdings fehlen hierfür inschriftliche Zeugnisse.
Cambodunum-Kempten. Rekonstruktion des Heiligen Bezirks mit
zentralem Altar.
Ein Tempelbezirk befand sich im Westen der Siedlung. Ab dem zweiten Viertel des 1. Jh. n. Chr. entstanden rechteckige Holzbauten, bei denen es sich bereits um Tempel gehandelt haben dürfte. Steinbauten wurden vom letzten Drittel des 1. Jh. n. Chr. bis in die erste Hälfte des 2. Jh. n. Chr. errichtet. Die größten unter mindestens zwölf Bauten waren ein gallorömischer Umgangstempel sowie ein quadratischer Tempel mit einer Apsis. Dazu kommen noch kleinere Tempel bzw. Kapellen. Eine doppelte Säulenhalle umgab den Komplex. Inschriften belegen die Verehrung des Herkules sowie der keltischen Göttin Epona. Es wurden auch Fragmente von Statuetten des Gottes Merkur gefunden.
Cambodunum-Kempten. Holzbebauung im Bereich
des Tempelbezirks. |
Cambodunum-Kempten. Die Steingebäude des
Tempelbezirks. |
Cambodunum-Kempten. Grundriss des mutmaßlichen
Tempels südlich des Forums. |
Zwei Tempel mit einer Vorhalle wurden nördlich des Forums lokalisiert, ein in seiner Deutung unsicherer Sakralbau südlich des Forums. Außer den Grundrissen ist nichts weiter bekannt.
Die Wohnbauten waren bis in das dritte Viertel des 1. Jh. n. Chr. generell als Holz-Fachwerkbauten errichtet. Aus dieser älteren Holzbauphase ließen sich an der zweiten Querstraße (nördliche Bebauung) fünf mit langrechteckigen Streifenhäusern bebaute Parzellen nachweisen, die mit der Schmalseite zur Straßen orientiert waren. Sie besaßen zum Teil gemeinsame Außenwände. Der Ausbau in Stein erfolgte ab den 80er Jahren des 1. Jh. n. Chr. Dabei wurden Steinsockel mit Fachwerkwänden verwendet. Die vordere Baulinie wurde zu Gunsten einer vorgelagerten Portikus zurückgenommen. Die Bauten auf der gegenüberliegenden südlichen Seite blieben großteils bis ins 3. Jh. n. Chr. in Holz-Fachwerktechnik errichtet. Frühe hölzerne Wohnbauten sind auch südlich des Tempelbezirks nachgewiesen, so auch ein 30 m langes und 9 m breites Streifenhaus mit mehreren Kellern.
Cambodunum-Kempten. Holzbauten an der 2. Querstraße im 2.-3.
Jahrzehnt n. Chr.
Die ältere Bebauung im Bereich der späteren Kleinen Thermen ist in der sonst zumeist im militärischen Bereich verwendeten Pfostengrabentechnik, bei der die Pfosten statt in Gruben in durchgängigen Gräben eingelassen waren, errichtet. Das hinter einer Portikus stehende Gebäude ist vergleichbar mit Grundrissen, die wir aus der stadtartigen Siedlung des 1. Jahrzehnts n. Chr. von Lahnau-Waldgirmes kennen.
Cambodunum-Kempten. Die Holzbaubefunde (schwarz) im Bereich
der Kleinen Thermen.
Von den Wohnblocks, die ab dem letzten Viertel des 1. Jh. n. Chr. in Stein ausgebaut wurden, sind in ihrer Struktur die insulae 1, 2 und 5 gut bekannt. Sie werden jeweils zur Straße von einer Portikus abgeschlossen. Die Bebauung der einzelnen, ca. 40 m langen Parzellen innerhalb der Wohnblocks konnte unterschiedlich ausfallen. In jeder der insulae befand sich jeweils eine große Wohneinheit mit ca. 20 m Frontbreite, einem innen liegenden Hofteil (Peristyl) und großen Raumeinheiten. Dies lässt sich gut mit römischen Wohnhäusern in Italien vergleichen. Daneben waren die Parzellen mit um die 9 m Frontbreite, innerhalb derer sich auch Werkstätten befanden. In den vorderen, der Straße zugewandten Gebäudeteilen befanden sich Tabernen, die zum Verkauf von Waren oder Dienstleistungen dienten. So wurde auch das aus 380 Terra Sigillata-Gefäßen bestehende Warenlager eines Keramikhändlers des späten 2. Jh. n. Chr. in einer Taberne an der zum Forum führenden Straße entdeckt.
Cambodunum-Kempten. Die Steinbebauung
der insula 1. |
Cambodunum-Kempten. Die Steinbebauung der
insula 2 im letzten Viertel des 1. Jh. n. Chr. |
Cambodunum-Kempten. Rekonstruktion der der
insula 2 im letzten Viertel des 1. Jh. n. Chr. |
Cambodunum-Kempten. Steinbebauung der der
insula 5 im letzten Viertel des 1. Jh. n. Chr. |
Außerhalb des Stadtzentrums an der Peripherie der Siedlung lassen sich insbesondere Holzbauten nachweisen, die erst im fortgeschrittenen 2. Jh. n. Chr. teilweise in Stein ausgebaut wurden. Aufgrund von in der Nähe liegenden Öfen wurde ein Gebäude im Süden der Siedlung als Töpferhaus bezeichnet. Die kleinen kammerartigen Räume hinter einer Porticus dienten wohl als Werkstätten.
Cambodunum-Kempten. Das so genante Töpferhaus.
Der Abschnitt einer hölzernen Wasserleitung ist lediglich aus dem Bereich des Heiligen Bezirks bekannt, den sie durchlief, um dann nach Südosten abzuknicken. Über weitere, schon im Hinblick auf den Betrieb der Thermen vorauszusetzende Wasserleitungen ist nichts bekannt.
Zum Archäologischen Park Cambodunum gehört der rekonstruierte Tempelbezirk, die unter einem Schutzbau präsentierten so genannten Kleinen Thermen sowie die restaurierten Grundmauern der Forumsbasilika.
Der rekonstruierte Tempelbezirk des Archäologischen Parks Kempten.
Funde aus Kempten werden im Schutzbau der Kleinen Thermen und im Römischen Museum präsentiert.
Thomas Schmidts
W. Czysz/H. Dietrich/G. Weber, Kempten und das Allgäu. Führer zu Archäologischen Denkmälern in Deutschland 30 (Stuttgart 1995).
W. Kleiss, Die öffentlichen Bauten von Cambodunum. Baubeschreibung und
Rekonstruktion. Materialhefte zur bayerischen Vorgeschichte 18 (Kallmünz/Opf. 1962).
W. Schleiermacher, Cambodunum-Kempten. Eine Römerstadt im Allgäu (Bonn 1972).
G. Weber (Hrsg.), Cambodunum-Kempten. Erste Hauptstadt der römischen Provinz Raetien? (Mainz 2000).
G. Weber, Das Forum der Römerstadt Kempten-Cambodunum im Allgäu. In: Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer (Mainz 2000) 95-97.
G. Weber in: Die Römer in Bayern (Stuttgart1995) 463-468.
G. Weber, Im Land der Estionen. In: Provinzialrömische Forschungen. Festschrift G. Ulbert (Espelkamp 1995).
G. Weber, Frühkaiserzeitliche Holzbauten auf Auerberg-Damasia und in Cambodunum-Kempten. In: Genese, Struktur und Entwicklung römischer Städte. Xantener Berichte 6 (Mainz 2001) 191-201.
Berichte zu römerzeitlichen Ausgrabungen in Kempten:
Archäologisches Jahr in Bayern 1984, 100-103; 1987, 102-106; 1991, 113-117; 1992, 98-100; 1994, 116-118; 1995, 188-191; 1997, 108-112; 2000, 65-68.