Das Gebiet der späteren Provinz Niedergermanien kam im Zuge der Gallischen Kriege Caesars unter römische Kontrolle. Mit dem Feldzug gegen den Stamm der Eburonen (s.u.) im Jahre 53 v. Chr. war die römische Herrschaft bis zum Rhein gesichert. Ein Ausbau der Flussgrenze mittels Grenzbefestigungen blieb allerdings zunächst noch aus. Ursprünglich zur Provinz Gallia Belgica gehörend, war im Jahre 16 n. Chr. das Gebiet als Heeresbezirk (exercitus) aus dieser herausgelöst worden. Gleiches geschah mit der südlichen angrenzenden, späteren Provinz Obergermanien, die ebenfalls zunächst als Heeresbezirk verwaltet wurde. Die Provinzen Niedergermanien (provincia Germania inferior) und Obergermanien (provincia Germania superior) wurden um das Jahr 85 n. Chr. eingerichtet.
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Grenzstein aus Menden |
Die frühesten Militärlager können wir linksrheinisch ab ca. 20 v. Chr. nachweisen.
In die folgenden Jahrzehnte fallen die Germanienkriege des Kaisers Augustus.
Militärische Operationen und die Errichtung von Militärlagern erfolgten insbesondere
im Bereich der Lippe. Die geplante Gründung einer bis zur Elbe reichenden
germanischen
Provinz scheiterte mit der Vernichtung dreier Legionen in der Varusschlacht
im Jahr 9 n. Chr. Der endgültige Verzicht auf eine Eroberung der rechtsrheinischen
Gebiete erfolgte dann 16 n. Chr. durch Kaiser Tiberius. Seit dieser Zeit bildete
der Rhein die Grenze des römischen Herrschaftsbereiches. Allerdings würde
die
Vorstellung einer modernen Flussgrenze fehlgehen. So wurde der östliche Uferstreifen
des Stromes als Weidefläche vom römischen Militär genutzt. Dies bezeugen die
literarische Überlieferung sowie ein Grenzstein aus Menden, das rechtsrheinisch
etwa auf der Höhe von Bonn liegt. Ob dieser von den Römern beanspruchte Grenzstreifen
entlang des ganzen Stromes verlief oder nur in Abschnitten, wissen wir nicht.
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Altar mit Weihung an die Grenzgötter |
Der weitere Verlauf der Grenze lässt sich in der Eifel grob zwischen Marmagen und Gerolstein lokalisieren. Die Meilensteine aus diesem Gebiet zählen ab colonia Claudia ara Agrippinensium-Köln bzw. Augusta Treverorum-Trier in der Provinz Gallia Belgica.
Nicht festlegen lässt sich momentan die Westgrenze der Provinz. Es ist umstritten, ob die westlich der Maas siedelnden Tungrer in der frühen und mittleren Kaiserzeit zu Niedergermanien gehörten oder zur Provinz Gallia Belgica. Für die Spätantike ist die Zugehörigkeit zu ersterer unter dem nun gebräuchlichen Namen Germania II belegt, was sich aber nicht zwingend auf die früheren Verhältnisse übertragen lässt. Bei einer Zugehörigkeit der Tungrer würde sich die Provinz auch auf größere Gebiete westlich der Maas erstrecken. Unter Vernachlässigung der Tungrer wird eine Grenzziehung an der Maas mit einem relativ schmalen Streifens am östlichen Ufer vermutet. Ohne Neufunde lässt sich die Zugehörigkeit der Tunger nicht endgültig entscheiden. Auch ein Wechsel bereits in der frühen bzw. mittleren Kaiserzeit ist nicht auszuschließen. Aufgrund dieser Unsicherheiten werden die Tungrer im Folgenden nicht weiter berücksichtigt.
Niedergermanien unter Ausschluss der
Tungrer |
Niedergermanien unter Einschluss der Tungrer |
Die Zusammensetzung der Bevölkerung im Süden der Provinz Niedergermanien wurde durch gezielte Ansiedlungen größerer Stammesgruppen in der Frühzeit der römischen Herrschaft geprägt. Somit handelt es sich bei weiten Teilen der hier behandelten einheimischen Bevölkerung um Zuwanderer aus dem rechtsrheinischen Germanien.
Mit den gallischen Kriegen Caesars erscheint der Südteil der späteren Provinz Niedermanien erstmals in der schriftlichen Überlieferung. Das Gebiet wurde großteils von den Eburonen besiedelt, die Caesar zu den diesseits des Rheins siedelnden Germanen (Germani cisrhenani) zählt. Ihr Siedlungsgebiet lässt sich nicht exakt umreißen, im Süden grenzte es an das Territorium der Treverer. Es erstreckte sich wohl über Teile der Eifel und die nördlich anschließenden Bördelandschaften bis in die Gebiete westlich der Maas. Unklar ist insbesondere, wie weit es in östlicher Richtung reichte; möglicherweise nicht bis zum Rhein. Nach einem Aufstand im Winter 55/54 v. Chr. wurde der Stamm Opfer einer großräumigen Militäraktion im Jahre 53 v. Chr., wobei Teile der Bevölkerung gefangen genommen und getötet wurden. Ob es jedoch zu einer kompletten Vernichtung kam, wie teilweise in der Literatur angenommen, ist strittig. Der Stammesname erscheint jedenfalls nicht mehr in den Quellen. Die Besiedlung im 1. Jh. v. Chr. lässt aus archäologischer Sicht aufgrund eines feinchronologisch meist nicht auswertbaren Fundmaterials nur eingeschränkt beurteilen. Es scheint jedoch, dass einige Siedlungsstellen bereits vor den Feldzügen Caesars aufgegeben worden waren. In der zweiten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. kann man wohl von einer reduzierten Siedlungstätigkeit ausgehen. Auch Pollendiagramme aus der Jülicher Börde sprechen für einen Rückgang um die Mitte des 1. Jh. v. Chr..
Stämme zur Zeit der Gallischen Kriege Caesars 56/55
v. Chr |
Hambach-Niederzier 382 |
Die germanischen Ubier siedelten ursprünglich rechts des Rheins. Eine einwandfreie
Lokalisierung der an den Strom angrenzenden Wohnsitze ist bislang nicht möglich.
Sie siedelten in einem Areal in der Nähe des Rheines zwischen Sieg und Main,
ohne dass sich dies genauer festlegen ließe. Dabei könnte das Oppidum auf
dem
Dünsberg eine zentrale Rolle gespielt haben. Die Ubier waren aufgrund ihrer
Lage am Rhein stark mit der keltischen Kultur verbunden, hierfür würden auch
die Befunde und Funde vom Dünsberg sprechen, wenn die genannte Zuweisung korrekt
ist. Auch die Übernahme der Münzprägung in keltischer Tradition weist in diese
Richtung. Laut der literarischen Überlieferung waren die Ubier von Agrippa
umgesiedelt worden. Hierfür kämen während dessen Amtszeiten als Statthalter
in Gallien die
Jahre 38/37 v. Chr. sowie 19/18 v. Chr. in Betracht. Aus archäologischer Sicht
war auch ein langsames Einsickern von Angehörigen dieser Stammesgruppe auf
das
linksrheinische Gebiet vermutet worden, jedoch ist fraglich, ob ein solches
Vorgehen von den Römern zugelassen worden wäre. Letztlich stellt sich momentan
eine Übersiedlung in den Jahren 19/18 v. Chr. als die wahrscheinlichste Lösung
dar. Die Identifikation der Herkunfts- und Neusiedelgebiete kann sowohl durch
die literarische Überlieferung als auch durch die Münzprägung in keltischer
Tradition
erfolgen. Allerdings wären neue archäologische Funde geeignet, dieses Bild
noch zu verändern bzw. zu präzisieren.
Die Ubier waren durch einen Bündnisvertrag mit den Römern verbunden. Wo der
zentrale Stammessitz nach der Übersiedlung über den Rhein lag, ist unklar; Siedlungsspuren
aus Bonn und Nörvenich wurden in diesem Sinne gedeutet. Das im 1. Jahrzehnt
n. Chr. gegründete oppidum Ubiorum-Köln, aus dem die colonia Claudia
Ara Agrippinensium (CCAA) hervorging, lässt keine einheimischen Traditionen
erkennen. Dennoch wird die Siedlung ab dem Zeitpunkt der Gründung eine Funktion
als Vorort für die selbstverwaltete Stammesgemeinde (civitas Ubiorum)
erfüllt haben.
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"Ubische Münzen" aus Mariaweiler |
Im Bereich der späteren colonia Ulpia Traiana(CUT)-Xanten und dem südlich daran anschließenden Gebiet zwischen Rhein und Maas sind ab augusteischer Zeit die Cugerni bzw. Guberni bezeugt. Bei diesen handelt es sich wohl großteils um umgesiedelte Stammesgruppen der germanischen Sugambrer, die zuvor wohl in im Bereich von Ruhr und Sieg zu lokalisieren sind. Für das Jahr 8 v. Chr. ist eine Umsiedlung von 40.000 Germanen aus den rechtsrheinischen Gebieten bezeugt. Da die Sugambrer ab dieser Zeit nicht mehr genannt werden, ist eine Identifikation mit diesen überaus wahrscheinlich. Ob es sich bei den Cugernern nun um einen Teilstamm der Sugambrer gehandelt haben könnte, oder ob sich die Siedler rechts des Rheins einen neuen Namen gaben, ist unklar. Letzteres wäre, ähnlich wie bei den Batavern, denkbar. Dabei könnten auch einheimisch-germanische Gruppen zusammen mit den Neuankömmlingen eine Einheit gebildet haben. In der älteren Forschung galt die Vorgängersiedlung der CUT als Zentralort einer cugernischen Civitas. Dies ist aufgrund neuerer Untersuchungen eher unwahrscheinlich. Somit muss offen bleiben, ob bzw. ab wann die Cugerner eine selbstverwaltete Stammesgemeinde bildeten.
Siedlungsgebiete der Stämme um 8 v. Chr |
Eng mit den Cugernern verbunden waren die ihnen benachbarten, möglicherweise südlich der Niers siedelnden Baetasii. Kaiserliche Gardesoldaten bezeichnen sich im 2.-3. Jh. n. Chr. als traianensische Baetasier, was eine verwaltungsmäßige Einheit dieses Stammes mit der Colonia Ulpia Traiana nahe legt. Ob sie im 1. Jh. n. Chr. eine eigene Civitas bildeten, ist ebenso unbekannt wie ihre Herkunft.
Westlich der Ubier im Raum Aachen waren die Sunuker beheimatet. Es könnte
sich bei diesen um Reste der Eburonen handeln, was jedoch unsicher ist.
Gleiches gilt für die um Zülpich siedelnden Sopener. Die Existenz einer
Selbstverwaltung
der genannten Gruppen erscheint ebenso unsicher wie bei den Cugernern.
Der Süden der Provinz Niedergermanien verfügte mit seinen beiden Kolonien sowie den Legionslagern über Zentren, deren kulturelle Ausstrahlungskraft sich positiv auf die Akkulturation der einheimischen Bevölkerung auswirkte. Bereits im 1. Jh. n. Chr. waren breite Bevölkerungskreise romanisiert. Dies belegen nicht zuletzt die bekannten lateinischen Inschriften. Zu diesem Prozess trugen auch die in Auxiliareinheiten rekrutierten Einheimischen bei, die am Ende ihrer Dienstzeit das römische Bürgerrecht erlangten. Für die durch Inschriften überlieferten Kohorten der Ubier, Cugerner und Baetasier wird man zumindest im 1. Jh. n. Chr. eine Rekrutierung aus den genannten Stämmen vermuten dürfen. Ubier finden wir aber auch in anderen Auxiliareinheiten und in der Leibwache der Kaiser in der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. Bei den darüber hinaus bekannten Sugambrerkohorten dürfte es sich um umgesiedelte Stammesteile handeln (s.o.). Während des Bataveraufstandes im Jahre 69 n. Chr. waren es insbesondere die Ubier gewesen, die treu zu Rom standen.
Grabstele des Ubiers
Fronto aus Mainz-Weisenau |
Grabsteins des ubischen Reiters Albanus
aus Chalon-sur-Saône (F) |
Einheimische Traditionen lassen sich im ländlichen Siedlungswesen, bei Tracht und Religion ausmachen. Für wenige Siedlungen, z. B. in Weeze, lässt sich ein Bestehen seit der vorrömischen Eisenzeit belegen. Daneben existierten in der römischen Kaiserzeit Gehöfte in einheimischer Bautradition mit Wohnstallhäusern, so etwa in Pulheim-Brauweiler oder Jüchen-Hochneukirch. Generell ist auch die Abnahme von Villen im Bereich des nördlichen Niederrheins bemerkenswert, was auf eine Vorherrschaft von ländlichen Siedlungen in einheimischer Tradition hinweisen könnte, wie sie auch im niederländischen Nordteil der Provinz vorherrschen. Grabfunde einer einheimisch-germanischen Bevölkerung aus dem 1. Jh. n. Chr. kennen wir auch aus dem Gebiet der späteren Colonia Ulpia Traiana -Xanten. Dort befand sich allerdings wohl keine einheimischen Siedlung, wie in der älteren Literatur vermutet, sondern mehrere aufeinander folgende Auxiliarkastelle mit den zugehörigen Zivilsiedlungen.
Siedlung in Pulheim-Brauweiler |
Grab- und Weihreliefs aus dem Siedlungsbereich der Ubier belegen die einheimische
Frauentracht bis ins frühe 3. Jh. n. Chr. Charakteristisch sind dabei große
Hauben und ein mit einer Fibel unterhalb der Brust zusammengehalter Umhang.
Die Haubentracht könnte auf verheiratete Frauen beschränkt worden sein. Im 1.
Jh. n. Chr. wurden zudem noch Ketten mit großen Schmuckscheiben getragen, was
auch andernorts, etwa aus Mainz, als Bestandteil der einheimisch-keltischen
Tracht bekannt sind.
Hortfund des 1. Jh. n. Chr. aus Bonn |
Rekonstruktion der einheimischen Männer-
und Frauentracht |
Als langlebig erweisen sich einheimische Elemente in der Religion. Kennzeichnend für das südliche Niedergermanien ist dabei die Verehrung der Matronen, die als Muttergottheiten mit keltischen bzw. germanischen Beinamen zahlreich auf Weihesteinen erscheinen. Auf Reliefs und als Terrakotta-Statuetten werden sie in einheimischer Tracht dargestellt. Auch Jupitersäulen mit der Bekrönung des sitzenden Gottes sind auf einheimische Traditionen zurückzuführen und bilden einen Verbreitungsschwerpunkt im Süden der Provinz.
Weihung an die Aufanischen Matronen |
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Terrakotta-Statuettengruppe mit drei Matronen |
Jupitersäule aus Erkelenz-Kleinbouslar |
Die Provinz Niedergermanien war eine der Grenzprovinzen mit der höchsten Truppendichte im Römischen Reich. Die Kastelle lagen seit dem Ende der Germanienkriege 16 n. Chr. regelhaft entlang des Rheins. Linksrheinische Legionslager, die allerdings nicht alle gleichzeitig besetzt waren, befanden sich im 1. Jh. n. Chr. in Vetera-Xanten, Novaesium-Neuss, beim oppidum Ubiorum-Köln mit ein bis zwei Legionen. Seit dem frühen 2. Jh. n. Chr. lag jeweils eine Legion in Vetera-Xanten und Bonna-Bonn. Nahezu vollständig ist das im 19. Jh. ausgegrabene 23,9 ha große Legionlager Novaesium-Neuss bekannt.
Legionslager Novaesium-Neuss |
Doppellegionslager Vetera I
in Xanten-Birten |
Neben den Legionslagern konnten entlang der Rheinstrecke Lager von Hilfstruppen
nachgewiesen werden. Im Gegensatz zu den Legionaren verfügten die Angehörigen
dieser Verbände in der Regel nicht über das römische Bürgerrecht, das ihnen
zur Entlassung aus dem Militärdienst verliehen wurde. Wir kennen Lager für Reiter-
(Alen) und Infanterieeinheiten (Kohorten). Diese waren üblicherweise 1-3,5 ha
groß. Daneben existierten auch Kleinkastelle, die weniger als 0,2 ha Fläche
einnehmen konnten. Sie sind bislang nur vereinzelt nachgewiesen
Auxiliarkastell Gelduba-Krefeld-Gellep |
Kleinkastell in Duisburg-Rheinhausen |
Eine Besonderheit stellt die ca. 3,7 ha große Anlage von Köln-Alteburg dar.
Es diente als Stützpunkt der germanischen Flotte (classis Germanica).
Neben Patrouillenfahrten sorgte die Truppe auch für den Transport von Baumaterial.
Flottenkastell Köln-Alteburg |
Im südlichen Teil Niedergermaniens befanden sich die einzigen Kolonien der Provinz: die colonia Claudia Ara Agrippinensium (CCAA)-Köln und die Ulpia Traiana(CUT)-Xanten. Bei beiden handelt es sich um Veteranenkolonien. Die Anzahl der hier angesiedelten, ehemaligen Soldaten ist unklar, Schätzungen reichen von jeweils 1000 bis zu 2000 Personen. Dazu kommen noch deren Familienmitglieder als römische Bürger. Die einheimische Bevölkerung war zunächst nicht mit dem römischen Bürgerrecht ausgestattet, abgesehen von einzelnen Würdenträgern, denen es direkt vom Kaiser verliehen worden war.
Die CCAA wurde um 50 n. Chr. von Kaiser Claudius zu Ehren seiner hier 15/16 n. Chr. geborenen Gattin Agrippina gegründet. Bis dahin trug die Siedlung den Namen oppidum Ubiorum. Sie bestand seit dem 1. Jahrzehnt n. Chr. und verfügte bereits über Steinbauten und ein Zentrum des Kaiserkultes. In den Jahrzehnten nach der Koloniegründung wurde die Stadt planmäßig ausgebaut. Mit ihrer Größe von knapp 100 ha und einem an Bauten und Monumenten abzulesenden hohen Romanisierungsgrad wurde sie Hauptstadt und somit dem Statthaltersitz der Provinz Niedergermanien. Sie stellt auch das wirtschaftliche und kulturelle Zentrum der Provinz dar. Dazu dürfte auch der Bevölkerungsanteil der rasch romanisierenden einheimischen Ubier mit ihrer Oberschicht wesentlich beigetragen haben. So kennen wir auch eine vergleichsweise große Anzahl von Inschriften, die Amtsträger der Kolonie (Dekurionen) nennen.
CCAA-Köln, |
CCAA-Köln, Ende 2./3. Jh. n. Chr. |
CCAA-Köln, Rekonstruktion des Statthalterpalastes |
Dagegen wurde die CUT erst um 100/105 n. Chr. von Kaiser Traian gegründet. Eine dem oppidum Ubiorum vergleichbare Vorgängersiedlung bestand wohl nicht. Durch den weiteren Ausbau insbesondere in den 120er Jahren entstand ein Gemeinwesen mit zahlreichen Großbauten sowie einer Stadtmauer. Die Baustrukturen sind besser bekannt als in Köln, da die CUT großteils frei von moderner Überbauung geblieben war und systematische Untersuchungen große Teile der Stadt vollständig erschließen konnten. Mit einer Größe von 73 ha lässt sie sich zu den größten Siedlungen in den germanischen Provinzen zählen. Welche Überlegungen letztlich zur Gründung einer Kolonie an dieser Stelle führten, ist unklar. Trotz der genannten Großbauten erreichte die CUT nie die Bedeutung der CCAA, was auch für das Umland gilt. Dabei mag auch die geringere politische und wirtschaftliche Bedeutung der einheimischen Cugerner eine Rolle gespielt haben.
CUT -Xanten |
Der Hafentempel im Archäologischen
Park Xanten |
Das Straßensystem im südlichen Teil der Provinz Niedergermanien orientierte
sich an militärischen und wirtschaftlichen Erfordernissen. In Nord-Südrichtung
verband die auch als „Limesstraße“ bezeichnete Strecke die entlang des Rheins
gelegenen Militärstandorte und Zivilsiedlungen. Von dieser zweigten nach Westen
mehrere Straßen in die Nachbarprovinz Gallia Belgica ab, insbesondere nach Trier
und Reims. Es handelt sich dabei um die Reichsstraßen (viae publicae)
als bedeutende offizielle Verkehrswege. Die flache Landschaft erlaubte gerade
Streckenführungen über größere Distanzen. Abschnitte heutiger Bundesstraßen
zwischen Elsdorf und Jülich sowie Krefeld und Xanten liegen direkt auf den antiken
Wegen auf. Neben den Reichsstraßen existierten noch weitere Wege als Anbindung
an dieses System, die jedoch keinen offiziellen Charakter hatten.
Zwei Schriftquellen liefern bedeutende Hinweise. Das itinerarium Antonini,
ein Verzeichnis von Ortschaften, die jeweils entlang einer Straßenstrecke lagen,
entstand im 3. Jh. n. Chr. und wurde bis in das 4. Jh. n. Chr. noch weiter ergänzt.
Als eine stark schematisierte Straßenkarte zeigt die tabula Peutingeriana
Straßenverbindungen mit den an ihnen liegenden Rastmöglichkeiten. Auch sie gibt
nicht den Zustand zu einem bestimmten Zeitpunkt wieder. Obwohl sie ins 4.-5.
Jh. n. Chr. datiert wird, können auch ältere Zustände nachgewiesen werden. Das
bekannte Exemplar wurde im Mittelalter kopiert.
Meilensteine, die an den römischen Straßen aufgestellt wurden und die Entfernung
zur nächstgelegenen Stadt bzw. einem Zentralort wiedergeben, sind in Niedergermanien
vergleichsweise selten nachweisbar. Im Süden der Provinz sind lediglich einige
Exemplare bekannt, die ab der CCAA-Köln zählten. Die Entfernungen wurden
dabei überwiegend in Leugen (2,22 km), einem keltischen Längenmaß, aber auch
in Meilen (1,48 km) angegeben. Die angegebene Kaisertitulatur datiert die Monumente
ins 2.-4. Jh. n. Chr.. Zu dieser Zeit wurden sie bereits überwiegend als Ehrenmonumente
aufgestellt, während Meilensteine des 1. Jh. n. Chr. noch häufiger auf konkrete
Baumaßnahmen schließen lassen.
Diverse archäologische Untersuchungen förderten ebenfalls Reste römischer Straßen
zu Tage. Der zur Mitte gewölbte Straßenkörper war aus Kiesschichten aufgebaut
und erreichte eine Breite von ca. 5-8 m. Begleitet wurde dieser noch von Seitenstreifen
und Straßengräben, so dass die Breite der Reichsstraßen insgesamt 18-25 m lag.
Ein Straßenpflaster aus Steinplatten, wie es in den mediterranen Provinzen des
Reiches häufig vorkommt, konnte in Köln nachgewiesen werden.
Reichsstraßen in der Provinz Niedergermanien |
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Limesstraße bei Moers-Asberg |
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Meilenstein aus Zülpich-Hoven |
Straßenpflaster in Köln |
Rheinbrücken fehlen in der Provinz Niedergermanien vor dem 4. Jh. n. Chr. Zwar stand das rechtsrheinisches Vorfeld unter römischer Kontrolle (s.o.) und wurde auch vom Militär genutzt, jedoch wurden zunächst keine Brückenverbindungen, wie wir sie etwa aus Obergermanien kennen, geschaffen. Die 400 m lange Brücke, die die CCAA mit dem Kastell in Deutz verband, war um das Jahr 310 n. Chr. gebaut worden. Bereits in das 1. Jh. n. Chr. fällt die Errichtung eine Brücke über die Maas in Maastricht.
Der Rhein stellte in römischer Zeit die bedeutendste Verkehrsverbindung der
Provinz dar, da an ihm nicht nur die Städte CCAA-Köln und CUT-Xanten
lagen, sondern auch die überwiegende Anzahl der Militärlager mit ihren zugehörigen
Zivilsiedlungen. Bei diesen sind Hafenanlagen bekannt bzw. vorauszusetzen.
Auch
die Nebenflüsse, darunter die Rur und die Erft dürften als Schifffahrtswege
eine Rolle gespielt haben. Während die militärische Sicherung des Rheins
durch
die in Köln-Alteburg stationierte Flotte (s.o.) durch spezielle Militärschiffe
erfolgte, wurde für die Beförderung von großen Lasten von teilweise mehr
als
30 Tonnen Plattbodenschiffe (Prahme) eingesetzt, die mit ihrem geringen Tiefgang
auch bei Niedrigwasser einsetzbar waren. Zwei Wracks dieses Schiffstyps wurden
bei Xanten entdeckt. Die Hölzer des ursprünglich ca. 15 m langen, etwa zur
Hälfte erhaltenen Prahms von Xanten-Wardt waren laut dendrochronologischer
Untersuchungen
um das Jahr 95 n. Chr. gefällt worden. Dagegen datiert das ehemals etwa doppelt
so lange Exemplar aus Xanten-Lüttingen erst um 275 n. Chr. Auch im Bereich
des
römischen Hafens von Köln wurden Reste eines Prahms des 1. Jh. n. Chr. entdeckt.
Ebenfalls aus dem Bereich der CCAA-Köln stammt das Bruchstück eines
Reliefs, das das Heck eines Flussschiffes mit dem Steuerruder zeigt. Der Anteil
der Flößerei lässt sich nur schwer ermessen. Anhand von Bauhölzern aus der CUT-Xanten
ist jedoch nachweisbar, dass diese aus der Nachbarprovinz Obergermanien stammten
und als Flöße an ihren Bestimmungsort gelangten.
Rekonstruktion des Wracks von Xanten-Wardt |
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CCAA-Köln, Stadtmauer mit vorgelagerter hölzerner Kaimauer |
CCAA-Köln, Reste eines Prahms |
CCAA-Köln, Relief Schiffsdarstellung |
Obwohl das Gebiet der römischen Provinz Niedergermanien bereits im Zuge der
gallischen Kriege Iulius Caesars’ erobert worden war, lässt sich römischer Einfluss
auf die Siedlungs- und Infrastruktur erst ab den Jahrzehnten um Christi Geburt
nachweisen. Als Teil der Provinz Gallia Belgica dienten Stützpunkte am Rhein
als Basis für die Germanienkriege des Kaisers Augustus. Mit dem Ende der römischen
Eroberungspläne 16 n. Chr. wurde das Gebiet aus der Provinz herausgelöst und
wie Obergermanien als Heeresbezirk (exercitus Germaniae inferioris)
eingerichtet. Die Schaffung einer regulären Provinz fällt erst in die Jahre
um 85 n. Chr. Ihr Südteil ist durch eine starke Präsenz militärischer Kräfte
entlang der Rheinfront geprägt. Größere zivile Zentren stellen die beiden um
50 bzw. 100 n. Chr. gegründeten Veteranenkolonien colonia Claudia Ara Agrippinensium
(CCAA)-Köln und die Ulpia Traiana(CUT)-Xanten dar. Erstgenannte
war auch Provinzhauptstadt und ein Ausgangspunkt für die auf das Umland
ausstrahlende Romanisierung.
Sämtliche namentlich bekannten Stämme aus dem südlichen Niedergermanien
werden als germanisch interpretiert. Das Vorgehen Caesars gegen die Eburonen
hatte zumindest zu einem Bevölkerungsrückgang geführt, den die römische
Administration durch gezielte Aufsiedlung mit germanischen Gruppen aus
den
rechtsrheinischen Gebieten nutzte. Als wichtigste dieser Gruppen kamen
wohl 19/18 v. Chr. die Ubier in den Raum Köln-Bonn und 8 v. Chr. die Cugerner
in niederrheinische Gebiete. Die einheimische Bevölkerung und ihre Traditionen
lassen sich archäologisch bei ländlichen Siedlungen, anhand der Tracht
und
Religion nachweisen. Nach dem heutigen Forschungsstand ist es allerdings
unwahrscheinlich, dass einheimische Siedlungen als Vorgänger der Kolonien
dienten. Ob neben
den Kolonien noch weitere einheimische Stammesgemeinden als Civitates über
eine Selbstverwaltung verfügten, wissen wir nicht.
Die Infrastruktur der Provinz war vor allem am Rhein als wichtigstem Verkehrsweg
orientiert, in dessen Nähe sich auch die Militärlager und Städte befanden.
Die Straßenverbindungen verliefen parallel zum Strom bzw. nach Westen, wo
sie in die Zentren der gallischen Provinzen führten.
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