Das Gebiet der späteren Provinz Obergermanien kam im Zuge der Gallischen Kriege Caesars in den 50er Jahren des 1. Jh. v. Chr. unter römische Kontrolle. Ursprünglich gehörte es zur Provinz Gallia Belgica, war aber im Jahre 16 n. Chr. aus dieser herausgelöst worden nach dem Scheitern der römischen Eroberungsversuche im rechtsrheinischen Germanien. Das Gebiet wurde nun als Heeresbezirk (exercitus) separat verwaltet. Gleiches geschah mit der nördlich angrenzenden, späteren Provinz Niedermanien. Die Provinzen Obergermanien (provincia Germania superior) und Niedergermanien (provincia Germania inferior) wurden um das Jahr 85 n. Chr. eingerichtet. Die Hauptstadt Mogontiacum-Mainz war im 1. Jh. n. Chr. als Sitz zweier Legionen (bis ca. 97 n. Chr.) auch der größte Truppenstandort in Obergermanien.
Die Grenzen der Provinz veränderten sich im Laufe der Zeit. So ist auch der tatsächliche Umfang des Heeresbezirkes kaum zu ermitteln. Folgen wir Plinius d. Älteren (Naturalis Historia 4, 17, 31), der in seiner Karriere auch in den germanischen Provinzen als Offizier um die Mitte des 1. Jh. n. Chr. diente, so gehörten die Territorien der Rauriker, Helvetier, Sequaner und Lingonen zur Provinz Gallia Belgica. Hingegen hatte Strabo (Geographica 4,3,1) im frühen 1. Jh. n. Chr. die Lingonen in der Provinz Gallia Lugdunensis lokalisiert. Allerdings müssen zumindest Teile der beiden Stammesgebiete der Helvetier und Rauriker zum obergermanischen Heeresbezirk gehört haben, da das Legionslager Vindonissa in der Nordschweiz und die Kastellplätze an Hoch- und Oberrhein sicherlich dessen Legaten unterstanden. Ob es sich dabei allerdings um einen Grenzstreifen entlang des Rheins oder ein größere Gebiet um die jeweiligen Militärstandorte herum handelte, ist unbekannt. Die Situation änderte sich noch einmal in den frühen 70er Jahren des 1. Jh. n. Chr. mit der Gründung eines Legionslagers im Gebiet der Lingonen in Burgund. So waren in Mirebeau die 8. Legion bzw. Teilverbände (Vexillationen) weiterer obergermanischer Legionen stationiert. Jedenfalls unterstand dieses Gebiet, das aufgrund eines Aufstandes als gefährdet galt, nun wohl der Kontrolle des Legaten des obergermanischen Heeresbezirkes. Spätestens ab dem Zeitpunkt der Provinzgründung dürften dann die oben genannten Territorien zur Provinz gehört haben. Dies bestätigen die Angaben beim Geographen Ptolemaios (2, 8) aus dem 2. Jh. n. Chr. Zu einem unbekannten Zeitpunkt bereits außerhalb unseres Betrachtungszeitraumes im 3. oder 4. Jahrhundert wurde dann das Gebiet der Lingonen der Provinz Gallia Lugdunensis zugeschlagen.
Altar mit Weihung an die Grenzgötter |
Der westliche Grenze zur Nachbarprovinz Gallia Belgica verlief in einem Abstand
von 30-50 km bis zum südlichen Oberrhein etwa parallel zum Strom. Im Detail
lässt sie sich mehr oder weniger gut verfolgen. In Höhe des oberen Elsass zweigte
sie dann nach Westen ab und umschließt den Oberlauf der Maas. Von dort aus zog
die Grenze, nunmehr zur Provinz Gallia Lugdunensis, nach Südwesten, umschloß
den Oberlauf von Seine und Saône, um an die südwestliche Spitze des Genfer Sees
zu stoßen.
Südlich der Genfer Sees grenzte Obergermanien an die Provinz Alpes Poeninae. Die Grenze verlief weiter südlich des Vierwaldstätter Sees und östlich des Zürichsees, nunmehr zur östlich angrenzenden Provinz Raetien weiter nach Norden.
Die östliche Grenze auf rechtsrheinischem Gebiet wurde in mehreren Etappen
bis zum vorderen Limes Mitte des 2. Jh. n. Chr. nach Osten vorgeschoben. Hatten
die Germanienfeldzüge des Kaisers Augustus und seines Nachfolgers Tiberius von
den letzten beiden Jahrzehnten v. Chr. bis zum Jahre 16 n. Chr. zu keiner weiteren
römischen Siedlungstätigkeit in diesem Bereich geführt, wurde in claudischer
Zeit um 50 n. Chr. dauerhaft ein Gebiet im Norden der Provinz hinzu gewonnen.
Größere Erweiterungen fanden dann unter Kaiser Vespasian in den frühen 70er
Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. sowie in der Regierungszeit Domitians bzw.
Trajans im späten 1. bzw. frühen 2. Jahrhundert statt. Die größte Ausdehnung
erreichte die Provinz mit der letzten Vorverlegung der Grenze, dem vorderen
obergermanischen Limes in der Regierungszeit des Antoninus Pius um 150/160 n.
Chr. Die Grenze zu Raetien verlief nördlich des Rheins im Bereich der Schwäbischen
Alb teilweise entlang der Europäischen Wasserscheide.
Die Bevölkerung in der römischen Provinz Obergermanien stellt sich in vielerlei Hinsicht als sehr heterogen dar. Innerhalb der Provinz werden strukturelle Unterschiede deutlich, die auf die Vorbevölkerung zurückgeführt werden können. Auch die Quellenlage ist teilweise schwierig. So lassen sich für die Spätlatènezeit Siedlungsaktivitäten teilweise aufgrund eines kaum aussagekräftigen Fundmaterials und wenig prägnanter Grabsitten nur schwer nachweisen.
Bis in die Spätlatènezeit lag das Gebiet der späteren Provinz Obergermanien im Bereich der keltischen Oppidazivilisation. Als regionale Zentren dienten die meist auf Erhebungen errichteten Oppida als stadtähnliche Anlagen. In diesen von Mauern oder Wällen umgebenen Siedlungen lassen sich Handwerksbetriebe, Wohnhäuser und Kultstätten nachweisen. Den merkantilen Charakter belegt die Verwendung lokal geprägter Münzen sowie ein regional unterschiedlich großer Anteil von Importwaren auch aus dem Mittelmeergebiet. Daneben existierten auch Flachlandsiedlungen mit vornehmlich landwirtschaftlichem Hintergrund. Kriegszüge germanischer Gruppen und möglicherweise auch wirtschaftliche Faktoren führten bereits während der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. zu einem teilweisen Zusammenbruch der Oppidazivilisation. Davon betroffen waren insbesondere die rechtsrheinischen Gebiete der späteren Provinz sowie die Rheinzone. So bildete auch der Auszug der Helvetier und Rauriker aus ihren angestammten Wohnsitzen und ihre gewaltsame Rückführung im Jahre 58 v. Chr. den Auftakt von Caesars Gallischen Kriegen. Als Gründe für den Auszug werden germanische Überfälle genannt. Germanische Gruppen unter ihrem Führer Ariovist finden wir seit ca. 71 v. Chr. in Gallien, meist im Dienste keltischer Stämme. Es war wiederum Caesar, der mit seinem Sieg bei Mühlhausen im Elsaß im Jahr 58 v. Chr. diese Gruppen in die Gebiete jenseits des Rheins verdrängte.
Anders stellt sich die Situation in den linksrheinischen Provinzteilen nördlich
des Raurikergebietes dar, das ursprünglich von den keltischen Stämmen der Mediomatriker
und Treverer beansprucht wurden. Dort finden wir die germanischen Stämme der
Triboker im unteren Elsaß, die Nemter in der Pfalz sowie der Vangionen im südlichen
Rheinhessen. Diese drei Völkerschaften wurden von Caesar im Zusammenhang mit
den Zügen des Ariovist in Gallien erwähnt, allerdings wird eine spätere Hinzufügung
in den Text nicht ausgeschlossen. Ihre germanische Herkunft bestätigt auch Tacitus
(Germania 28). Es gilt als zweifelhaft, ob die Ansieldung dieser Stämme, die
nur mit römischer Duldung denkbar ist, bereits um die Mitte des 1. Jh. v. Chr.
erfolgte, oder zu einem späteren Zeitpunkt. Sicher war sie spätestens im frühen
1. Jh. n. Chr. abgeschlossen. Auch mit archäologischen Mitteln lässt sich der
Vorgang nicht genau erfassen, da die materielle Kultur dieser Stämme zum Zeitpunkt
der Ansiedlung bereits keltische Sachformen umfasste und mit einer Auswanderung
der angestammten Bevölkerung nicht zu rechnen ist. Auch diese drei Stämme erhielten
im 1. Jh. n. Chr. den Status einer Civitas.
Rechts des Rheins können wir lediglich zwei Stammesgruppen germanischer Herkunft
namentlich fassen. Nördlich des Mains siedelten die Mattiaker, bei denen es
sich um einen Teilstamm der im Bereich Hessens siedelnden Chatten gehandelt
haben könnte. Das Siedlungsgebiet der Mattikaker, die ab dem frühen 2. Jh. n.
Chr. eine Civitas bildeten, lag innerhalb des ehemals keltischen Gebietes, das
aber wohl schon im späten 1. Jh. v. Chr. germanisch überlagert war. Die germanische
Gruppe der Neckarsueben siedelte am unteren Neckar. Es fällt auf, dass die Namenswahl
keinen tradierten Eigennamen enthält, sondern bereits mit dem neuen Siedlungsgebiet
verknüpft ist. Ihre Zuwanderung erfolgte im zweiten Viertel des 1. Jh. n. Chr.,
im frühen 2. Jh. n. Chr. wurde das Gebiet ebenfalls in eine Civitas umgewandelt.
Für das gesamte weitere rechtsrheinische Provinzgebiet sind keine Namen einheimischer
Stämme oder Gruppen als Bezeichnungen der übrigen Gebietskörperschaften überliefert.
Dies dürfte auf einen Mangel an einheimischer Bevölkerung insbesondere im Bereich
des heutigen Baden-Württemberg zurückzuführen sein. Der Süden des Gebietes könnte
dabei dem in Schriftquellen als Helvetiereinöde bezeichneten Landstrich entsprechen,
der von den Helvetiern wohl in der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. verlassen
wurde. Wenn die archäologischen Quellen nicht auf eine völlige Bevölkerungsleere
hinweisen, so dürfte es sich doch um ein relativ dünn besiedeltes Areal ohne
nennenswerte politische Organisation und kulturelle Ausstrahlungskraft gehandelt
haben. Hinzu kommt eine vom römischen Historiker Tacitus (Germania 29) überlieferte
Einwanderung gallischer Bevölkerungsteile in diesen Raum im 1. Jahrhundert n.
Chr.
Keltische und germanische Stämme auf dem Gebiet der späteren Provinz Obergermanien |
Vesontio-Besançon, Keltischen Befunde mit
Befestigungsmauer |
Rekonstruktion der keltisch-römischen Siedlung von
Westheim |
Römerzeitliche Keramik |
Inventar eines germanischen Brandgrabes aus Diersheim |
Villa Ladenburg-Ziegelscheuer mit Kennzeichnung älterer
germanischer Hofareale |
Grabstein des helvetischen Auxiliarreiters Rufus Coutus |
Grabstein eines Prätorianers aus Fiesole |
Kult
Relief der keltischen Göttin Epona |
Legionslager Vindonissa-Winisch |
Die eigentliche Aufgabe der Grenzüberwachung lag bei den Hilfstruppeneinheiten, deren Kastelle sich im Bereich der Grenze befanden. Diese war in mehreren Ausbauphasen vom 1. bis zur Mitte des 2. Jh. n. Chr. nach Osten vorgeschoben worden (s.o.). Die Verbände rekrutierten sich normalerweise aus Provinzbewohnern ohne Bürgerrecht. Es gab Infanterie- (Kohorten) und Reitereinheiten (Alen) sowie gemischte Verbände. Am häufigsten kommen dabei Einheiten von ca. 500 Soldaten vor, relativ selten auch solche mit ca. 1000 Soldaten. Daneben existierten ab dem 2. Jh. n. Chr. auch kleinere Einheiten (Numeri) mit ca. 150 Soldaten. Die meisten Kastelle für die 500 Mann starken Infanterieeinheiten erreichten eine Größe zwischen 1,4 ha und 2,5 ha. Daneben existierten im Rahmen des Grenzverkehrs genutzte Kleinkastelle mit teilweiseweniger als 0,1 ha. Die als Palisade bzw. später auch mit Wall und Graben ausgeführten Limeslinien waren zusätzlich noch von mit Türmen versehen. Diese Anlagen werden heute weniger unter dem Aspekt der Grenzverteidigung, als vielmehr als überwachte Linien angesehen, die den Zugang zum Römischen Reich kontrollieren und lenken sollten.
Teilweise rekonstruiertes Kastell Saalburg im Taunus |
Kleinkastell Rötelsee bei Welzheim |
Idealrekonstruktion eines Wachturms am Odenwaldlimes |
Rekonstruktion des Kastells Zugmantel |
Die Kolonien
Die Gründung zweier Kolonien im Gebiet der Helvetier (colonia
Iulia Equestris-Nyon) und Rauriker (colonia
Augusta Raurica-Augst) um die Mitte der
40er Jahre des 1. Jh. v. Chr. fällt in einen sehr frühen Zeitraum. Sie stellt
damit auch die älteste bekannte Maßnahme zur römischen Raumordnung im Gebiet der
späteren Provinz Obergermanien dar. In beiden Fälle handelte es sich um Veteranenkolonien.
Aufgrund ihrer Lage am Genfer See kam der colonia Iulia Equestris die
Überwachung der als unsicher geltenden Helvetier zu, denen so der strategisch
Weg in die Provinz Gallia Narbonnensis versperrt wurde. Auch die Lage der colonia
Augusta Raurica im Bereich des Rheinknies dürfe auf strategische Überlegungen
zurückgehen. Dass die beiden Koloniegründungen aber tatsächlich zu unmittelbaren
Siedlungsaktivitäten durch Veteranen führten, ist eher unwahrscheinlich. Die archäologische
Überlieferung im Bereich der Städte setzt erst im letzten bzw. vorletzten Jahrzehnt
v. Chr. ein. Die Möglichkeit einer abweichenden Lokalisierung der frühen Augster
Kolonie im Bereich des Basler Münsterhügels wurde erwogen, lässt sich aber nicht
beweisen. Es ist eine Neugründung in augusteischer Zeit inschriftlich belegt,
was gut zu den archäologisch gewonnen Daten passt. Möglich wäre in beiden Fällen,
dass sich die praktische Umsetzung der Koloniegründung aufgrund der römischen
Bürgerkriege und der späteren Eroberung der Alpengebiete um mehrere Jahrzehnte
verzögerte.
Gesamtplan der colonia Augusta Raurica-Augst |
Colonia Augusta Raurica-Augst, Stadtansicht |
Gesamtplan der colonia Iulia Equestris-Nyon |
Als zweite Kolonie auf dem Gebiet der Helvetier entstand die colonia Helvetiorum-Avenches. Dabei erhielt um 70 n. Chr. der Hauptort der Gebietskörperschaft der Helvetier (civitas Helvetiorum) den höheren Status einer Kolonie. Diese Maßnahme weicht von den zuvor genannten Neugründungen ab. Ob es sich hierbei um eine Veteranenkolonie handelte, also mit einem Zuzug von Neusiedlern zu rechnen, ist unklar. Möglich wäre auch eine Erhöhung des rechtlichen Status. Für die Erhebung zur Kolonie spielten strategisch-militärische Überlegungen wohl keine Rolle. Vielmehr dürften die persönliche Verbindung zu Kaiser Vespasians entscheidend gewesen sein, dessen Vater geschäftlich mit den Helvetiern verkehrt hatte.
Gesamtplan von Aventicum-Avenches |
Aventicum-Avenches, Rekonstruktion des westlichen
Stadtquartiers |
Die bauliche Ausstattung der Kolonien lassen sie zu einem frühen Zeitpunkt bereits als stark romanisierte Gemeinwesen erscheinen. Inwieweit aber Legionsveteranen dazu beitrugen, ist unklar. Während sich in Augst und Nyon nur wenige relevante Inschriften erhalten haben, finden wir in Avenches durchwegs einheimische städtische Repräsentanten. Bei der Verteilung der Kolonien fällt deren Konzentration im südlichen Teil der Provinz auf, der bis in flavische Zeit noch Teil der Provinz Gallia Belgica war. Einen räumlichen Bezug von Kolonien zu Legionslagern, wie sie in anderen Grenzprovinzen zu finden sind, sucht man in Obergermanien vergeblich. Sie entstanden weder in der unmittelbaren Umgebung, wie dies aus den Donauprovinzen bekannt ist, noch in aufgegebenen Lagern wie in Britannien.
Kolonien in der Provinz Obergermanien |
Im gallisch-germanischen Raum nachgewiesene Fernstraßen |
Reste einer römischen Straße bei Burladingen |
Meilenstein aus Köngen |
Straßentunnel Pierre Pertuis mit Inschrift |
Rekonstruktion eines Abschnitts der 49 n. Chr. errichteten Brücke über den Rhein in Koblenz |
Andere Brückenbauten in der Provinz verfügten über eine längere, teilweise mehrere Jahrhunderte umfassende Geschichte. Die größte Rheinbrücke verband Mogontiacum-Mainz mit Castellum Mattiacorum-Mainz Kastel. Anhand eines Dendrodatums ist eine Holzkonstruktion bis zum Jahr 27 n. Chr. anzunehmen. Später wurde die 420 m lange Brücke mit 31 Steinpfeilern versehen mit einer aus Holz konstruierten trug die Fahrbahn. Die Steinpfeiler waren mit mehr als 600 Pfählen fundamentiert. Reparaturarbeiten lassen sich anhand von Kleininschriften bis in das frühe 3. Jahrhundert nachweisen. Die Mainzer Brücke ist auch die einzige aus Obergermanien, von der wir eine bildliche Darstellung besitzen. Es handelt sich dabei um das „Lyoner Bleimedaillon“, den Probeabschlag einer um 300 geprägten großformatigen Goldmünze. Reste weiterer römischer Rheinbrücken aus Stein, die in die frühe und mittlere Kaiserzeit datieren dürften, wurden in Cambete-Kembs und Augusta Raurica-Augst ausgemacht. Daneben ist mit weiteren Übergängen, etwa im Bereich des Legionslager Argentorate-Straßburg zu rechnen.
Rekonstruktion eines Pfahlrostes der Mainzer Römerbrücke
im 19. Jh. |
Umzeichnung des „Lyoner Bleimedaillons“ mit Darstellung
der Mainzer Römerbrücke um 300 n. Chr. |
Größere Brückenbauten konnten auch an den Nebenflüssen nachgewiesen werden. Bei manchen dieser Bauten bleibt jedoch ihre Zuweisung zur römischen Epoche aufgrund fehlender Datierungen der Bauhölzer unsicher. Es lassen sich Brücken über die Nahe, den Main, den Neckar und die Jagst nachweisen. Baudaten liegen etwa für die hölzernen Fundamentpfeiler der steinernen Mainbrücke in Großkrotzenburg für das Jahr 134 n. Chr. oder auch für die Bingener Mainbrücke für das Jahr 77 n. Chr. vor. Für die 84 m lange Holzbrücke über die Broye bei Le Rondet in der Schweiz konnte eine Erbauung im Jahr 31 n. und die Erneuerung im Jahr 229 n. Chr. nachgewiesen werden.
Rekonstruktion der hölzernen Brücke über die Broye bei Le Rondet |
Die Provinz Obergermanien ist in hohem Maße durch ihre Flüsse geprägt. Von besonderer
Bedeutung sind der Rhein und seine schiffbaren Nebenflüsse, vor allem Main und
Neckar. Lediglich im Westen finden wir Abschnitte von Flüssen, die ins Mittelmeer
bzw. den Atlantik führen. Bezeichnenderweise verläuft ein Abschnitt der östlichen
Provinzgrenze entlang der europäischen Wasserscheide. Die Wasserwege waren aufgrund
des preisgünstigeren Warentransportes gegenüber dem Landweg in wirtschaftlicher
Hinsicht bedeutend. Originale Schiffsteile sind aus Mainz, dem Rhein in der Nähe
von Straßburg sowie dem Murten- und Neuenburgersee in der Schweiz bekannt. Den
wichtigsten Schiffstyp für den Warentransport bildeten die als Prähme oder Plattbodenschiffe
bezeichneten Wasserfahrzeuge. Der kastenförmige Rumpf war an Bug und Heck abgeschrägt,
so dass sie auch ohne entsprechende Hafenanlagen an einem Ufer anlanden konnten.
Aufgrund von Resten eines Prahm aus Mainz,
dessen Bauholz laut dendrochronologischer Untersuchungen im Jahr 81 n. Chr. gefällt
worden war, ließen sich die originalen Maße auf ca. 40 m Länge und 5 m Breite
rekonstruieren. Hingegen wiesen die Lastkähne des 1. und 2. Jh. n. Chr. aus Yverdon
und Bevaix Längen von ca. 20 m auf. Aus Inschriften kennen wir einzelne Schiffer
(nautae) sowie Vereinigungen, als collegia bezeichnet, zu denen
sie sich zusammengeschlossen hatten. Die Kollegien konnten auf bestimmte Flussläufe
oder Seen beschränkt sein. Die Hafenanlagen, die bei jeder größeren Siedlung am
Wasser vorauszusetzen sind, kennen wir bislang kaum. Bemerkenswert ist ein 1300
m langer Kanal, der die Kolonie Aventicum-Avenches mit dem Flusshafen
am Murtensee verband.
Modell nach den Resten eines in Mainz gefundenen Prahms
|
Reste des Lastkahns aus dem 2. Jh. n. Chr. im Neuenburger
See |
Aventicum-Avenches um 180 n. Chr. mit Hafen
und Kanal |
Grabstein des Schiffers Blussus aus Mogontiacum-Mainz |
Die Provinz Germania superior war erst um 85 n. Chr. eingerichtet worden. Spätestens
seit 16 n. Chr. hatte ein Militärbezirk bestanden, der allerdings nicht den
südlichen und westlichen Teil der späteren Provinz umfasste. Die Germanienkriege
prägten die Frühzeit zwischen 13 v. Chr. und 16 n. Chr. Sie führten letztlich
zur vorläufigen Aufgabe der geplanten Eroberung rechtsrheinischer Gebiete und
der Einrichtung einer neuen Provinz. Deren großflächige Annexion fand schließlich
zwischen ca. 72 n. Chr. und 160 n. Chr. in mehreren Etappen statt. Innerhalb
der Provinz können wir eine unterschiedliche Entwicklung der westlichen und
südlichen Abschnitte auf der einen und den nördlichen und rechtsrheinischen
Abschnitte auf der anderen Seite fassen. Während erstgenannte seit vorrömischer
Zeit durch traditionsreiche keltische Stämme kontinuierlich beherrscht wurde,
waren die übrigen einer Zuwanderung von germanischen Gruppen seit dem 1. Jh.
v. Chr. unterworfen.
Die südlichen und westlichen Territorien gehörten bis zur Konstituierung der
Provinz Obergermanien noch zur Gallia Belgica und hatten eine rasche zivilisatorische
Entwicklung genommen. Hier lagen auch die einzigen Koloniegründungen. Ebenso
ist hier der munizipale Kaiserkult früher und häufiger nachweisbar. Dagegen
war die Entwicklung der nördlichen Provinzteile sehr stark an das Militär gekoppelt.
So können wir für die Hauptstadt Mogontiacum-Mainz, die ein Legionslager
beherbergte, keinen zivilen Stadtstatus bis ins fortgeschrittene 3. Jh. n. Chr.
nachweisen. Trotzdem fanden hier seit dem frühen 1. Jh. n. Chr. jährliche Feierlichkeiten
von überregionaler Bedeutung zu Ehren von Augustus Stiefsohn Drusus sowie dessen
Sohn Germanicus statt. Unruhen wie der Helvetier- und Lingonenaufstand des Jahres
69 n. Chr. lassen erkennen, dass die römische Herrschaft noch lange nach der
Eroberung nicht gefestigt war. In der materiellen Kultur und der Religion können
überdies einheimische Elemente noch bis in das 3. Jh. n. Chr. hinein nachgewiesen
werden. Aufgrund ihrer Lage stellte die die Provinz ein Bindeglied für Heeresbewegungen
und Handelsgüter in nord-südlicher wie in ost-westlicher Richtung dar. Dies
spiegelt sich in einem gut ausgebauten Straßennetz sowie nicht minder bedeutenden
Flussverbindungen wider.
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