Aufbau der römischen Provinzstruktur

See this text in

Die Grenzen von Germania superior und ihre Veränderungen

Das Gebiet der späteren Provinz Obergermanien kam im Zuge der Gallischen Kriege Caesars in den 50er Jahren des 1. Jh. v. Chr. unter römische Kontrolle. Ursprünglich gehörte es zur Provinz Gallia Belgica, war aber im Jahre 16 n. Chr. aus dieser herausgelöst worden nach dem Scheitern der römischen Eroberungsversuche im rechtsrheinischen Germanien. Das Gebiet wurde nun als Heeresbezirk (exercitus) separat verwaltet. Gleiches geschah mit der nördlich angrenzenden, späteren Provinz Niedermanien. Die Provinzen Obergermanien (provincia Germania superior) und Niedergermanien (provincia Germania inferior) wurden um das Jahr 85 n. Chr. eingerichtet. Die Hauptstadt Mogontiacum-Mainz war im 1. Jh. n. Chr. als Sitz zweier Legionen (bis ca. 97 n. Chr.) auch der größte Truppenstandort in Obergermanien.

 

Die Grenzen der Provinz veränderten sich im Laufe der Zeit. So ist auch der tatsächliche Umfang des Heeresbezirkes kaum zu ermitteln. Folgen wir Plinius d. Älteren (Naturalis Historia 4, 17, 31), der in seiner Karriere auch in den germanischen Provinzen als Offizier um die Mitte des 1. Jh. n. Chr. diente, so gehörten die Territorien der Rauriker, Helvetier, Sequaner und Lingonen zur Provinz Gallia Belgica. Hingegen hatte Strabo (Geographica 4,3,1) im frühen 1. Jh. n. Chr. die Lingonen in der Provinz Gallia Lugdunensis lokalisiert. Allerdings müssen zumindest Teile der beiden Stammesgebiete der Helvetier und Rauriker zum obergermanischen Heeresbezirk gehört haben, da das Legionslager Vindonissa in der Nordschweiz und die Kastellplätze an Hoch- und Oberrhein sicherlich dessen Legaten unterstanden. Ob es sich dabei allerdings um einen Grenzstreifen entlang des Rheins oder ein größere Gebiet um die jeweiligen Militärstandorte herum handelte, ist unbekannt. Die Situation änderte sich noch einmal in den frühen 70er Jahren des 1. Jh. n. Chr. mit der Gründung eines Legionslagers im Gebiet der Lingonen in Burgund. So waren in Mirebeau die 8. Legion bzw. Teilverbände (Vexillationen) weiterer obergermanischer Legionen stationiert. Jedenfalls unterstand dieses Gebiet, das aufgrund eines Aufstandes als gefährdet galt, nun wohl der Kontrolle des Legaten des obergermanischen Heeresbezirkes. Spätestens ab dem Zeitpunkt der Provinzgründung dürften dann die oben genannten Territorien zur Provinz gehört haben. Dies bestätigen die Angaben beim Geographen Ptolemaios (2, 8) aus dem 2. Jh. n. Chr. Zu einem unbekannten Zeitpunkt bereits außerhalb unseres Betrachtungszeitraumes im 3. oder 4. Jahrhundert wurde dann das Gebiet der Lingonen der Provinz Gallia Lugdunensis zugeschlagen.

 

Altar mit Weihung an die Grenzgötter
Bei den folgenden Ausführungen zum Grenzverlauf gehen wir von der größtmöglichen Ausdehnung der Provinz aus. Mit ca. 95.000 km2 gehörte sie zu den Provinzen mittlerer Größe. Im Norden wird der Grenzverlauf zur Nachbarprovinz Niedergermanien durch den in den Rhein mündenden Vinxtbach markiert. An dessen Ufer waren Inschriften mit Weihungen an die Grenzgötter (Fines) aufgestellt. Diese waren von hier stationierten Soldaten beider germanischer Provinzen gestiftet worden. Ihre Anwesenheit in einer bislang archäologisch nicht nachgewiesenen Grenzstation ist anzunehmen.

Der westliche Grenze zur Nachbarprovinz Gallia Belgica verlief in einem Abstand von 30-50 km bis zum südlichen Oberrhein etwa parallel zum Strom. Im Detail lässt sie sich mehr oder weniger gut verfolgen. In Höhe des oberen Elsass zweigte sie dann nach Westen ab und umschließt den Oberlauf der Maas. Von dort aus zog die Grenze, nunmehr zur Provinz Gallia Lugdunensis, nach Südwesten, umschloß den Oberlauf von Seine und Saône, um an die südwestliche Spitze des Genfer Sees zu stoßen.

Südlich der Genfer Sees grenzte Obergermanien an die Provinz Alpes Poeninae. Die Grenze verlief weiter südlich des Vierwaldstätter Sees und östlich des Zürichsees, nunmehr zur östlich angrenzenden Provinz Raetien weiter nach Norden.

Die östliche Grenze auf rechtsrheinischem Gebiet wurde in mehreren Etappen bis zum vorderen Limes Mitte des 2. Jh. n. Chr. nach Osten vorgeschoben. Hatten die Germanienfeldzüge des Kaisers Augustus und seines Nachfolgers Tiberius von den letzten beiden Jahrzehnten v. Chr. bis zum Jahre 16 n. Chr. zu keiner weiteren römischen Siedlungstätigkeit in diesem Bereich geführt, wurde in claudischer Zeit um 50 n. Chr. dauerhaft ein Gebiet im Norden der Provinz hinzu gewonnen. Größere Erweiterungen fanden dann unter Kaiser Vespasian in den frühen 70er Jahren des 1. Jahrhunderts n. Chr. sowie in der Regierungszeit Domitians bzw. Trajans im späten 1. bzw. frühen 2. Jahrhundert statt. Die größte Ausdehnung erreichte die Provinz mit der letzten Vorverlegung der Grenze, dem vorderen obergermanischen Limes in der Regierungszeit des Antoninus Pius um 150/160 n. Chr. Die Grenze zu Raetien verlief nördlich des Rheins im Bereich der Schwäbischen Alb teilweise entlang der Europäischen Wasserscheide.


Die einheimische Bevölkerung in der Provinz

Die Bevölkerung in der römischen Provinz Obergermanien stellt sich in vielerlei Hinsicht als sehr heterogen dar. Innerhalb der Provinz werden strukturelle Unterschiede deutlich, die auf die Vorbevölkerung zurückgeführt werden können. Auch die Quellenlage ist teilweise schwierig. So lassen sich für die Spätlatènezeit Siedlungsaktivitäten teilweise aufgrund eines kaum aussagekräftigen Fundmaterials und wenig prägnanter Grabsitten nur schwer nachweisen.


Die Situation in spätkeltischer Zeit

Bis in die Spätlatènezeit lag das Gebiet der späteren Provinz Obergermanien im Bereich der keltischen Oppidazivilisation. Als regionale Zentren dienten die meist auf Erhebungen errichteten Oppida als stadtähnliche Anlagen. In diesen von Mauern oder Wällen umgebenen Siedlungen lassen sich Handwerksbetriebe, Wohnhäuser und Kultstätten nachweisen. Den merkantilen Charakter belegt die Verwendung lokal geprägter Münzen sowie ein regional unterschiedlich großer Anteil von Importwaren auch aus dem Mittelmeergebiet. Daneben existierten auch Flachlandsiedlungen mit vornehmlich landwirtschaftlichem Hintergrund. Kriegszüge germanischer Gruppen und möglicherweise auch wirtschaftliche Faktoren führten bereits während der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. zu einem teilweisen Zusammenbruch der Oppidazivilisation. Davon betroffen waren insbesondere die rechtsrheinischen Gebiete der späteren Provinz sowie die Rheinzone. So bildete auch der Auszug der Helvetier und Rauriker aus ihren angestammten Wohnsitzen und ihre gewaltsame Rückführung im Jahre 58 v. Chr. den Auftakt von Caesars Gallischen Kriegen. Als Gründe für den Auszug werden germanische Überfälle genannt. Germanische Gruppen unter ihrem Führer Ariovist finden wir seit ca. 71 v. Chr. in Gallien, meist im Dienste keltischer Stämme. Es war wiederum Caesar, der mit seinem Sieg bei Mühlhausen im Elsaß im Jahr 58 v. Chr. diese Gruppen in die Gebiete jenseits des Rheins verdrängte.

Keltische und germanische Stämme

Aufgrund der geschilderten Situation können wir eine Kontinuität aus vorrömisch-keltischen Zusammenhängen lediglich im Süden und Westen sowie im äußersten Norden der späteren Provinz beobachten. Es handelt sich dabei um die Helvetier im Bereich des schweizerischen Mittellandes, die in der Nordschweiz und im oberen Elsass beheimateten Rauriker, die westlich des Jura siedelnden Sequaner sowie die Lingonen in Burgund. Diese Stämme wurden bereits um die Zeitenwende von Kaiser Augustus in selbstverwaltete Gebietskörperschaften (civitates) umgewandelt. Den relativ selten vergebene, prestigeträchtige Status einer civitas foederata, also eines mit Rom besonders eng verbundenen Gemeinwesens wurde den Stämmen der Helvetier und Lingonen zu Teil.
Archäologisch lässt sich eine kontinuierliche keltische Besiedlung bis in die römische Kaiserzeit auch nördlich der Linien Alzey-Worms nachweisen. Ein Oppidum existierte allerdings dort nach der Aufgabe des Donnersberges bereits innerhalb der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. nicht mehr. In der Umgebung von Mainz werden die Aresaces lokalisiert. Ebenfalls in Rheinhessen könnten die Caeracates gesiedelt haben, was allerdings unsicher ist. In diesem Teil der Provinz wurde keine zivile Gebietskörperschaft gegründet, in denen einer der beiden Stämme aufgegangen sein könnte. Eine kontinuierliche Besiedlung kann auch im Neuwieder Becken belegt werden.

Anders stellt sich die Situation in den linksrheinischen Provinzteilen nördlich des Raurikergebietes dar, das ursprünglich von den keltischen Stämmen der Mediomatriker und Treverer beansprucht wurden. Dort finden wir die germanischen Stämme der Triboker im unteren Elsaß, die Nemter in der Pfalz sowie der Vangionen im südlichen Rheinhessen. Diese drei Völkerschaften wurden von Caesar im Zusammenhang mit den Zügen des Ariovist in Gallien erwähnt, allerdings wird eine spätere Hinzufügung in den Text nicht ausgeschlossen. Ihre germanische Herkunft bestätigt auch Tacitus (Germania 28). Es gilt als zweifelhaft, ob die Ansieldung dieser Stämme, die nur mit römischer Duldung denkbar ist, bereits um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. erfolgte, oder zu einem späteren Zeitpunkt. Sicher war sie spätestens im frühen 1. Jh. n. Chr. abgeschlossen. Auch mit archäologischen Mitteln lässt sich der Vorgang nicht genau erfassen, da die materielle Kultur dieser Stämme zum Zeitpunkt der Ansiedlung bereits keltische Sachformen umfasste und mit einer Auswanderung der angestammten Bevölkerung nicht zu rechnen ist. Auch diese drei Stämme erhielten im 1. Jh. n. Chr. den Status einer Civitas.
Rechts des Rheins können wir lediglich zwei Stammesgruppen germanischer Herkunft namentlich fassen. Nördlich des Mains siedelten die Mattiaker, bei denen es sich um einen Teilstamm der im Bereich Hessens siedelnden Chatten gehandelt haben könnte. Das Siedlungsgebiet der Mattikaker, die ab dem frühen 2. Jh. n. Chr. eine Civitas bildeten, lag innerhalb des ehemals keltischen Gebietes, das aber wohl schon im späten 1. Jh. v. Chr. germanisch überlagert war. Die germanische Gruppe der Neckarsueben siedelte am unteren Neckar. Es fällt auf, dass die Namenswahl keinen tradierten Eigennamen enthält, sondern bereits mit dem neuen Siedlungsgebiet verknüpft ist. Ihre Zuwanderung erfolgte im zweiten Viertel des 1. Jh. n. Chr., im frühen 2. Jh. n. Chr. wurde das Gebiet ebenfalls in eine Civitas umgewandelt. Für das gesamte weitere rechtsrheinische Provinzgebiet sind keine Namen einheimischer Stämme oder Gruppen als Bezeichnungen der übrigen Gebietskörperschaften überliefert. Dies dürfte auf einen Mangel an einheimischer Bevölkerung insbesondere im Bereich des heutigen Baden-Württemberg zurückzuführen sein. Der Süden des Gebietes könnte dabei dem in Schriftquellen als Helvetiereinöde bezeichneten Landstrich entsprechen, der von den Helvetiern wohl in der ersten Hälfte des 1. Jh. v. Chr. verlassen wurde. Wenn die archäologischen Quellen nicht auf eine völlige Bevölkerungsleere hinweisen, so dürfte es sich doch um ein relativ dünn besiedeltes Areal ohne nennenswerte politische Organisation und kulturelle Ausstrahlungskraft gehandelt haben. Hinzu kommt eine vom römischen Historiker Tacitus (Germania 29) überlieferte Einwanderung gallischer Bevölkerungsteile in diesen Raum im 1. Jahrhundert n. Chr.

Keltische und germanische Stämme auf dem Gebiet der späteren Provinz Obergermanien

Vesontio-Besançon, Keltischen Befunde mit Befestigungsmauer

Tradition und Romanisierung

Im heute schweizerischen und französischen Teil der Provinz Obergermanien lässt sich teilweise eine kontinuierliche Besiedlung keltischer Oppida bis in römische Zeit feststellen. So etwa in Besançon, wo später der Zentralort der Sequaner entstand oder auch das in augusteischer Zeit aufgegebene Oppidum von Alteburg-Rheinau am Oberrhein. Kontinuität ist auch für kleinere Siedlungen wie Basel-Münsterhügel bis in römische Zeit nachweisbar. Aufgrund von Funden werden im südwestlichen Anteil der Provinz Obergermanien römische Vici auf latènezeitliche Siedlungen zurückgeführt.

Rekonstruktion der keltisch-römischen Siedlung von Westheim
Im nördlichen Teil der Provinz lässt sich Siedlungskontinuität seltener beobachten. Die um die Zeitenwende datierte ländliche Siedlung von Westheim in der Pfalz mit mehreren Pfostenbauten könnte in der Tradition der keltischen Viereckschanzen stehen. Diese werden die in der jüngeren Forschung nicht mehr als reine Kultplätze, sondern als ländliche Einzelsiedlungen gewertet. Das Fundgut spricht für eine keltische Bevölkerung mit einem germanischen Anteil. Für einige wenige rechtsrheinische Viereckschanzen, die als Gehöfte bzw. Kultplätze in keltischer Zeit dienten, wird eine Benutzung bis in die frühe Kaiserzeit für möglich gehalten.

Römerzeitliche Keramik
Keltische Einflüsse können auch noch innerhalb einer weitgehend romanisierten Umwelt beim Gebrauch von Trachtbestandteilen und in der Keramikproduktion nachgewiesen werden. Hier kommt es zu eigenständigen Entwicklungen, die nicht mit der römischen Präsenz erklärbar sind. Noch im späten 2. Jh. n. Chr. wurden Dekore in keltischer Tradition hergestellt.

Inwieweit die keltische Sprache in römischer Zeit noch im Alltag benutzt wurde, lässt sich aufgrund fehlender schriftlicher Zeugnisse nicht feststellen. Allerdings beinhalten viele geographische Bezeichnungen keltische Elemente.
Beidseits des Rheins sind archäologisch germanische Siedlungsgruppen nachgewiesen. Sie zeichnen sich insbesondere durch reich ausgestattete Gräber aus, wobei ein bemerkenswerter Anteil auch Waffen und militärische Ausrüstung enthält. Dies wird mit einer bewussten Ansiedlung von germanischen Gruppen in Zusammenhang gebrachte. Als Föderaten, einem besonderen Status von Verbündeten, sollen sie Aufgaben bei der Überwachung der Rheingrenze bis zur Eroberung rechtsrheinischer Gebiete in frühflavischer Zeit (um 75 n. Chr.) übernommen haben. Bereits um die Mitte des 1. Jh. v. Chr. lassen sich die ältesten Gräber in der südlichen Pfalz zwischen Landau und Speyer datieren, ansonsten gehören sie überwiegend der ersten Hälfte des 1. Jh. n. Chr. an. Auffällig ist für einen Teil von ihnen die Nähe zu Militäranlagen. Dies gilt für die Bestattungen beim Militärlager Rheingönheim oder in Diersheim, das dem Legionslager Argentorate-Straßburg auf der rechten Rheinseite gegenüberliegt.
Diese Gruppen sind stark elbgermanisch geprägt und werden den Sueben zugewiesen. So gab auch die am unteren Neckar siedelnde Gruppe Suebi Nicrenses der späteren Civitas ihren Namen. Anhand von Grabsitte und Funden lässt sich ein Festhalten an traditionellen Formen und Gebräuchen bis in das frühe 2. Jh. n. Chr. feststellen. Bei der am südlichsten gelegenen Diersheimer Gruppe bediente man sich germanischer Formen noch in der zweiten Hälfte des 2. Jh. n. Chr. Ansonsten ist allerdings von einer kurzfristigeren Akkulturation auszugehen. Im linksrheinischen Gebiet wurde die germanischen Sachkultur bereits um die Mitte des 1. Jh. aufgegeben.
Der Übergang von einer einheimisch-germanischen ländlichen Siedlung zu einem römischen Gutshof in Ladenburg (Gewann Ziegelscheuer) datiert in das frühe 2. Jh. n. Chr. Etwa zeitgleich war der nahe gelegene römischen Militärvicus Lopodunum zum Zentralort der neu eingerichteten Civitas der Neckarsueben geworden. Da einheimische Germanen später im archäologischen Fundgut nicht mehr nachweisbar sind, darf man eine weitgehende Anpassung an die römische Kultur voraussetzen.

 

Inventar eines germanischen Brandgrabes aus Diersheim
Villa Ladenburg-Ziegelscheuer mit Kennzeichnung älterer germanischer Hofareale

Widerstand gegen die römische Herrschaft

Trotz des fortschreitenden Romanisierungsprozesses gab es Widerstand gegen die römische Herrschaft. Vom Sacrovir-Aufstand, der 21 n. Chr. in Gallien tobte, blieben die Gebiete der späteren germanischen Provinz aber wohl weitgehend verschont.
Durch die Schilderungen von Tacitus sind wir über insbesondere über die Vorgänge in den Jahren 69/70 n. Chr. gut informiert, in denen ein großflächiger Aufstand stattfand, der zu einem zeitweisen Verlust der Kontrolle Roms über Teile der späteren germanischen und gallischen Provinzen führte. Zunächst kam es zu einer Erhebung der Helvetier, die durch das Verhalten der in Vindonissa-Windisch stationierten 21. Legion provoziert worden waren. Der Aufstand wurde in der Folge brutal niedergeschlagen. Wenig später folgte der nach dem im Norden der Provinz Niedergermanien siedelnden Batavern benannte Aufstand. Diesem schlossen sich auch die auf dem Gebiet der späteren Provinz Obergermanien siedelnden Lingonen sowie Kontingente der Triboker, Vangionen und Caeracaten an. Auch die römischen Legionen von Mainz standen zeitweilig auf Seiten der Aufständischen. Auf dem Höhepunkt der Erhebung wurde ein Gallisches Reich (imperium Galliarum) ausgerufen. Der Widerstand gegen Rom wurde jedoch nicht von allen Stämmen mitgetragen, wie das Beispiel der Sequaner zeigt. Noch im späten 2. Jh. n. Chr. kam es zu nicht näher beschriebenen Tumulten im Gebiet der Sequaner, die auch die Entwicklung des Zentralortes Vesontio-Besançon nachhaltig beeinflussten.

Militärdienst

In den Hilfstruppeneinheiten der Armee konnten peregrine Einwohner des Römischen Reiches dienen, die kein Bürgerrecht besaßen. Teilweise waren die Stämme auch vertraglich zur Stellung von solchen Verbänden verpflichtet. Der Dienst in der Armee trug zur Romanisierung größerer Bevölkerungsteile bei. Seine Attraktivität lag auch in der Verleihung des Bürgerrechts an die Soldaten sowie ihre Frauen und Kinder am Ende der Dienstzeit. Die Rekrutierungsgebiete der Hilfstruppen lassen sich an den Beinamen der Einheiten ablesen. Wir kennen Einheiten der Helvetier, Sequaner, Rauriker, Vangionen, Nemeter, Aresaces und Mattiaker, teilweise auch in gemischten Verbänden. Die Rekrutierung in den Herkunftsgebieten beschränkte sich allerdings auf das 1. Jh. n. Chr. Später wurden Soldaten in der Regel aus der Umgebung des Standortes angeworben. Durch Inschriften sind auch zwei Neckarsueben bei den kaiserlichen Elitetruppen der Prätorianern belegt.

 

Grabstein des helvetischen Auxiliarreiters Rufus Coutus
Grabstein eines Prätorianers aus Fiesole

Kult

Relief der keltischen Göttin Epona
Einheimische Traditionen lassen sich besonders gut im Bereich der Religion fassen. Wir kennen eine Vielzahl von Inschriften, die Götternamen bzw. Beinamen römischer Gottheiten überliefern, die nicht der römischen Religion entstammen. Gleiches gilt für die bildlichen Darstellungen. Die Einflüsse können meist auf den keltischen Kulturkreis zurückgeführt werden.

Die Militärplätze

Legionslager Vindonissa-Winisch
Die Provinz Obergermanien stellt eine der am stärksten gesicherten Grenzregionen des Römischen Reiches dar. Bis zu vier Legionen waren im 1. Jh. n. Chr. hier stationiert. Ihre Standlager befanden sich in Mogontiacum-Mainz, Argentorate-Straßburg, Vindonissa-Windisch in der Nordschweiz und Mirebeau in Burgund. Seit dem späten 1. Jh. n. Chr. sank die Truppenpräsenz auf zwei Legionen, die in Mainz und Straßburg ihr Quartier hatten. Die Lager für die Legionen stellen auch die größten bekannten Militärplätze dar. Der Platzbedarf lag bei ca. 20 ha pro Einheit. Daneben kennen wir auch Kastelle, die nur Teile (Vexillation) einer Legion beherbergten, so etwa Rottweil.

Die eigentliche Aufgabe der Grenzüberwachung lag bei den Hilfstruppeneinheiten, deren Kastelle sich im Bereich der Grenze befanden. Diese war in mehreren Ausbauphasen vom 1. bis zur Mitte des 2. Jh. n. Chr. nach Osten vorgeschoben worden (s.o.). Die Verbände rekrutierten sich normalerweise aus Provinzbewohnern ohne Bürgerrecht. Es gab Infanterie- (Kohorten) und Reitereinheiten (Alen) sowie gemischte Verbände. Am häufigsten kommen dabei Einheiten von ca. 500 Soldaten vor, relativ selten auch solche mit ca. 1000 Soldaten. Daneben existierten ab dem 2. Jh. n. Chr. auch kleinere Einheiten (Numeri) mit ca. 150 Soldaten. Die meisten Kastelle für die 500 Mann starken Infanterieeinheiten erreichten eine Größe zwischen 1,4 ha und 2,5 ha. Daneben existierten im Rahmen des Grenzverkehrs genutzte Kleinkastelle mit teilweiseweniger als 0,1 ha. Die als Palisade bzw. später auch mit Wall und Graben ausgeführten Limeslinien waren zusätzlich noch von mit Türmen versehen. Diese Anlagen werden heute weniger unter dem Aspekt der Grenzverteidigung, als vielmehr als überwachte Linien angesehen, die den Zugang zum Römischen Reich kontrollieren und lenken sollten.

Teilweise rekonstruiertes Kastell Saalburg im Taunus
Kleinkastell Rötelsee bei Welzheim
Idealrekonstruktion eines Wachturms am Odenwaldlimes

Rekonstruktion des Kastells Zugmantel
Um die Militärlager herum entwickelten sich auch zivile Niederlassungen. Die bei Legionslagern als canabae und bei Auxililarkastellen als vici bezeichneten Siedlungen konnten dabei beachtliche Größen erreichen. Einige von ihnen blieben nach dem Abzug der jeweiligen Militäreinheit bestehen und konnten auch den Status eines Civitasvorortes erreichen wie z. B. Wiesbaden oder Ladenburg, andere wurden fortan bedeutungslos.

Die Kolonien

Die Gründung zweier Kolonien im Gebiet der Helvetier (colonia Iulia Equestris-Nyon) und Rauriker (colonia Augusta Raurica-Augst) um die Mitte der 40er Jahre des 1. Jh. v. Chr. fällt in einen sehr frühen Zeitraum. Sie stellt damit auch die älteste bekannte Maßnahme zur römischen Raumordnung im Gebiet der späteren Provinz Obergermanien dar. In beiden Fälle handelte es sich um Veteranenkolonien. Aufgrund ihrer Lage am Genfer See kam der colonia Iulia Equestris die Überwachung der als unsicher geltenden Helvetier zu, denen so der strategisch Weg in die Provinz Gallia Narbonnensis versperrt wurde. Auch die Lage der colonia Augusta Raurica im Bereich des Rheinknies dürfe auf strategische Überlegungen zurückgehen. Dass die beiden Koloniegründungen aber tatsächlich zu unmittelbaren Siedlungsaktivitäten durch Veteranen führten, ist eher unwahrscheinlich. Die archäologische Überlieferung im Bereich der Städte setzt erst im letzten bzw. vorletzten Jahrzehnt v. Chr. ein. Die Möglichkeit einer abweichenden Lokalisierung der frühen Augster Kolonie im Bereich des Basler Münsterhügels wurde erwogen, lässt sich aber nicht beweisen. Es ist eine Neugründung in augusteischer Zeit inschriftlich belegt, was gut zu den archäologisch gewonnen Daten passt. Möglich wäre in beiden Fällen, dass sich die praktische Umsetzung der Koloniegründung aufgrund der römischen Bürgerkriege und der späteren Eroberung der Alpengebiete um mehrere Jahrzehnte verzögerte.

 

 

Gesamtplan der colonia Augusta Raurica-Augst
Colonia Augusta Raurica-Augst, Stadtansicht
Gesamtplan der colonia Iulia Equestris-Nyon

Als zweite Kolonie auf dem Gebiet der Helvetier entstand die colonia Helvetiorum-Avenches. Dabei erhielt um 70 n. Chr. der Hauptort der Gebietskörperschaft der Helvetier (civitas Helvetiorum) den höheren Status einer Kolonie. Diese Maßnahme weicht von den zuvor genannten Neugründungen ab. Ob es sich hierbei um eine Veteranenkolonie handelte, also mit einem Zuzug von Neusiedlern zu rechnen, ist unklar. Möglich wäre auch eine Erhöhung des rechtlichen Status. Für die Erhebung zur Kolonie spielten strategisch-militärische Überlegungen wohl keine Rolle. Vielmehr dürften die persönliche Verbindung zu Kaiser Vespasians entscheidend gewesen sein, dessen Vater geschäftlich mit den Helvetiern verkehrt hatte.

Gesamtplan von Aventicum-Avenches
Aventicum-Avenches, Rekonstruktion des westlichen Stadtquartiers

Die bauliche Ausstattung der Kolonien lassen sie zu einem frühen Zeitpunkt bereits als stark romanisierte Gemeinwesen erscheinen. Inwieweit aber Legionsveteranen dazu beitrugen, ist unklar. Während sich in Augst und Nyon nur wenige relevante Inschriften erhalten haben, finden wir in Avenches durchwegs einheimische städtische Repräsentanten. Bei der Verteilung der Kolonien fällt deren Konzentration im südlichen Teil der Provinz auf, der bis in flavische Zeit noch Teil der Provinz Gallia Belgica war. Einen räumlichen Bezug von Kolonien zu Legionslagern, wie sie in anderen Grenzprovinzen zu finden sind, sucht man in Obergermanien vergeblich. Sie entstanden weder in der unmittelbaren Umgebung, wie dies aus den Donauprovinzen bekannt ist, noch in aufgegebenen Lagern wie in Britannien.

Kolonien in der Provinz Obergermanien

Das Verkehrswesen

Straßen

Die Provinz Obergermanien durchzogen wichtige Fernstraßenzüge sowohl in Nord-Süd-, als auch in Ost-Westrichtung. Diese erfüllten insbesondere auch militärische Zwecke, da sie zum Durchmarsch großer Truppenkontingente dienten. Aufgrund ihrer Lage bildete die Provinz ein Bindeglied zwischen dem gallischen, dem donauländischen und dem oberitalischen Raum. Die Reichsstraßen (viae publicae) als wichtige offizielle Verkehrswege lassen sich auch durch Schriftquellen nachweisen. Das itinerarium Antonini, ein Verzeichnis von Verkehrwegen mit Angabe der zu passierenden Ortschaften in Listenform, entstand im frühen 3. Jh. n. Chr. und wurde noch bis ins 4. Jahrhundert ergänzt. Die durchaus großräumige Wahrnehmung der Verkehrswege wird etwa die dortige Wegebeschreibung von Mailand nach Mainz (iter a Mediolano per Alpes Poeninae Mogontiacum) deutlich. Darüber hinaus ist mit der tabula Peutingeriana eine bis in das Mittelalter kopierte Straßenkarte erhalten, die im 4.-5. Jh. n. Chr. entstand, aber teilweise noch ältere Verhältnisse widerspiegelt. Sie zeichnet schematisch die Verbindungen zwischen einzelnen Etappen, gibt jedoch nicht die Topographie des Geländes wieder. Darüber hinaus sind aus der Provinz mehr als 100 beschriftete Meilensteine überliefert, die in der Regel einen Kaiser und die Entfernung zu einem Zentralort nennen. Die säulenförmigen Monumente waren meist etwa 2 m hoch und direkt am Wegesrand aufgestellt. Während die Inschriften im 1. Jh. n. Chr. noch konkrete Baumaßnahmen nennen, werden sie ab dem fortgeschrittenen 2. Jh. n. Chr. zunehmend zu Ehreninschriften ohne konkreten Bezug zum Straßenbau. Die Entfernungen wurden in Meilen (1,48 km) bzw. Leugen (2,22 km), einem keltischen Längenmaß, angegeben.
Die von Norditalien über die Alpenpässe kommenden Verkehrswege führten nach Norden über die Provinzhauptstadt Mainz bis nach Niedergeramanien. Aus Gallien im Westen kommend, führten mehrere Verbindungen bis an den Rhein bzw. in den Schweizer Raum. Die Straßen nach Osten verliefen südlich des Rheins bzw. durch das rechtsrheinische Provinzgebiet. Die ersten römischen Verkehrswege entstanden ab dem späten 1. Jh. v. Chr. im Zeitalter des Kaisers Augustus. Ein bedeutende Erleichterung des Ost-West-Verkehrs brachten dann die um 75 n. Chr. eroberten rechtrsrheinischen Gebiete, in denen nach der Eroberung Verkehrsverbindungen über Arae Flaviae-Rottweil nach Argentorate-Straßburg und rechtsrheinisch über Lopodunum-Ladenburg nach Mainz entstanden.
Neben den durch schriftliche und inschriftliche Quellen bekannten Straßen existierten auch noch weitere Verkehrswege, die die bekannten Dokumente nicht überliefern bzw. einen anderen Status besaßen. Diese waren oft von regionaler Bedeutung und stellten Querverbindungen zu den großen Straßen her. Abschnitte von römischen Straßen wurden auch bei archäologischen Ausgrabungen oder auch auf Luftbildern entdeckt. Die Breite der Hauptverkehrsverbindungen lag bei 15-18 m und bestand üblicherweise aus einer mittleren, geschotterten Fahrspur, zwei seitlichen Erdwegen und Straßengräben an beiden Seiten. Der Aufbau der Fahrbahn war dem Untergrund angepasst, meist aus mehreren Lagen Sand und Kies aufgebaut, wobei aber auch in feuchtem Gelände Baustämme als Unterbauten hinzukommen konnten. Die römische Wegeführung entspricht in Einzelfällen noch der heutigen. Schwieriges Gelände konnte auch zu aufwendigen Lösungen führen, wie der Felsdurchstich Pierre Pertuis an der Straße von Petinesca-Studen nach Augusta Raurica-Augst in der Schweiz zeigt. Die dort erhaltene Inschrift eines Beamten von Aventicum-Avenches datiert um 200 n. Chr.

 

 

 

Im gallisch-germanischen Raum nachgewiesene Fernstraßen
Reste einer römischen Straße bei Burladingen
Meilenstein aus Köngen
Straßentunnel Pierre Pertuis mit Inschrift

Brücken

Zu den bemerkenswerten römischen Ingenieurleistungen in der Provinz Obergermanien zählen die Brückenbauten über den Rhein. Das älteste bekannte Exemplar wurde von Caesar im Jahr 55 v. Chr. an unbekannter Stelle im Bereich des Neuwieder Beckens in nur zehn Tagen über den Rhein geschlagen. Sie erfüllte eine strategische Funktion im Zusammenhang mit einem Feldzug gegen die Germanen und diente auch Demonstration römischer Leistungsfähigkeit. Ebenfalls im Zusammenhang mit einem Feldzug entstand die Brücke zwischen Koblenz und Ehrenbreitstein, die sich aufgrund von Dendrodaten in das Jahr 49 n. datieren lässt. Diese ca. 350 m Holzkonstruktion lange wurde wohl nach der Erbauung nicht mehr gewartet und verfiel so.

Rekonstruktion eines Abschnitts der 49 n. Chr. errichteten Brücke über den Rhein in Koblenz

Andere Brückenbauten in der Provinz verfügten über eine längere, teilweise mehrere Jahrhunderte umfassende Geschichte. Die größte Rheinbrücke verband Mogontiacum-Mainz mit Castellum Mattiacorum-Mainz Kastel. Anhand eines Dendrodatums ist eine Holzkonstruktion bis zum Jahr 27 n. Chr. anzunehmen. Später wurde die 420 m lange Brücke mit 31 Steinpfeilern versehen mit einer aus Holz konstruierten trug die Fahrbahn. Die Steinpfeiler waren mit mehr als 600 Pfählen fundamentiert. Reparaturarbeiten lassen sich anhand von Kleininschriften bis in das frühe 3. Jahrhundert nachweisen. Die Mainzer Brücke ist auch die einzige aus Obergermanien, von der wir eine bildliche Darstellung besitzen. Es handelt sich dabei um das „Lyoner Bleimedaillon“, den Probeabschlag einer um 300 geprägten großformatigen Goldmünze. Reste weiterer römischer Rheinbrücken aus Stein, die in die frühe und mittlere Kaiserzeit datieren dürften, wurden in Cambete-Kembs und Augusta Raurica-Augst ausgemacht. Daneben ist mit weiteren Übergängen, etwa im Bereich des Legionslager Argentorate-Straßburg zu rechnen.

 

Rekonstruktion eines Pfahlrostes der Mainzer Römerbrücke im 19. Jh.
Umzeichnung des „Lyoner Bleimedaillons“ mit Darstellung der Mainzer Römerbrücke um 300 n. Chr.

Größere Brückenbauten konnten auch an den Nebenflüssen nachgewiesen werden. Bei manchen dieser Bauten bleibt jedoch ihre Zuweisung zur römischen Epoche aufgrund fehlender Datierungen der Bauhölzer unsicher. Es lassen sich Brücken über die Nahe, den Main, den Neckar und die Jagst nachweisen. Baudaten liegen etwa für die hölzernen Fundamentpfeiler der steinernen Mainbrücke in Großkrotzenburg für das Jahr 134 n. Chr. oder auch für die Bingener Mainbrücke für das Jahr 77 n. Chr. vor. Für die 84 m lange Holzbrücke über die Broye bei Le Rondet in der Schweiz konnte eine Erbauung im Jahr 31 n. und die Erneuerung im Jahr 229 n. Chr. nachgewiesen werden.

Rekonstruktion der hölzernen Brücke über die Broye bei Le Rondet

Schifffahrt

Die Provinz Obergermanien ist in hohem Maße durch ihre Flüsse geprägt. Von besonderer Bedeutung sind der Rhein und seine schiffbaren Nebenflüsse, vor allem Main und Neckar. Lediglich im Westen finden wir Abschnitte von Flüssen, die ins Mittelmeer bzw. den Atlantik führen. Bezeichnenderweise verläuft ein Abschnitt der östlichen Provinzgrenze entlang der europäischen Wasserscheide. Die Wasserwege waren aufgrund des preisgünstigeren Warentransportes gegenüber dem Landweg in wirtschaftlicher Hinsicht bedeutend. Originale Schiffsteile sind aus Mainz, dem Rhein in der Nähe von Straßburg sowie dem Murten- und Neuenburgersee in der Schweiz bekannt. Den wichtigsten Schiffstyp für den Warentransport bildeten die als Prähme oder Plattbodenschiffe bezeichneten Wasserfahrzeuge. Der kastenförmige Rumpf war an Bug und Heck abgeschrägt, so dass sie auch ohne entsprechende Hafenanlagen an einem Ufer anlanden konnten. Aufgrund von Resten eines Prahm aus Mainz, dessen Bauholz laut dendrochronologischer Untersuchungen im Jahr 81 n. Chr. gefällt worden war, ließen sich die originalen Maße auf ca. 40 m Länge und 5 m Breite rekonstruieren. Hingegen wiesen die Lastkähne des 1. und 2. Jh. n. Chr. aus Yverdon und Bevaix Längen von ca. 20 m auf. Aus Inschriften kennen wir einzelne Schiffer (nautae) sowie Vereinigungen, als collegia bezeichnet, zu denen sie sich zusammengeschlossen hatten. Die Kollegien konnten auf bestimmte Flussläufe oder Seen beschränkt sein. Die Hafenanlagen, die bei jeder größeren Siedlung am Wasser vorauszusetzen sind, kennen wir bislang kaum. Bemerkenswert ist ein 1300 m langer Kanal, der die Kolonie Aventicum-Avenches mit dem Flusshafen am Murtensee verband.

Modell nach den Resten eines in Mainz gefundenen Prahms
Reste des Lastkahns aus dem 2. Jh. n. Chr. im Neuenburger See
Aventicum-Avenches um 180 n. Chr. mit Hafen und Kanal
Grabstein des Schiffers Blussus aus Mogontiacum-Mainz

Auch die Flößerei war aufgrund der Flusssysteme und des Holzreichtums in den östlichen Provinzteilen bedeutsam. Über den Rhein und seine Nebenflüsse wurde Bauholz nach Norden auch über die Provinzgrenze hinweg in die eher holzarme Provinz Niedergermanien transportiert. Der Umfang dieser Aktivitäten lässt sich allerdings kaum nachweisen. Es ist umstritten, ob auch die Flößer zu den oben genannten Vereinigungen der Schiffer gehörten.


Zusammenfassung

Die Provinz Germania superior war erst um 85 n. Chr. eingerichtet worden. Spätestens seit 16 n. Chr. hatte ein Militärbezirk bestanden, der allerdings nicht den südlichen und westlichen Teil der späteren Provinz umfasste. Die Germanienkriege prägten die Frühzeit zwischen 13 v. Chr. und 16 n. Chr. Sie führten letztlich zur vorläufigen Aufgabe der geplanten Eroberung rechtsrheinischer Gebiete und der Einrichtung einer neuen Provinz. Deren großflächige Annexion fand schließlich zwischen ca. 72 n. Chr. und 160 n. Chr. in mehreren Etappen statt. Innerhalb der Provinz können wir eine unterschiedliche Entwicklung der westlichen und südlichen Abschnitte auf der einen und den nördlichen und rechtsrheinischen Abschnitte auf der anderen Seite fassen. Während erstgenannte seit vorrömischer Zeit durch traditionsreiche keltische Stämme kontinuierlich beherrscht wurde, waren die übrigen einer Zuwanderung von germanischen Gruppen seit dem 1. Jh. v. Chr. unterworfen.
Die südlichen und westlichen Territorien gehörten bis zur Konstituierung der Provinz Obergermanien noch zur Gallia Belgica und hatten eine rasche zivilisatorische Entwicklung genommen. Hier lagen auch die einzigen Koloniegründungen. Ebenso ist hier der munizipale Kaiserkult früher und häufiger nachweisbar. Dagegen war die Entwicklung der nördlichen Provinzteile sehr stark an das Militär gekoppelt. So können wir für die Hauptstadt Mogontiacum-Mainz, die ein Legionslager beherbergte, keinen zivilen Stadtstatus bis ins fortgeschrittene 3. Jh. n. Chr. nachweisen. Trotzdem fanden hier seit dem frühen 1. Jh. n. Chr. jährliche Feierlichkeiten von überregionaler Bedeutung zu Ehren von Augustus Stiefsohn Drusus sowie dessen Sohn Germanicus statt. Unruhen wie der Helvetier- und Lingonenaufstand des Jahres 69 n. Chr. lassen erkennen, dass die römische Herrschaft noch lange nach der Eroberung nicht gefestigt war. In der materiellen Kultur und der Religion können überdies einheimische Elemente noch bis in das 3. Jh. n. Chr. hinein nachgewiesen werden. Aufgrund ihrer Lage stellte die die Provinz ein Bindeglied für Heeresbewegungen und Handelsgüter in nord-südlicher wie in ost-westlicher Richtung dar. Dies spiegelt sich in einem gut ausgebauten Straßennetz sowie nicht minder bedeutenden Flussverbindungen wider.

Th. Schmidts


Literatur (Auswahl)

B. Arnold, Architecture navale en Helvetie a l'epoque romaine: les barques de Bevaix et d'Yverdon. Helvetia Archaeologica, 20 (77), 1989, 2-28.

D. Baatz (Hrsg.), Die Römer in Hessen (Stuttgart2 1986).

D. Baatz (Hrsg.), Der römische Limes. Archäologische Ausflüge zwischen Rhein und Donau (Berlin3 1993).

S. Bauer, Römische Floßhölzer und Fässer aus Mainz. Auf den Suren der Flößer und Böttcher in Obergermanien. In: Neue Forschungen zur römischen Besiedlung zwischen Oberrhein und Enns. Schriften der Archäologischen Staatssammlung 3 (Remshalden-Grunbach 2002) 207-221.

S. Bolliger, Untersuchungen zum römischen Straßennetz in der Schweiz. Inventar der römischen Siedlungen und Straßen. Bonner Jahrbücher 202/203, 2002/2003, 237-266.

M. Carroll, Römer, Kelten und Germanen. Leben in den germanischen Provinzen Roms (Darmstadt 2003).

H. Cüppers (Hrsg.), Die Römer in Rheinland-Pfalz (Stuttgart 1990).

H. Cüppers, Die Trierer Römerbrücken. Trierer Grabungen und Forschungen V (Mainz 1969) 184-193.

W. Drack/R. Fellmann, Die Römer in der Schweiz (Stuttgart 1988).

St. Fichtl, La ville celtique: Les oppida de 150 av. J.-C. à 15 ap. J.-C. (Paris 2005).

Ph. Filtzinger/D. Planck /B. Cämmerer (Hrsg.), Die Römer in Baden-Württemberg (Stuttgart3 1986).

F. Fischer, Südwestdeutschland im letzten Jahrhundert vor Christi Geburt. In: Archäologie in Württemberg (Stuttgart 1988) 235-250.

P. Flotté/M. Fuchs, Le Bas-Rhin. Carte Arch. Gaule 67/1. (Paris 2000).

R. Frei-Stolba, Recherches sur les institutions de Nyon, Augst et Avenches. In : Cités, municipes, colonies. Les processus de municipalisation en Gaule et en Germanie sous le Haut Empire romain (Paris 1999) 29-95.

L. Flutsch / U. Niffeler / F. Rossi (Hrsg.), Die Römerzeit in der Schweiz. Die Schweiz vom Paläolithikum bis zum frühen Mittelalter (SPM) 5 (Basel 2002).

A. R. Furger, Die urbanistische Entwicklung von Augusta Raurica vom 1. bis zum 3. Jahrhundert. Jahresbericht aus Augst und Kaiseraugst 15, 1994, 29-38.

E. Frézouls, Les villes antiques de la France. II. Germanie Supérieure. 1. Besançon, Dijon, Langres, Mandeure. (Strasbourg 1988).

J. Heiligmann, Römische Schifffahrt in Südwestdeutschland. In: Einbaum, Lastensegler, Dampfschiff: Frühe Schifffahrt in Südwestdeutschland. ALManach 5/6, 2000/2001, 93-108.

H. E. Herzig. Untersuchungen zum römischen Straßennetz in der Schweiz. Der Versuch einer Mikrostraßengeschichte. Bonner Jahrb. 202/203, 2002/2003, 227-236.

P. Haupt /Pare, Die jüngere Latènezeit im Alzeyer Raum: zum Schicksal der keltischen Bevölkerung am nördlichen Oberrhein. In: Bevor die Römer kamen. Kelten im Alzeyer Land. Alzeyer Geschichtsblätter Sonderheft 17 (Mainz 2003).

O. Höckmann, Reste römischer Prähme und Hafenanlagen vom Kappelhof in Mainz. Mainzer Archäologische Zeitschrift 2, 1995, 131-166.

A. Johnson, Römische Kastelle des 1. und 2. Jahrhunderts n. Chr. in Britannien und in den germanischen Provinzen des Römerreiches (Mainz 1987).

P. Jud (Hrsg.), Die spätkeltische Zeit am südlichen Oberrhein. Le Rhin supérieur à la fin de l'époque celtique. Kolloquium Basel 1991 (Basel 1994).

M. Kemkes/J. Scheuerbrandt/N. Willburger, Am Rande des Imperiums Der Limes - Grenze Roms zu den Barbaren (Stuttgart 2002).

M. Klee, Der Limes zwischen Rhein und Main (Stuttgart 1989).

M. J. Klein (Hrsg.), Die Römer und ihr Erbe. Fortschritt durch Innovation und Integration. Ausstellungskatalog Mainz (Mainz 2003).

G. Lenz-Bernhard, Lopodunum III. Die neckarswebische Siedlung und Villa rustica im Gewann "Ziegelscheuer". Eine Untersuchung zur Besiedlungsgeschichte der Oberrheingermanen. Forsch. u. Ber. Vor- u. Frühgesch. Baden-Württemberg 77 (Stuttgart 2002).

G. Lenz-Bernhard/H. Bernhard, Das Oberrheingebiet zwischen Caesars Gallischem Krieg und der flavischen Okkupation (58 v.-73 n.Chr.). Eine siedlungsgeschichtliche Studie. Mitteilungen des Historischen Vereins der Pfalz 89, 1991.

H. Nesselhauf, Die Besiedlung der Oberrheinländer in römischer Zeit. Badische Fundberichte 19, 1951, 71-85.

D. Planck (Hrsg.), Imperium Romanum. Roms Provinzen an Neckar, Rhein und Donau. Ausstellungskatalog Stuttgart (Stuttgart 2005).

D. Planck/W. Beck, Der Limes in Südwestdeutschland (Stuttgart 1987).

D. Planck/S. von Schnurbein, Der römische Limes in Deutschland (Stuttgart 1992).

M. Th. Raepsaet-Charlier, Les instutitions municipals dans les Germanies sous le Haut Empire. In: Cités, municipes, colonies. Les processus de municipalisation en Gaule et en Germanie sous le Haut Empire romain (Paris 1999) 271-352.

M. Th. Raepsaet-Charlier, Gallien und Germanien. In: Rom und das Reich in der Hohen Kaiserzeit 44 v. Chr. – 260 n. Chr. II. Die Regionen des Reiches (München/Leipzig 2001).

M. Rathmann, Untersuchungen zu den Reichsstraßen in den westlichen Provinzen des Imperium Romanum. Beihefte der Bonner Jahrbücher 55 (Mainz 2003).

O. Schlegel, Germanen im Quadrat. Die Neckarsueben im Gebiet von Mannheim, Ladenburg und Heidelberg während der frühen Kaiserzeit. Internationale Archäologie 34 (Rhaden/Westf. 2000).

St. G. Schmid, Die Bauinschrift eines Bades und der Kaiserkult in Augusta Raurica – Bemerkungen zu CIL XIII 5266, CIL XIII 5274 und CIL XIII 5275. In: Tituli Rauracenses 1. Testimonien und Aufsätze. Forschungen in Augst 29 (Augst 2000) 95-106.

H. Schönberger, Die römischen Truppenlager der frühen und mittleren Kaiserzeit zwischen Nordsee und Inn. Ber. RGK 66, 1985, 321–497.

M. P. Speidel/B. Scardigli, Neckarsueben (Suebi Nicrenses). Archäologisches Korrespondenzblatt 20, 1990, 241-207.

L. Vaxelaire/Ph. Barral, Besançon: de l'oppidum à la ville romaine. In: La naissance de la ville dans l'antiquité (Paris 2003) 239-261.

F. Vittinghoff, Die politische Organisation der römischen Rheingebiete in der Kaiserzeit. In: Civitas Romana. Stadt und politisch-solziale Integration im Imperium Romanum der Kaiserzeit (Stuttgart 1994) 66-88 (Abdruck eines Beitrages von 1976).

L. Wamser/Ch. Flügel/B. Ziegaus (Hrsg.), In: Die Römer zwischen Alpen und Nordmeer. Schriftenreihe der Archäologischen Staatssammlung 1. Ausstellungskatalog Rosenheim (Mainz 2000).

G. Wieland, Die Spätlatènezeit in Württemberg. Forschungen zur jüngeren Latènekultur zwischen Schwarzwald und Nördlinger Ries. Forschungen und Berichte zur Vor- und Frühgeschichte in Baden-Württemberg 63 (Stuttgart 1996).

G. Wieland, Keltische Viereckschanzen. Einem Rätsel auf der Spur (Stuttgart 1999).

E. B. Wightman, Lugdunensis, Belgica or Germania superior? In: Studien zu den Militärgrenzen Roms. Vorträge des 10 internationalen Limeskongresses (Köln 1977) 207-217.

J. Wilmanns, Die Doppelurkunde von Rottweil und ihr Beitrag zum Städtewesen in Obergermanien. In: Epigraphische Studien 12 (Köln, Bonn 1981) 1-182.

H. Wolff, Einige Probleme der Raumordnung im Imperium Romanum, dargestellt an den Provinzen Obergermanien, Raetien und Noricum. Ostbairische Grenzmarken 28, 1986, 152-177.

H. Wolff, Die römische Erschließung der Rhein- und Donauprovinzen im Blickwinkel ihrer Zielsetzung. In: Römische Inschriften – Neufunde, Neulesungen und Neuinterpretationen. Festschrift H. Lieb (Basel 1995) 309-340.

W. Zanier, Funde der keltischen Viereckschanzen bis in frühe römische Kaiserzeit? Fundber. Baden-Württemberg 28/1, 2005, 207-236.