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Der Name Lauriacum ist keltisch (ungefähr: "bei den Leuten des Laurios"), eine größere vorrömische Siedlung im Nahbereich ist aber nicht nachweisbar.
In Lauriacum, links der Mündung der Enns in die Donau, bestand wohl schon in der zweiten Hälfte des 1. Jh. ein nicht unbedeutender Vicus mit streifenhausartiger Verbauuung an der mit der Limesstrasse identischen heutigen Stadelgasse. Weiter im Westen enstand frühestens im beginnenden vierten Viertel des 2. Jh. ein zweiter Siedlungskern, der heute gerne als "Zivilstadt" angesprochen wird.
Im Zuge der Markomannenkriege wurde zuerst in Albing rechts der Enns, ab ca. 190 dann in Lauriacum die legio II Italica stationiert, wo sie bis in die Spätantike verblieb. Lauriacum wurde damit ständiger Sitz des legatus Augusti propraetore, des Statthalters der Provinz Noricum. Nördlich des Legionslagers entwickelten sich ausgedehnte canabae legionis, auch die dem Lager gegenüber etwas ältere Siedlung westlich des Lagers wurde rasch größer und wuchs mit dem frühen Vicus im Süden des Lagers zusammen.
Wegen des Fundes von zahleichen Bronzetafelfragmenten mit Stadtrechtsparagraphen wird von vielen Forschern ein Stadtrecht für die Siedlung durch Kaiser Caracalla /211–217) angenommen. Die Fragmente stammen allerdings als Altmetall – hergerichtet zur Wiederverwendung – aus spätantiken Zusammenhängen und gehören zu mindestens fünf verschiedenen Urkunden, weswegen es sich auch um Abschriften anderer norischer Stadtrechte handeln könnte. Da außerdem bisher keine Inschrift oder sonstige Quelle ein Statut oder städtische Organe nennt und Lauriacum noch nie als Herkunftsangabe belegt ist, muss das Stadtrecht weiterhin bezweifelt werden.
In der älteren Literatur wurde ein Auxiliarkastell des 1./2. Jh. vermutet, das sich bisher archäologisch nicht bestätigen ließ und heute als unwahrscheinlich gilt. Das einzige Lager dürfte das der legio II Italica pia fidelis sein, das noch vor 200 bezogen worden sein dürfte. Auf Ziegelstempeln und einer Steininschrift werden neben der Legion milites auxiliares Lauriacenses genannt. In der Spätantike nennt die notitia dignitatum eine classis Lauriacensis und lanciarii Lauriacenses bezeugt.
Die Anlage der Wohnviertel in der sog. Zivilstadt richtet sich im Wesentlichen nach den Vorgaben der das Legionslager im Süden umgehenden Limesstraße und zweier auf die porta decumana des Lagers ausgerichteten Straßen. Die Straße in Verlängerung des Lagerdecumanus, heute noch als Mitterweg bezeichnet, könnte man als decumanus maximus der Zivilsiedlung werten. Zumindest eine weitere Straße in ihrem Süden und mehrere im Norden ziehen parallel. Über die darauf normal gebauten cardines ist nicht allzu viel bekannt.
Die durch Ausgrabungen der 50er bis 70er Jahre des 20 Jh. bekannte Ausdehnung eines geschlossen verbauten Gebietes von 400 x 600 m ist durch neuere unpublizierte Notgrabungen bei weitem übertroffen worden.
Alle bekannten Bauten öffentlicher Funktion liegen am Ostrand der sog. Zivilstadt, am Rande des baufreien Streifens zum Legionslager.
Ganz im Norden des bekannten Verbauungsgebietes, unter der von der Spätantike bis heute bestehenden Kirche St. Laurentius wurden Teile eines repräsentativen Wohnbaues mit über 1.200 m² erkennbarer Baufläche und zumindest einem großen Saal ausgegraben. Das Gebäude besitzt bis zu sechs Bauphasen ab dem späten 2. Jh., bevor es im 5. Jh. in eine Kirche umgewandelt wurde. Die Deutung des Ausgräbers als Tempel der Kapitolinischen Trias oder eines einheimischen Mars wird heute einhellig abgelehnt. Wahrschenlich handelt es sich um das praetorium des Legionskommandanten und Statthalters von Noricum. Die vom Ausgräber vorgelegten Phasenpläne entbehren in vielfacher Hinsicht jeder inneren Wahrscheinlichkeit und werden derzeit grundlegend überarbeitet. Der umgebende, bis heute benützte Friedhof verhinderte bisher großflächigere moderne Untersuchungen.
Südlich des Friedhofs der Laurentiuskirche wurde zwischen den beiden auf das Lagertor zielenden Straßen eine als forum venale (Marktplatz) bezeichnete trapezoide Platzanlage (durchschnittliche Maße: 50 x 63 m) durch Suchgräben erschlossen. Im Westen wurde eine mit mehreren Heizkanälen ausgestattete Basilika rekonstruiert, an der gegenüberliegenden Langseite eine einfache Halle. Im Norden und Süden wurden verschiedene Räume angeschnitten. Freistehende Bauten im Norden und Südwesten wurden ebenfalls nur teilweise freigelegt, sie wurden versuchsweise als Tempel bezeichnet, wofür es aber keine zwingenden Gründe gibt. Für die Reihe großer, von Wegen getrennter Räume westlich der Basilika ist eine stimmige Interpretation ebenfalls schwierig.
Südlich der Bundestraße wurde ein Bad vom Reihentyp ausgegraben, das neben den drei annähernd gleich großen Baderäumen (Raumgrößen bei ca. 6,4 x 4,7 m) nur über ein winziges Apodyterium verfügte. Caldarium und Frigidarium besaßen Südapsiden. Das nördliche Klima bedingte für fast jede Raumeinheit ein eigenes Praefurnium, das Caldarium besaß noch ein weiteres in der Apsis.
Tempelbauten oder Heiligtümer sind bisher in Lauriacum nicht nachweisbar. Auf Wasserleitungen liegen Hinweise vor. Eine Stadtmauer hat es nie gegeben, da die Bevölkerung in der Spätantike in das nur noch schwach besetzte Legionslager übersiedelte.
Generell sind die Wohnhäuser als frei stehende Bauten mit Vor- und Innenhöfen zu bezeichnen, ein geschlossenes Insulasystem ist nirgends zu erkennen. Allerdings sind die meisten Privathäuser nur in Suchschnitten erschlossen, über die einzelnen Bauphasen, deren Datierung und Grundrisse sind beim derzeitigen Publikationsstand keine sicheren Informationen zu gewinnen.
Vom Legionslager ist abschnittsweise der Umfassungsgraben im Norden und Osten im Gelände erkennbar. Unter der Ehrenbasilika St. Laurentius sind die Ruinen des vermutlichen praetorium und der darüber errichteten frühchristlichen Kirche konserviert. Das Museum Lauriacum befindet sich am Stadtplatz von Enns.
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Grabungsberichte und Studien laufend in: Fundberichte aus Österreich; Mitteilungen des Musealvereins Lauriacum.