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Das einzige in flavischer Zeit, genauer von Vespasian (69–79), gegründete municipium in Noricum, Falvia Solva, liegt am westlichen Ufer der Mur nahe der Mündung des Sulmbaches, der als namensgebend für die Stadt angesehen wird. Bereits in mittel- bis spätaugusteischer Zeit bestand am Flussübergang ein Vicus mit Holzhäusern. An anderen Stellen wurden Holzbauten des mittleren 1. Jh. n.Chr. (claudisch-neronisch) festgestellt, deren Orientierung von der flavischen Stadtvermessung deutlich abweicht. Eine kontinuierliche Besiedlung bis zur Stadterhebung ist bisher nicht nachzuweisen. Militär war im Bereich der Stadt und in ihrer weiteren Umgebung anscheinend nie stationiert.
Die Stadt besitzt nach derzeitigem Forschungsstand eine dicht verbaute Fläche von annähernd 600 zu 400 m, wies aber ursprünglich wohl einen ungefähr quadratischen Grundriss auf. Die heute fehlenden Bauflächen im Osten mit dem Forum und anderen öffentlichen Gebäuden dürften in nachantiker Zeit von der Mur zerstört und teilweise ganz weggeschwemmt worden sein. Die regelmäßig angelegten und mit Mauern eingefassten Baublöcke werden von 12 bis 20 m breiten Straßenflächen getrennt. Die beiden zentralen Insulareihen beidseits der von Norden kommenden, in der Stadt als decumanus maximus anzusprechenden Fernstraße besitzen Regelgrößen von ca. 71 m Länge (Ost-West) und etwa 59 m Breite, nach Westen zu folgt eine Baublockreihe von 45 m Breite, zum Rand hin wird dann das Verbauungsschema in zwei weiteren Insulareihen relativ unregelmäßig. In West-Ost-Richtung gesehen weisen die zwei Reihen im Zentrum, zwischen denen der cardo durchgelaufen sein dürfte, im Gegensatz zu den oben beschriebenen Breiten von 60 m auch im Zentrum nur eine solche von maximal 41 m auf. Trotz einer anscheinend nur vorübergehenden Besiedlung von Teilen des späteren Stadtgebietes in augusteischer Zeit stellt der Stadtplan das Ergebnis einer einheitlichen Planung ohne Berücksichtigung allfällig vorhandener vorstädtischer Strukturen dar.
Die Stadt ist in großen zusammenhängenden Flächen durch Ausgrabungen und Bodenmessungen etwa zu 70% untersucht, leider sind die meisten Grabungen vor dem 2. Weltkrieg durchgeführt und nie ausreichend publiziert worden bzw. sind die damals erarbeiteten Datierungen und Baufolgen als unverlässlich anzusehen.
Nach bisherigem Wissenstand hat es niemals eine Stadtmauer und auch keine Wasserleitung oder ein Kanalsystem gegeben, die Wasserversorgung erfolgte über Brunnen und Zisternen, die Abfuhr über offene Straßengräben. Die bombierten, insgesamt 16 bis 22 m breiten Straßenkörper besaßen verfestigte Schotterfahrbahnen, Straßengräben und teilweise mit Portiken versehene Gehsteigbereiche.
Nach Parallelen mit Virunum und anderen Städten sollte am Ostende der zentralen schmalen Insulareihen das Forum angelegt worden sein. Wahrscheinlich wurde es von der Mur zerstört.
Solva verfügte über ein bereits vor dem 1. Weltkrieg untersuchtes, ca. 105 m langes und 50 m breites Amphitheater (XV) in der Südwestecke der Stadt. Die Sockelmauern aus vermörtelten Bruchsteinen trugen wahrscheinlich Holztribünen. Die Arena war 80 x 35 m groß. Am Nordscheitel der Anlage lag ein inschriftlich gesichertes Nemeseum.
Südlich des Amphitheaters wurde ein zum Stadtplan irregulär ausgerichteter, abgeschlossener Bau (XXXIV) mit Schmiede und kleinem Bad ergraben, der möglicherweise als Wohn- und Trainingsstätte der Gladiatoren diente.
Als Hauptthermen der Stadt im 3./4. Jh. wird eine Anlage mit mehreren mit Hypokausten, Apsiden und Mosaiken ausgestatteten Räumen in Insula XXII im Stadtkern angesehen. Von Ost nach West angeordnet und durch Korridore getrennt folgen nach dem beheizten Apodyterium das Frigidarium, Tepidarium und Caldarium. Ein weiterer beheizter Korridor läuft nach Süden zu einem weiteren Raum mit Apsis und Bodenheizung, hier könnte ein kleinerer Badetrakt für Frauen vermutet werden. Am Westrand des Baukomplexes liegen zwei große Höfe von 13 m Breite und 18 bzw. 12 m Länge wie sie für den Aufenthalt nach dem Bad üblich waren.
Der Ostteil der Thermeninsula XXII und zwei Parzellen der Nachbarinsula XXX (Parzellen Süd-Mitte und Südwest) werden von Baukomplexen eingenommen, die man nach hier zumindest teilweise nachgewiesenen Werkstätten und der zentralen Lage im Stadtbild am ehesten als Gewerbe- und Marktbauten und/oder Herbergen einstufen könnte. Ob – wie bisher angenommen – hier auch gewohnt wurde, bleibt fraglich. Jeweils drei parallele Raumreihen öffneten sich auf die Straße bzw. einen breiten langgestreckten Innenhof. In Insula XXII lag statt der dritten Raumreihe ein weiterer Hof mit einem einzigen zentralen Raum vor, man könnte an ein einfaches Macellum oder ähnliches denken. In der Südostparzelle von Insula XXX gab es in zwei der drei Raumreihen auch jeweils einen beheizten Raum, wovon einer sogar mit einer Apsis ausgestattet war. Dieser könnte als Amtslokal eines Aedilen gedient haben. In der Nordwestparzelle liegt eine sehr lockere Verbauung mit offenen Höfen, begleitenden Hallen und nur wenigen eigentlichen Räumen vor, ähnlich in der Parzelle Süd-Mitte – und der Mittelteil der Insula blieb anscheinend überhaupt unverbaut, sodass man an einen öffentlichen Park oder eine Sportstätte denken könnte. Diese Deutung würde durch ein in der anschließenden Südwestparzelle festgestelltes Bad mit übergroßem Hof und einer Reihe relativ großer Reihe an dessen Südseite zusätzlich gestützt.
Ein jüngst aufgrund von Georadarmessungen postuliertes Mithräum im Nordostviertel der Stadt besitzt nach dem Messbild wenig Wahrscheinlichkeit, auch sonst sind keine innerstädtischen Tempel bekannt.
Ein bedeutendes Heiligtum liegt außerhalb des städtischen Baugebietes, auf der Anhöhe des in Sichtweite gelegenen Frauenberges. Der Berg weist intensive Spuren einer bronzezeitlichen und eisenzeitlichen Besiedlung auf und weist an einem vorspringenden Sporn ein nur teilweise ausgegrabenes Heiligtum der Spätlatènezeit in Form einer kreisförmigen Grabenanlage auf. Seine Nutzung endet spätestens unter Kaiser Claudius, wohl als das Gebiet offizielle römische Provinz wurde und das Verbot der Ausübung der keltischen, mit Menschenopfern verbundenen Kultpraktiken wirksam wurde.
Wahrscheinlich in spätflavischer Zeit wurde als Nachfolgeanlage auf dem höchsten Punkt des Berges ein nach Fragmenten der Bauinschrift der Isis geweihter Tempel (Außenmaße 23,5 x 13,5 m) errichtet. Die mit der Vorhalle ungefähr gleich große Cella besitzt eine breite Apsis, im Eingangsbereich wurde ein Brandopferaltar lokalisiert. Das äußere Erscheinungsbild des Tempels präsentierte sich wahrscheinlich als offene Säulenstellung im Vorhallenbereich und an die Wand gestellte Halbsäulengliederung an der Cella.
7 Heiligtum auf dem Frauenberg: Isistempel und benachbarter heiliger Bezirk (Umgangstempel?), Grundriss
Abbildung 07 fehlt???
Südwestlich dem Tempel benachbart lag nach neuesten, in ihrer Interpretation problematischen Grabungsergebnissen ein in der claudisch-neronischen Zeit errichtetes, etwas verzogenes Mauerviereck von ca. 7,4 x 8,9 m Außenmaßen. In flavischer Zeit wurde nach den Angaben der Ausgräber rund um dieses ein weiteres Mauergeviert mit Außenmaßen von ca. 24,3 x 22,7 m gelegt, womit ein ursprünglich frei stehender einräumiger Kultbau zu einem Umgangstempel ausgebaut worden sein soll. Ab dem ausgehenden 1. Jh. sollen die Kultaktivitäten aber bereits auf den benachbarten Isistempel verlagert worden sein. In der Spätantike erlitt der Umgangstempel dann anscheinend eine Umgestaltung zu einem beheizten Wohnhaus.
Die großen insulae im Stadtzentrum waren zumeist in sechs Parzellen zu je gut 600 m² geteilt, wobei große Privathäuser oder Funktionsbauten auch zwei oder mehr Parzellen einnehmen konnten, wie die insulae V, IX XXII und XXX deutlich zeigen. Im 1. Jh. überwog die Fachwerkauweise mit Steinsockelmauern, was sich in den äußeren Stadtteilen auch später nicht änderte. Ab dem 2. Jh. dürften die meisten Häuser im Stadtzentrum aber in reiner Steinbauweise errichtet worden sein. Im privaten Wohnbau kommen alle Typen vom Peristylhaus herab bis zu einfachen mehrräumigen Anlagen vor.
Zwei ungefähr gleich große Peristylhäuser (ca. 46 x 30 m), die jeweils zwei Parzellen einnehmen, liegen in Insula V vor. Der offene Hof (10 x 18,5 m) des südöstlichen Hauses wurde in der älteren Literatur gerne als Forum von Solva bezeichnet. Die Komplexe Bauabfolge der Häuser ist heute schwer nachvollziehbar, in beiden scheint es nach Umbauten des (frühen) 3. Jh. ebenso wie im kleineren Haus in der Nordostparzelle jeweils eine private Badeanlage mit apsidalem beheiztem Hauptraum gegeben zu haben. Ein ähnliches Bild bietet das "Haus der Attier", einer ritterlichen Familie, in der Nachbarinsula IX.
Ein ganz anderes Bild bietet die Stadtrandlage der um 1990 untersuchten Insula XLI. Hier lagen in Bauphase 1 (flavisch – 2. Jh.) kleine einzelne Räume oder kleine Raumgruppen in offenen Hof- und Werksarealen, in Bauphase 2 nach dem Markomannensturm wurden anscheinend regelmäßig ungefähr quadratische Häuser mit meist vier maximal sechs Räumen und ca. 120 bis 200 m² umbautem Raum und manchmal zusätzlichen Nebengebäuden errichtet.
Einige Mauerzüge von Wohnhäusern von Solva sind konserviert, direkt im Grabungsgelände wurde 2004 ein kleiner Museumsbau errichtet. Auf dem Frauenberg wurde ein archäologischer Wanderweg eingerichtet, der u.a. zu den Tempelbauten und dem Tempelmuseum führt. Der Großteil der Funde befindet sich im Landesmuseum Joanneum, Schloß Eggenberg in Graz.
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Grabungsberichte und Studien laufend in: Fundberichte aus Österreich.