Städtische Siedlungen in Noricum

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Die Situation im Regnum Noricum von der römischen Okkupation in augusteischer Zeit bis zur Provinzgründung

Im Zeitraum 10/9 v.Chr., also nur wenige Jahre nach der Okkupation von Noricum durch Rom (16/15 v.Chr.), belegen vier in der Stadt auf dem Magdalensberg gleichzeitig aufgestellte Ehreninschriften der norischen Stämme für Mitglieder des Kaiserhauses (Augustus, seine Gattin Livia, seine Tochter Iulia und deren ebenfalls Iulia genannte Tochter) acht norische Stämme. Genannt werden: Norici, Ambilini, Ambidravi, Uperaci, Saevates, Laianci, Ambisontes, (H)elveti, von denen sechs auch in der Geografie des Claudius Ptolemaios aufgelistet werden, der auch noch die Alaunoi kennt. Inschriften der frühen und mittleren Kaiserzeit belegen außerdem einen von einem Stammesnamen abgeleiteteten Eigennamen Ambisavus in Südostnoricum und einen Ambidravus im oberen Drautal. Weihungen aus dem Chiemseegebiet belegen ein sacrum Alounarum, also das Stammeheiligtum der Alauni/Alounae. Die Laianci (vgl. Lienz in Osttirol) und Saevates (Pustertal, vgl. Sebatum, Sabiona/Säben) setzten außerdem um die Mitte des 1. Jh. n.Chr. eine Ehreninschrift in Iulium Carnicum (Zuglio), der Heimatstadt des wahrscheinlich ersten procurator Augusti in Norico, C. Baebius Atticus.

Zumindest in kultischen Belangen und bei Ehrungen herausragender Persönlichkeiten waren die norischen civitates bis zur Einrichtung der Provinz Noricum unter Kaiser Claudius (41–54 n.Chr.) aktiv handelnde Gruppen. Im 2. und 3. Jh. wurden die Zeremonien im Heiligtum der Alounae von den duumviri iure dicundo von Iuvavum (Salzburg) vorgenommen, ähnlich wie in Aquincum (Budapest) in der Nachbarprovinz Pannonia Superior von den dortigen Duumvirn (Bürgermeistern) im Namen der civitas Eraviscorum.
Die geographische Zuteilung der Stämme beim überlieferten Ptolemaiostext ist sicher teilweise falsch, außerdem fehlen einige civitates oder sind durch von Kopisten entstellt. Durch die Fundorte der Inschriften mit von den Stammesnamen abgeleiteten Personennamen und modernen, aus der Antike übernommenen Ortsbezeichnungen und andere Faktoren lässt sich aber eine ungefähre räumliche Zuteilung der Stämme treffen. Man darf versuchsweise folgern, dass jeweils zwei civitates ab Claudius einem neu gegründeten municipium zugeordnet waren:
Die Norici in Zentralkärnten und die Ambilini im Gailtal gehörten zu Virunum, das somit die beiden wichtigen Alpenübergänge nach Iulium Carnicum, die Straße zum Kanaltal und den Plöckenpass in seinem Teritorium hatte. Die Laianci (Osttirol) und Saevates (Pustertal) wurden Aguntum zugeteilt, die Ambisontes und Alounae der Stadt Iuvavum, die Uperaci und ‚Ambisavi‘ könnten zu Celeia gekommen sein. So müssten dann die nicht näher lokalisierbaren Elveti am ehesten gemeinsam mit den Ambidravi zu Teurnia gehört haben. Damit sind alle bekannten civitates und alle Städte mit Gründungsdaten in der Zeit der Provinzerrichtung vergeben und das oft bedauerte Schweigen der Quellen über weitere Stämme auch gar nicht verwunderlich. Es hat wohl keine gegeben.


Die Gründung der römischen Städte

Wohl unter Kaiser Claudius wurde der faktische Okkupationszustand in Noricum beendet und in der neuen, nun von einem ritterlichen procurator Augusti in Norico bzw. procurator Augusti provinciae (oder regni) Norici verwalteten, direkt dem Kaiser unterstellten Provinz entstanden nach dem Zeugnis des Plinius (nat. hist. III 146) gleich fünf municipia, nämlich Aguntum (Dölsach bei Lienz in Osttirol), Teurnia (St. Peter im Holz bei Spittal an der Drau), Virunum (Zollfeld bei Maria Saal) und Celeia (Celje, Nordslowenien) im Süden, alle nur durch einen Pass und eine Tagesreise von Italien getrennt, sowie Iuvavum (Salzburg) im Nordosten; unter Vespasian folgte mit Flavia Solva (Wagna bei Leibnitz in der südlichen Oststeiermark) eine sechste Stadt.
Den nördlichen Abschnitt des Donaulaufes und sein gesamtes Hinterland erreichte die Munizipalisierung erst unter Hadrian. In Noricum wurden die Orte Ovilavis (Wels) und Cetium (St. Pölten) zu Munizipien. Abgesehen von der unsicheren Ausnahme Lauriacum (Lorch-Enns) und der mit der Politik gegenüber den Legionen zusammenhängenden „Rangerhöhung“ vom municipium zur colonia für Ovilavis unter Caracalla (211–217) war damit die Munizipalisierung von Noricum abgeschlossen.

Der Urbanisierungsprozess erreichte von Claudius bis Vespasian nur das Drautal (Aguntum, Teurnia, Virunum), das Savetal bzw. die Bernsteinstraße (Celeia), die untere Mur (Flavia Solva) und, als scheinbare Ausnahme, das Salzachtal im nördlichen Alpenvorland mit Iuvavum, also das Kerngebiet des regnum Noricum. Die erst nach der Vernichtung der Boier an Noricum gefallenen nördlichen und östlichen Gebiete (Alpenvorland bis zur Donau, Steiermark) mussten vor einer Urbanisierung erst systematisch aufgesiedelt und strukturell erschlossen werden. Fast alle bis 79 n.Chr. zu Städten erhobene Siedlungen weisen übereinstimmende Merkmale auf: Sie liegen an großen Flüssen bzw. Flussübergängen, also Kreuzungspunkten vorgeschichtlicher Verkehrswege, besitzen einen augusteischen oder unwesentlich jüngeren Siedlungskern (sofern nennenswerte archäologische Forschungen erfolgen konnten) und in mehr oder weniger unmittelbarer Nähe lassen sich eine bedeutende oder öfter auch mehrere spätlatènezeitliche Siedlungen mit zentralörtlicher Funktion nachweisen. Dies trifft in besonderem Maße auch für Iuvavum zu, das wohl am Salzachübergang im Zuge eines bedeutenden Ost-West-Weges, der sich hier mit einem Nord-Süd-Alpenübergang und dem Zugang zum Unterlauf des Inns kreuzte, angelegt wurde. Direkte größere Vorgängersiedlungen am selben Ort, wie etwa in den tres Galliae, lassen sich allerdings für keine der römischen Städte in Noricum nachweisen.

Die hier angedeuteten Gemeinsamkeiten treffen auch für eine Reihe von weiteren Siedlungen zu, die es aber über den Status eines forum oder vicus nie hinausgebracht haben. Meist liegen diese Orte an den durch die Flüsse vorgegebenen Verkehrswegen bzw. an Verkehrsknotenpunkten oder vor Passübergängen in einer Entfernung von einer Tagesreise zueinander oder zur nächsten Stadt. Sie weisen in ihrer topografischen Situation und günstigen Verkehrslage ähnliche Merkmale auf wie die claudischen und flavischen Städte, werden aber in ihrer Abfolge, abgesehen von Ausnahmen, von Süd nach Nord deutlich jünger. So beginnt etwa der vicus von Kalsdorf bei Graz, also nördlich von Flavia Solva, anscheinend in tiberischer Zeit, die nächstnördlich gelegene Ortschaft beim heutigen Gleisdorf, von wo eine Straße nach Savaria von der ostnorischen bzw. nach Vindobona und Carnuntum in Pannonia Superior führenden Nord-Süd-Route abzweigte, dürfte erst um die Mitte des 1. Jh. entstanden sein. Im bis dahin wenig aufgeschlossenen Landesinneren entstanden neue Siedlungen noch bis um die Mitte des 2. Jh. Nahe der Donau, im Hinterland der militärisch dominierten Grenze, haben dann einige solche Standorte in verkehrsgünstiger Lage unter Hadrian das Stadtrecht erhalten. Mit einiger Zeitverzögerung sind also die wesentlichen Faktoren für den Ausbau einer Siedlung zur Stadt über ein dreiviertel Jahrhundert die gleichen geblieben.
Allerdings kommt bei den jüngeren Städten Ovilavis und Cetium sowie letztlich Lauriacum im Donauraum noch ein weiterer Faktor dazu. Mit der unter Hadrian vorgenommenen Umstrukturierung des Heeres und der nun üblichen Ergänzung der Truppen aus der eigenen Standortprovinz konnten Städte in direkter Nachbarschaft zu den Truppenlagern nicht nur durch iuventus-Organisationen auf den Militärdienst bereits vorbereitete Rekruten liefern, sondern auch Heimat der Veteranen werden. Damit entstanden in den Städten an der Grenze Familien mit langer militärischer Tradition, was sich auf Grabsteinen oft über vier oder fünf Generationen verfolgen lässt.
Für einige Stadtsiedlungen der Frühzeit, vor allem für die stadtartige Siedlung auf dem Magdalensberg in Zentralkärnten, aber auch für Teurnia und Solva, zeichnet sich noch ein weiterer standortbildender Faktor ab. Die im damals noch als Ausland anzusehenden regnum Noricum angelegte römische Händlersiedlung auf dem Magdalensberg scheint im Schutz eines regional bedeutenden Heiligtums für den Gott Belinus(?), an dem sich vielleicht schon seit langem ein periodischer Markt entwickelt hatte, entstanden zu sein. Indizien für eine gleichartige Entwicklung bei einem latènezeitlichen Heiligtum liegen auch für Teurnia vor, da im inneren Stadtgebiet ein spätlatènezeitliches Depot von zehn absichtlich deformierten Schildbuckeln aufgefunden werden konnte. Auf dem Frauenberg über der späteren Stadt Solva, wurde neben latènezeitlichen und frühkaiserzeitlichen Siedlungsspuren ein keltisches Heiligtum mit Umfassungsgraben entdeckt, das bis ungefähr in die claudische Zeit hinein in Betrieb stand und in flavischer Zeit von römischen Tempelbauten abgelöst wurde.


Die Stadt auf dem Magdalensberg

Der ursprüngliche Zweck der ab dem mittleren 1. Jh. v.Chr., innerhalb des unabhängigen regnum Noricum also, errichteten Siedlung auf dem Magdalensberg in Mittelkärnten wird derzeit noch heftig diskutiert. Ging man früher von einem norischen Fürstensitz, der vielleicht sogar über eine Münzprägestätte verfügte, auf dem Berggipfel aus, in dessen Schatten sich die römischen Händler ansässig machten, zeichnet sich jetzt immer mehr eine fast rein von italisch-römischen Kaufleuten bevölkerte Händlersiedlung ab, die ihre Entstehung vor allem der steigenden Nachfrage nach Waffen und anderen Produkten aus dem berühmten ferrum Noricum (Norischer Stahl) ab dem Beginn von Caesars Gallischem Krieg verdankt. Für die in (früh?)augusteischer Zeit errichteten mächtigen Steinbauten auf dem Berggipfel wurde jüngst vorgeschlagen, dass es sich dabei nicht die Fundamente einer Festung handeln müsse, sondern sie auch für ein nach mediterranen Vorbildern terrassenartig angelegtes und mit großen Hallenanlagen versehenes Heiligtum gedient haben könnten.

Die Existenz eines Tempels nach südländischer Bauart auf dem Gipfel ist jedenfalls, u.a. wegen der Auffindung mehrerer tönerner Antefixe, unbestritten. Hier ist auch die mittlerweile sicher in augusteische Zeit datierte, von ihrem Sinngehalt her in der Forschung aber immer noch heiß umstrittene, lebensgroße Bronzestatue eines nackten Jünglings, eines Zufallsfundes im Jahre 1502, in die Argumentation mit einzubringen. Die als „Jüngling vom Helenenberg“, wie der Magdalensberg früher auch hieß, bekannte Figur ist nach ihrer, auf dem rechten Oberschenkel angebrachten Stifterinschrift als Weihegeschenk zweier Prokuratoren von Aquileienser Handelshäusern ausgewiesen und stammt aus einer mediterranen, wohl italischen Werkstätte. Mit der Statue wurde ein (wieder verloren gegangener) schildförmiger Bronzegegenstand aufgefunden, der eine ähnliche Widmungsinschrift von drei Stiftern, darunter wiederum einem Aquileienser L(ucius) Barbius L(ucii) f(ilius) Philoterus pr(ocurator), aufwies.

Zuletzt ist für das Selbstverständnis der Bewohner von Alt-Virunum, wie man die Siedlung wohl bezeichnen darf, eine in byzantinischen Schriften überlieferte, aber erst vor kurzem in ihrer Bedeutung erkannte Gründungssage anzuführen. Hier wird Virunum ausdrücklich als Bergstadt, angelegt und bewohnt von Italikern in Noricum, bezeichnet. Ihr Name sei auf die Heldentat eines Einzigen (vir unus) zurückzuführen, der die Gegend von einem riesigen Keiler befreit haben soll. Die Sage ist ein schönes, wenn auch vielleicht das jüngste Beispiel, der vor allem in Kleinasien verbreiteten Gründungssagen mit Eberjagdmotiv, wie sie u.a. aus Prusa in Bythinien, Aphrodisias in Karien und – vor allem – Ephesos, bekannt sind. Mit der Provinz Asia (Westtürkei), besonders deren Haupthafen Ephesos, stand die Magdalensbergsiedlung über Importe aus Aquileia bereits in augusteischer Zeit nachweislich in Handelskontakten, darüber hinaus zeigt die überlieferten Namen eine starke Gruppe orientstämmiger Einwohner, u.a. den A(ulus) Poblicius D(ecimi) l(ibertus) Antioc(us), einen der Stifter der Jünglingsstatue.
Abgesehen von der in der Legende ausdrücklich geschilderten Anlage der Stadt durch Italiker zeigt auch die fehlgeschlagene etymologische Erklärung des Stadtnamens typisch römisch-antiquarische Tendenzen. Tatsächlich ist von religionshistorischer und sprachwissenschaftlicher Seite her Virunum eher mit einem „Stammvater“, also am ehesten mit einem regional wichtigen Heros (dem Heil- und Quellgott Belinus?), zusammenzubringen, der wohl am Magdalensberg ein Heiligtum besaß.

Die Stadt besitzt vier Hauptbauphasen. Die ältesten Befunde stammen aus dem mittleren 1. Jh. v.Chr., ab früh- bis mittelaugusteischer Zeit erfolgte der systematische Ausbau mit der Anlage auf dem Berggipfel und dem Forumsbezirk. Das vor allem als Badegebäude dienende sog. Repräsentationshaus liegt im Nordwesten des Forums. In tiberischer Zeit wurde an der Forumnordseite ein großer prostyler Podiumstempel über den früher hier befindlichen Eisenschmelzanlagen errichtet. Zwischen Tempel und Thermen lag ein großer Hofbezirk (hypäthrale Basilika?) mit Tribunal, vielleicht der Amtssitz des römischen Militärgouverneurs im besetzten regnum Noricum. Im Süden, gegenüber dem Tempel, lag ein hermetisch abgeriegelter Baukomplex mit Goldschmelzanlagen in kaiserlichem Besitz. Zu diesem gehörte auch ein repräsentatives Gebäude (sog. Großvilla) mit Badeanlage, Großbäckerei und Gästezimmern im Südwesten des Forums; hier dürften die kaiserlichen Verwaltungsbeauftragten und Wachmannschaften für die Gold- und Bergkristalltransporte gewohnt haben. Am Hang darüber lag ein als prinicipia identifizierter Gebäudekomplex, die Kommandantur. Die Ostseite des Forums nahm in der augusteischen Zeit ein basilikales Gebäude ein, das nach zahlreichen Wandinschriften als Marktbau diente, zur Zeit des beschriebenen Ausbaues der Stadt unter Tiberius aber nicht mehr existierte.
Um die Mitte des 1. Jh. n.Chr., während der Forumstempel gerade mit einem Säulenkranz und umgebenden Hallenanlagen ausgestattet wurde, endete die Siedlung plötzlich und dauerhaft mit der Anlage des norischen Statthaltersitzes in Virunum, einer Neugründung im Glantal.
Unabhängig davon, ob die Magdalensberg-Stadt bereits den Namen Virunum führte oder nicht, in gewisser Weise ist sie, vielleicht gemeinsam mit anderen Siedlungen des Umlandes, als Vorgängerin der neuen „Hauptstadt“ zu werten. Die Verlegung der Stadt hängt nach der übereinstimmenden Meinung der Forschung mit den nunmehr wesentlich bequemeren Verkehrsverhältnissen und der Verkürzung und Vereinfachung der Transportwege zusammen.
Ähnliche Händlersiedlungen wie auf dem Magdalensberg, die aber niemals deren Größe und Bedeutung erlangt haben dürften, wurden in augusteischer oder noch früherer Zeit in Nauportus (heutiges Slowenien) für den Handel an der Bernsteinstraße und auf der Gurina im Gailtal angelegt. Die Gurina war bereits im mittleren 1. Jahrtausend ein bedeutender Umschlagplatz für Waren von und nach dem oberitalischen Raum. Ein Heiligtum ist durch zahlreiche venetische Inschriften, eisenzeitliche und römische Götterstatuetten und Weihegaben sowie einen Umgangstempel gut belegt, logischerweise steht aber die Publikation der seit 2004 wieder aufgenommenen Ausgrabungen noch aus. Daher ist über ihre genaue Bedeutung in der Übergangszeit vom keltischen zum römischen Noricum und die spätere römische Besiedlung derzeit noch nichts Genaues zu sagen.


Wirtschaftliche Grundlagen für die Entwicklung der norischen Städte

Sämtliche Fernverbindungen von Noricum nach Süden führten über Emona im Nordosten und Iulium Carnicum im Norden Italiens direkt auf den Großhafen Aquileia (beim heutigen Triest) zu, wo auch ein Ast der über Dalmatien nach Griechenland führenden Bernsteinstraße endete. Tatsächlich waren ja die frühen norischen Städte indirekt Gründungen Aquileias, dessen Handelshäuser das Hauptkontingent der stationären procuratores, wie etwa der Barbii, in den zu Munizipien erhobenen Händlersiedlungen stellten.

Nachdem der Ertrag des norischen Goldbergbaues in den Hohen Tauern, vielleicht in der Nachfolge eines Fürstenregals, nachweislich bereits unter Caius Caesar, genannt Caligula (37–41), in die kaiserliche Schatulle floss, blieb als zweitwichtigster Exportartikel des Landes neben der Textilerzeugung aus Schafwolle die Eisengewinnung und -verarbeitung. Die vom Staat verpachteten Bergwerke (ferrariae Noricae) blieben aber offensichtlich bis in das fortgeschrittene 2. Jh. n.Chr. in der Hand führender Aquileienser Kaufherren. Aber nicht nur der Bergbau im süd- und zentralalpinen Raum nördlich von Virunum (vor allem in Feldkirchen, im Görtschitz- und im Glantal) und die Kärntner Bleiminen, sondern auch die Gewinnung, Verhüttung und Vermarktung der außeralpinen Raseneisenerze, spielte bei der Gründung der Handelsstationen eine wesentliche Rolle. Das spätestens unter Tiberius (14–37) auf damals wohl noch norischem Gebiet angelegte oppidum Iulium Scarbantia (Sopron) liegt mitten im burgenländisch-westungarischen Eisenindustriegebiet. Auch wenn archäologische Beweise noch fehlen, lässt sich die Anlage des vicus Lauriacum an der Mündung der Enns in die Donau bereits um die Mitte des 1. Jh. n. Chr. am ehesten mit einem Transporthafen für Eisen(erze) aus dem heute noch als Eisenwurzen bekannten Umland des Enns-Steyr-Fluss-Systems erklären und die römische Wiederaufnahme der Besiedlung von Hallstatt geht ebenfalls eher auf Eisenverhüttung als auf den damals still gelegten Salzbergbau zurück. Auch führte die sog. binnennorische Hauptstraße von Norden aus gesehen zuerst entlang der Flüsse Enns und Steyr, dann über den Pyhrnpass (Abzweigung nach Iuvavum im oberen Ennstal) und Liezen in das Paltental und weiter ins Murtal, von wo aus bequem Flavia Solva oder über einige kleinere Pässe geradewegs Virunum erreicht werden konnten. Gerade Scarbantia und Lauriacum fallen auch von ihrer zeitlichen Stellung als frühe Ausnahmen in der römischen Aufsiedlung des Donauraumes auf.
Die Verwaltungsreform der Provinz Noricum unter Kaiser Marc Aurel (161–180) im Zuge der Markomannenkriege bedeutete zugleich das Ende alter Abhängigkeiten und Verbindungen. Die Stationierung der neu aufgestellten legio II Italica in Lauriacum und die damit verbundene Verlegung der Statthalterei an die Donau kehrten den binnennorischen Wirtschaftskreislauf geradezu um. War bisher fast der gesamte Handel über Oberitalien, vor allem Aquileia gelaufen, so saßen nun, mit der durch die Legion erfolgten Verdoppelung der norischen Armee und ihren gestiegenen Nachschubbedürfnissen weitere tausende zahlungskräftige Soldaten als Privatkonsumenten in den Kasernen des Donauraumes vom Inn bis zum Wienerwald. Vielleicht schon aus der Not des Abwehrkampfes gegen die germanischen Horden, eher aber aus weitsichtig wirtschaftsstrategischen Überlegungen wurde um 170 n.Chr. der (süd)norische Eisenbergbau unter direkte staatliche Aufsicht gestellt. Aquileia verlor eine wesentliche Einnahmequelle und die norischen Handelsherren konnten sich mit dem nun hauptsächlich nach Norden zur Armee ausgerichteten Handel aus den alten Bindungen zu ihren „Stammhäusern“ in den oberitalischen Städten befreien. Die Blütezeit der Provinz Noricum unter den Severerkaisern (193–235) zeigt sich äußerlich im teilweise luxuriösen Wiederaufbau der zerstörten Städte nach den Verwüstungen des Markomannensturms. Sie hat ihren finanziellen Hintergrund in der Befreiung aus der Abhängigkeit von Aquileia und anderen oberitalischen Städten und schafft ein neues Selbstbewusstsein der führenden bürgerlichen Schicht, die sich in diesen Jahrzehnten eine eigene, typisch provinzialrömische Identität zulegt; deren hervorstechendes Merkmal ist der nostalgische Rückgriff auf keltisch-norische Traditionalismen.
In allen norischen Städten wurden in den vergangenen Jahrzehnten bei Ausgrabungen – mehr oder weniger im ganzen Stadtgebiet verteilt – Wohnbauten aufgedeckt, die auch Erwerbszwecken dienten. Besonders im 1./2. Jh. n.Chr. sind an den Stadträndern landwirtschaftliche Strukturen und Bauformen, die mehr an Bauernhäuser als an städtische Wohnungen erinnern, keine Seltenheit (siehe unten im Kapitel „Wohnhäuser“).
Besonders ausgeprägt war die Verarbeitung verschiedener Metalle und Legierungen, vor allem von Eisen, Bronze und Blei, wobei in besser erforschten Städten vom Bau- und Agrarwerkzeug bis zu Schmuck und Trachtbestandteilen die ganze mögliche Produktpalette vertreten sein konnte. Auch Töpferei ist allgemein nachweisbar, nur selten und wohl kurzfristig kam es aber zum Versuch, neben dem Gebrauchs- und besseren Tafelgeschirr auch Spitzenprodukte, wie Terra Sigillata, herzustellen. Bisher sind nur in Iuvavum und Cetium einzelne Formschüsselfragmente gefunden worden. Die meisten in den Städten erzeugten Waren und Lebensmittel dienten der Deckung des lokalen oder regionalen Marktes und des Bedarfs der an der Donau stationierten Truppenkörper. Textilerzeugung ist wesentlich schwerer, meist nur durch beschriftete Warenetiketten aus Blei, nachzuweisen, spielte aber für die norische Exportwirtschaft eine wichtige Rolle. Durch Walken aus Schafwolle gewonnene Lodenstoffe dienten der Herstellung verschiedener, dem Wetterfleck oder Poncho ähnlicher Mäntel mit Kapuzen (paenulae), die seit den Severerkaisern am Ende des 2. Jh. auch Bestandteil der Armeekleidung wurden.
Stapelanlagen oder Lagerhallen sind in Noricum bisher nicht sicher nachweisbar, in Ovilavis wird ein nur partiell ausgegrabener Bau allerdings vermutungsweise mit einer solchen Funktion in Verbindung gebracht.


Die Bürger: Städte, Stammesorganisationen und lokale Identität

Entgegen der traditionellen Ansicht in der Forschung, dass sich in den frühen Munizipien vor allem der einheimische, keltischstämmige Adel, ausgestattet mit ad personam verliehener civitas Romana als Führungsschicht etabliert und die plebs oppidana lediglich über das mindere ius Latii verfügt hätte, zeichnet sich heute ein völlig anderes Bild ab. Eine Analyse der Namen städtischer Amtsträger und Ratsmitglieder (duumviri iure dicundo, aediles, quaestores, decuriones) lässt für mindestens 70% eine Verbindung der honestiores zu Einwanderern aus Italien bzw. dem mediterranen Raum, vor allem den in Aquileia, Iulium Carnicum oder Tergeste bezeugten Geschlechtern, erkennen, lediglich vereinzelt sind in dieser Schichte aus keltischen Namen gebildete Gentilizien oder kaiserliche Namensformulare (Iulii, Claudii, Flavii) nachzuweisen, unabhängig davon, ob das Bürgerrecht durch den Militärdienst in Auxiliareinheiten oder aus anderen Gründen verliehen worden sein mag. Erst in den hadrianischen Städten Ovilavis und Cetium im Limeshinterland treten Ulpii und Aelii sowie adelige Großgrundbesitzer keltischer Abstammung deutlicher hervor.
Ähnlich verhält es sich mit der Gesamtverbreitung „italischer“ Gentilnamen auf Grab- und Weihinschriften (vgl. die oben erwähnten Barbii), die gehäuft in den städtischen Zentralräumen und entlang der Hauptverkehrswege auftreten, während die keltischen Namensformen typisch für Einzelgehöfte oder Streusiedlungen in ländlichen Gegenden sind. Dies zeigt, dass der norische Adel, selbst Familien, in denen alte, aus der Münzprägung bekannte Fürstennamen wie Adnamat oder Tinco weiter vererbt wurden, seine angestammte Lebensform auf Gutshöfen weiter beibehielt und sich über den Dienst in den Auxiliareinheiten der Armee, vor allem wohl bei der Kavallerie, das Bürgerrecht erst sukzessive verdienen musste.

Verbreitung der Sabinii in Noricum.
Verbreitung des Fürstennamens Iantumarus
Verbreitung der typisch norisch-keltischen Namen Aiu/Aiuccio und Causo/Couso

Damit wird auch einsichtig, warum in Noricum, wo wir über insgesamt zehn bekannte Stammesnamen aus verschiedenen Quellen verfügen, keine einzige Stadt einen ethnischen Hinweis in ihre offizielle Titulatur aufgenommen hat. Die Bezeichnung des Gemeinwesens, des Stadtstaates, ist sicherlich als oberstes und deutlichstes Identitätsmerkmal einer Siedlungsgemeinschaft zu werten. Wenn sich ein Lokalstaat also colonia Augusta Treverorum (Trier) oder Augusta Vindelicum (Augsburg), nennt, so ist hier trotz aller römischer Zuwanderer die Identität der alten politischen Gruppierung (civitas), gewahrt bzw. bewusst zur Schau gestellt. In Noricum hören wir zwar noch in der Kaiserzeit vereinzelt von einem Ambidrabus, Ambisavus oder Uperacus, also Leuten, die ihre Abstammung aus den alten Stämmen im Personennamen kenntlich machen; im mittleren 2. und frühen 3. Jh. ist ein sacrum Alounarum, also das Stammesheiligtum der Alaunoi, wie sie Ptolemaios (2.13.2) nennt, belegt; in den Stadtbezeichnungen findet sich davon aber unisono nichts. Hierfür werden einfach vorrömische Toponyme, meist Orts- (Aguntum), Flur- (Cetium vom mons Cetius = Wienerwald) und Flussbezeichnungen (Iuvavum aus Ivarus = Salzach?; für Solva vgl. den heutigen Flussnamen Sulm) oder Namen von Heiligtümern (Virunum?), mit dem nomen gentile des stadtrechtsstiftenden Kaisers verbunden. Die tragende Schicht in diesen Städten fühlte sich eben nicht als Norici, Ambisontes oder Laianci. Diese Stammesorganisationen existierten vielleicht innerhalb der territoria, fines oder agri der Städte eine Zeit lang als eigene Organisationen (civitates oder pagi) weiter, beschränkten ihre Aktivitäten aber – wie die erhaltenen Inschriften zeigen – wohl bald auf „religiöse“ Versammlungen, vor allem im Rahmen des Kaiserkultes, und, interessanterweise, auf Ehrungen von herausragenden Personen wie Senatoren und Provinzstatthaltern, die sich um die Städte als Wohltäter und Patrone verdient gemacht hatten.
Da die frühen römischen Einwanderer, gleichgültig ob sie als Gold- und Erzsucher, Händler oder Handwerker gekommen waren, meist jüngere, mobile Männer waren, gründeten sie, wenn sie sich dauerhaft ansiedelten, Familien häufig durch Heirat mit Töchtern der einheimischen, landbesitzenden Oberschicht. Dies brachte für beide Seiten Vorteile, da die Männer die civitas Romana und somit rechtliche Möglichkeiten und vielleicht sogar politischen Einfluss mitbrachten, die Frauen als Mitgift aber Land und Vieh. Die lokalen religiösen Traditionen vererbten sich in diesen Mischfamilien genauso wie die norisch-pannonische Frauentracht einschließlich gewisser Schmuck- und Fibelformen bis weit in das 3. Jh. hinein, was zur Ausprägung einer bürgerlichen Kultur mit Lokalkolorit führte, die sich archäologisch vor allem an verschiedenen städtischen Kulten und den Frauendarstellungen auf Grabdenkmälern gut belegen lässt. Auch keltische Namen blieben – vor allem als Pseudocognomina von Frauen – selbst oder gerade in führenden Familien in Mode oder wurden es im späten 2. und 3. Jh. wieder. So sind für Ehefrauen von Ratsherren und Munizipalbeamten etwa die Namen Belatumara in Iuvavum, Eliomara in Virunum sowie Litugena und Mussa in Solva belegt.


Stadtpläne und Infrastruktur

Nach den voranstehenden Feststellungen von der Herkunft der norisch-pannonischen Stadtbewohner – und unter Berücksichtigung der Tatsache, dass eine lokale vorrömische Steinbautradition fehlte –, ist es keineswegs überraschend festzustellen, dass weder in der Planung und Struktur dieser Städte noch in der Form ihrer öffentlichen und privaten Bauten örtliche Besonderheiten auftreten; alles lässt sich aus reichsrömischen, vor allem oberitalischen Vorbildern ableiten.
Obwohl in manchen Städten die archäologische Erforschung schon im 19. Jh. begonnen hat, haben an den meisten Orten erst die Methoden und Möglichkeiten der modernen Stadtarchäologie in den vergangenen 20 Jahren zu konkreten, wenn auch noch immer sehr vorläufigen Ergebnissen geführt. Vielerorts können infolge der dichten rezenten Überbauung Grabungen nur kleinräumig oder als zeitlich limitierte Notgrabungen aufgrund anstehender Bauarbeiten ausgeführt werden. Gerade in Virunum und Solva, wo die antiken städtischen Strukturen großteils auf freiem Feld liegen, haben aber nur sehr begrenzt moderne Grabungen stattgefunden.
Die Existenz von Stadtmauern konnte in der Provinz Noricum bisher nur in Aguntum, Celeia und Ovilavis nachgewiesen werden. In Celeia wurde das Westtor der Stadt kürzlich ausgegraben. Eine Besonderheit stellt die Stadtmauer von Aguntum dar, da sie die Stadt nicht umfasst, sondern sich als lange Gerade mit mehren Türmen und einem turmbewehrten Haupttor an ihrem Westrand darstellt. Dies ist in der Forschung wenig überzeugend mit der besonderen topographischen Situation eines engen Flusstals im Alpenraum erklärt worden, in dem die Mauer so zu sagen als Sperrlinie für Feinde aus Osten und Westen gewirkt, Hochwasser abgehalten oder überhaupt nur repräsentativen Charakter gehabt hätte. Für die Datierung wird derzeit das 3. Jh. favorisiert. In allen genannten Städten wurden die Stadtmauern relativ spät, eher im 4. als im 3. Jh., errichtet, durchschneiden ältere Wohnbauten und lassen früher bewohnte Stadtviertel außerhalb liegen. Für Cetium liegen zumindest Indizien für eine Umwehrung mit Gräben vor, deren Alter und Funktion aber noch nicht definitiv bestimmt sind.

Aguntum: das ausgegrabene Areal
Ovilavis: Lage der römischen Stadtmauer im heutigen Wels

Für Fernwasserleitungen mit größerem Liefervolumen gibt es derzeit noch keine Nachweise, in Virunum, Iuvavum und Ovilavis wurden aber mittels Rohrleitungen Quellen aus dem näheren Umland für die städtische Wasserversorgung genutzt.
Amphitheater sind in norischen Städten bisher nur in Virunum und Solva ausgegraben worden, ein weiteres ist aus dem namenlosen vicus von Gleisdorf in der Steiermark bekannt. In allen Fällen liegen die Amphitheater am Stadtrand, etwas abgesetzt von der regulären Insulaverbauung.
Das inschriftlich trotz seiner Circus-ähnlichen Form mehrfach als solches bezeichnete Amphitheater in Virunum wurde frühestens nach dem Jahr 131 (Fälldatum der Bäume) errichtet und unter Kaiser Commodus generalsaniert. Eine wahrscheinlich in das Jahr 183 zu datierende Bauinschrift nennt verputzte Mauern, Hauptzugang und Türen. Eine Ausstattung mit Wandmalereien (picturae) erfolgte während der gemeinsamen Herrschaft des Septimius Severus mit seinen Söhnen (Bauinschrift aus der Zeit 198–211). Die Außenabmessungen betrugen insgesamt 108 × 46,5 m, die Arena verfügte über eine Fläche von etwa 99 × 37 m.
Das Amphitheater von Solva war ca. 105 m lang und 50 m breit. Die Sockelmauern aus vermörtelten Bruchsteinen trugen wahrscheinlich Holztribünen. Die Arena selbst besaß Abmessungen von 80 × 35 m.
Beide Amphitheater waren demnach annähernd gleich groß und boten etwa 3.000 Zuschauern Platz. Sie dürften von Anfang an geplant gewesen sein, ältere Bauten unter ihnen wurden nicht festgestellt. Für Virunum steht ein späthadrianisches Baudatum dendrochronologisch fest (nach 131 n.Chr), für das Amphitheater von Solva wird ungefähre Zeitgleichheit angenommen.
Virunum besaß darüber hinaus das einzige, traditionell in hadrianisch-frühantoninische Zeit datierte Bühnentheater in Noricum mit einem halbrunden Zuschauerraum von 35 m Radius. Als oberer Abschluss verlief ein Wandelgang mit einer von Pfeilern getragenen Decke. Die Bühne war 32,5 m breit und 5,8 m tief. Hinter ihr lag eine 4,5 m breite Halle mit sieben Kammern und einer zweistöckigen, in Nischen gegliederten, zur Stadt gerichteten Prunkfassade.

Amphitheater von Solva, Grundriss
Amphitheater von Virunum, Grundriss
Bühnentheater von Virunum: Grundriss

Der wohl bereits mit der ältesten Siedlungsanlage in augusteischer Zeit ansatzweise entstandene, nur ausschnitthaft bekannte Stadtplan von Aguntum besitzt eine Straßengabelung als Ausgangspunkt des Verbauungsschemas. Wahrscheinlich wurden mehrere von der Hauptstraße im Drautal sternförmig wegführende Straßen von Querstraßen verbunden.
Der Stadtplan von Virunum auf dem Zollfeld bei Maria Saal zeichnet sich, da das Stadtgebiet nach dem Ende der Römerzeit nicht mehr mit größeren Siedlungsstrukturen überbaut wurde, noch heute teilweise in Straßen, Feldwegen und Parzellengrenzen ab. Fast einen Kilometer nördlich des dicht verbauten, mit einem regelmäßigen Straßenraster ausgestatteten Stadtkerns von etwa 1 km² Größe teilt sich die durchziehende Fernstraße, wobei ein Ast tangential im Westen an der Stadt vorbeiführt. Der andere führt als decumanus maximus des innerstädtischen Vermessungssystems axial auf den am Forum liegenden Kapitolstempel zu und teilt die insulae nördlich und südlich des Forumsareals in zwei schmale Streifen. Zwischen Kapitolsbezirk und Forum verläuft in Ost-West-Richtung der cardo maximus. Die Wohnviertel liegen im Wesentlichen zwischen dem Forum und der Tangentialstraße, die meisten Baublöcke etwa quadratischer Form besitzen Seitenlängen von ungefähr 66–72 oder knapp 100 m, einige insulae sind auch bedeutend kleiner bzw. rechteckig ausgelegt. Östlich des Forums verläuft nur noch eine Insulareihe, dann steigt das Gelände hügelig an. Am Rande des Anstiegs befinden sich das Bühnentheater und das Amphitheater, weiter oben ein als Statthalterpalast gedeuteter, nie näher untersuchter Gebäudekomplex und ein jüngst durch Luftaufnahmen und Geländebegehungen entdecktes Militärlager.

Virunum, Stadtplan mit Gesamtschau der bekannten Strukturen
Virunum: Rekonstruktionsversuch des Straßenrasters

Das einzige in flavischer Zeit, genauer von Kaiser Vespasian (69–79 n. Chr.) gegründete municipium in Noricum, Solva, liegt am westlichen Ufer der Mur. Die Stadt besitzt nach derzeitigem Forschungsstand eine dicht verbaute Fläche von annähernd 600 zu 400 m, besaß aber ursprünglich wohl einen ungefähr quadratischen Grundriss, die fehlenden Bereiche im Osten mit dem Forum und anderen öffentlichen Gebäuden dürften in nachantiker Zeit von der Mur zerstört und teilweise ganz weggeschwemmt worden sein. Die regelmäßig angelegten und mit Mauern eingefassten Baublöcke werden von 12 bis 20 m breiten Straßenflächen getrennt. Die beiden zentralen Insulareihen beidseits der von Norden kommenden, in der Stadt als cardo maximus anzusprechenden Fernstraße besitzen Regelgrößen von ca. 70 m Länge (Ost-West) und etwa 60 m Breite, nach Westen zu folgt eine Baublockreihe von 45 m Breite, zum Rand hin wird dann das Verbauungsschema in zwei weiteren Insulareihen relativ unregelmäßig. In West-Ost-Richtung gesehen weisen die zwei Reihen im Zentrum, zwischen denen der decumanus maximus durchgelaufen sein dürfte, im Gegensatz zu den oben beschriebenen Breiten von 60 m auch im Zentrum nur eine solche von maximal 40 m auf. Nach Parallelen mit Virunum und anderen Städten sollte am Ostende dieser Reihen das Forum angelegt worden sein. Trotz einer anscheinend nur vorübergehenden Besiedlung von Teilen des späteren Stadtgebietes in augusteischer Zeit stellt der Stadtplan das Ergebnis einer einheitlichen Planung ohne Berücksichtigung allfällig vorhandener vorstädtischer Strukturen dar. Als gesicherte öffentliche Gebäude von Flavia Solva sind ein Amphitheater in der Südwestecke der Stadt und eine Thermenanlage zu nennen.

Cetium als wahrscheinlich ohne nennenswerte Vorläufersiedlung im zweiten Viertel des 2. Jh.s angelegte Planstadt (Ausdehnung maximal ca. 500 × 500 m) besitzt im Wesentlichen ein fast genau an den Haupthimmelsrichtungen orientiertes streng, rechtwinkeliges Straßensystem mit insulae von etwa 66 m Nord-Süd-Erstreckung und einer Breite von 55 bis über 90 m. Alle bekannten, durchschnittlich 6 m breiten Straßen bestehen aus gewölbten Schotterfahrbahnen mit meist offenen seitlichen Gräben, nur für einen cardo gibt es einen sekundär errichteten, gemauerten, an der Westseite verlaufenden Kanal. Im äußersten Osten der Stadt scheint sich die Orientierung der Bebauung stellenweise gegenüber dem restlichen Stadtplan deutlich gedreht an einer Geländekante am Rande des Überschwemmungsgebietes der Traisen bzw. einer hypothetisch dort verlaufenden Straße zu orientieren. Das Forum ist durch Indizien zu lokalisieren, wegen der dichten modernen Überbauung aber archäologisch nicht mehr erforschbar.

Die Enge des vorhandenen, halbwegs ebenen Baulandes zwischen steil aufragenden Bergen und dem gewundenen Verlauf der Salzach sowie die Existenz eines augusteischen vicus an der zur Furt über den Fluss führenden Fernstraße mögen auch in Iuvavum zur Ausbildung eines teilweise schiefwinkeligen Straßensystems geführt haben, von dem allerdings aufgrund der dichten Überbauung mit der Salzburger Altstadt bisher nur rudimentäre Reste aufgedeckt werden konnten.
Noch schlechter stellt sich die Situation in Celeia (Celje) und Ovilavis (Wels) dar, die nach den bisherigen Indizien mehr oder weniger rechtwinkelige Straßensysteme besessen haben dürften, aber anscheinend ebenfalls auf vorstädtische Bebauung und einen Flusslauf Rücksicht nehmen mussten. Für Celeia ist jüngst das Forum durch Ausgrabungen lokalisiert worden, es dürfte eine Gesamtfläche von 106,6 × 53,3 m (180 × 360 römische Fuß) besessen haben, an den Langseiten befanden sich 13,3 m breite Hallenanlagen, die nach Funden von Marmorreliefs mit erstklassiger Architekturdekoration ausgestattet waren.

Für Teurnia liegen, abgesehen vom Forum auf dem Holzerberg, kaum Hinweise auf die innerstädtische Einteilung des Siedlungsgeländes im Zentrum vor. Lediglich in der Ebene am Westrand der Stadt, wo ein Wohnquartier des 1.–3. Jh. ausgegraben wurde, sind einige leicht unregelmäßig zueinander gestellte, geschotterte Straßenzüge bekannt.

Zusammenfassend kann zur planerischen Gestalt der römischen Städte in Noricum festgestellt werden, dass ihre Grundflächen Größen zwischen 25 ha und 1 km² aufwiesen, was auf Einwohnerzahlen von ca. 2.500 bis 10.000 Menschen weist. Soweit nachweisbar wurden meist durch ein unregelmäßig schachbrettartiges Straßensystem Baublöcke von 1.500 bis annähernd 10.000 m² in ein und derselben Stadt geschaffen, wobei in einigen Städten besonders schmale Insulae entlang des jeweiligen decumanus maximus und manchmal an den Stadträndern auftreten, sonst nähert sich deren Form gerne dem Quadrat an oder bleibt in Seitenverhältnissen von maximal 3 zu 5. In Solva, wo eine frühere römische Verbauung innerhalb eines municipium festgestellt werden konnte, nimmt die Stadtvermessung auf diese Bauten keine Rücksicht, sogar die Ausrichtung der Baufluchten ist eine deutlich andere, in Iuvavum, Celeia und Ovilavis ist die Frage der Rücksichtnahme auf vorstädtische Bauten und Straßen nicht geklärt. Unregelmäßigkeiten im Stadtplan und Fluchtänderungen von Straßen werden meist durch Flussläufe und andere Geländegegebenheiten vorgegeben.
Eine innere Einteilung der Stadt ohne streng rechtwinkeliges Straßensystem entstand nur in Lauriacum aufgrund der vorhandenen Straßen mit Bezug zu dem gegenüber der Zivilsiedlung älteren bzw. raumplanerisch dominanten Legionslager. Mit Ausnahme von Teurnia liegen alle Städte in der Ebene, wobei etwa in Virunum ein Hügel am Stadtrand für den Theaterbau ausgenutzt werden konnte.


Forum, Kapitol und öffentliche Tempel

Das Forum – mehr als ein öffentlicher Platz ist bisher nirgends nachweisbar – liegt, soweit bekannt, mit seinen Achsen oder zwei Seitenbegrenzungen am Kreuz von decumanus maximus oder cardo maximus, aber nicht unbedingt mittig in der Stadt. Einigermaßen flächig erforscht, allerdings bereits vor ca. 100 Jahren, wurden nur die Foren von Teurnia und Virunum. Das Forum von Celeia konnte jüngst aufgrund kleinflächiger moderner Untersuchungen lokalisiert werden. In allen Fällen scheint es sich um von Hallen mit Amtslokalen und Geschäften an den Längsseiten begleitete Plazanlagen zu handeln, die an einer Schmalseite eine basilica besaßen. Die andere Schmalseite blieb anscheinend unbebaut, um den ungehinderten Blick auf eine anschließende area sacra mit dem Haupttempel der Stadt zu gewährleisten.
Grabungen um 1910 brachten diese area sacra in Virunum zutage, die sich als von Hallen mit Cryptoporticus U-förmig eingefasste und künstlich um 1,8 m erhöhte Platzanlage über eine ganze Insula (annähernd 90 m Seitenlänge) nördlich anschließend an das Forum erstreckte. In der Mitte des Platzes stand ein Podiumstempel (35,6 × 24,6 m) mit tiefer, nur durch Säulen gebildeter Vorhalle und im Verhältnis von 1 : 2 : 1 dreigeteilter Cella, der in der Literatur allgemein als Kapitol bezeichnet wird. Fast direkt westlich dieses Haupttempels wurde eine weitere Plattform von 22,35 × 11,1 m aufgedeckt, die lange Zeit als Denkmalbasis gedeutet wurde, nach einem neuesten Vorschlag aber als Unterbau eines weiteren Tempels anzusehen ist.
In Celeia wurden kürzlich Teile des Forums und eines – ähnlich Virunum – daran anschließenden, bereits seit dem 18. Jh. aus Bauarbeiten bekannten heiligen Bezirkes mit monumentalem Tempelbau archäologisch untersucht. Der Tempel besaß im erhaltenen Unterbau der Cella eine Dreiteilung im Verhältnis von 3 : 4 : 3 und eine mit der Cella fast gleich tiefe Vorhalle. Das Podium war anscheinend 100 römische Fuß (29,6 m) breit und wahrscheinlich 180 Fuß (53,3 m) lang, der Tempel selbst könnte bis zu 47 m lang und ca. 28 m breit gewesen sein. Eine schon im 19. Jh. in diesem Bereich gefundene Säule weist einen Durchmesser von 1,3 m auf. Für Celeia wird wie in Virunum aufgrund der Lage und Maßeinheiten in Übereinstimmung mit den Angaben des in augusteischer Zeit schreibenden Architekturschriftstellers Vitruvius eine Funktion als Capitolium angenommen. Allerdings wurden in Celeia, in unmittelbarer Nähe dieses Tempels, um 1900 bereits ein Marmorkopf und weitere Körperteile wie Hände und Knie sowie ein Teil der Hüftpartie einer 5 m hohen Kolossalstatue des Apollo gefunden. Diese steht in Noricum bisher ohne Vergleich da. Sie kann nur als Kultbild eines sehr bedeutenden, also wohl dieses Tempels gedient haben.
Die Ansprache des jeweiligen Haupttempels in Virunum und Celeia als Capitolium erfolgte auschließlich aufgrund der Dreiteiligkeit des erhaltenen Unterbaues und der Lage am Forum. Da allerdings in Celeia ein Apollokopf als Kultbild oder Teil der Kultbildgruppe vorhanden ist und keine Inschriften in Noricum, außer solche von Provinzstatthaltern in Lauriacum, für die Kapitolinische Trias nachweisbar sind, muss diese hypothetische Zuweisung der städtischen Haupttempel an Iuppiter, Iuno und Minerva noch einmal überdacht werden.
Soweit datierbar, entstanden die Forumsanlagen und Haupttempel in Virunum, Teurnia und Celeia in ihrer bekannten Form und Ausstattung nicht vor dem beginnenden 2. Jh., am ehesten in traianisch-hadrianischer Zeit, also erst mehr als ein halbes Jahrhundert nach der formalen Stadtgründung.

Virunum: Forum und area sacra
Virunum: Rekonstruktionsversuch des Forums
Celeia: Planausschnitt des Haupttempels

Weitere archäologisch gut dokumentierte Tempelbauten in den norischen Städten sind bis heute eher noch Ausnahmen. Der älteste römische Tempel in Noricum ist der unter Kaiser Tiberius (14–37 n.Chr.) errichtete prostyle Podiumstempel korinthischer Ordnung an der Nordseite des Forums der Stadt auf dem Magdalensberg. Der wahrscheinlich zweiräumige Tempel (11,4 × 21,3 m) stand auf einem 3 m hohen Podium (13,5 × 27 m) mit integrierter Treppe. Die Cella könnte nach den Substruktionen im Unterbau zweigeteilt gewesen sein, was zu einer unbeweisbaren Deutung als Kultbau für divus Augustus und dea Roma führte. Ein Ausbau mit einer an die Wände angesetzten Pseudo-Ringhalle von 6 zu 11 Säulen und umgebenden Hallen (Platzgröße 54,6 × 45,3 m) in frühclaudischer Zeit wurde nie vollendet, die Säulen und Gebälkteile wahrscheinlich in die neue Stadt Virunum mitgenommen. Zu einem weiteren Tempelbezirk im Gipfelbereich des Berges liegen nur Indizien wie Fragmente von Weihinschriften und Antefixen vor.

Ein weiterer namenloser Podiumstempel am nördlichen Stadtrand von Virunum ist nur durch seinen Unterbau fassbar. Noch weiter stadtauswärts, im Zwickel der an Virunum vorbeiführenden Überlandstraße (Tangentialstraße) und des von ihr abzweigenden, auf das sog. Kapitol bzw. Forum zuführenden Straßenastes (decumanus maximus) liegt ein nur aus Luftbildaufnahmen bekanntes, ummauertes Areal von ungefähr 130 zu 150 m Erstreckung mit einem einzigen, annähernd zentralen Bau im Inneren. Nach der Ähnlichkeit der Anlage mit einer aus Cambodunum in Raetien bekannten wird das Monument als ara Noricorum, als Versammlungsplatz des norischen Landtags mit Kaiseraltar gedeutet. Außerdem sind in Virunum ein Dolichenum und – durch Inschriften – zumindest zwei Mithräen gesichert.
Etwa 2,7 m km nördlich des Forums von Virunum, an einer Kreuzung der in die Stadt führenden Nord-Süd-Straße und einer in das Glantal führenden Ost-West-Verbindung wird seit 2001 ein Tempelbezirk bei einem an dieser Straßenkreuzung entstandenen vicus untersucht. Über älteren, nicht sicher mit kultischen Handlungen in Verbindung zu bringenden Bauten wurde höchstwahrscheinlich in hadrianischer Zeit ein schiefwinkeliger, geschlossener, mit Steinplatten gepflasterter Platz von 60 × 52 m Gesamtfläche geschaffen. Die umgebenden Hallen weisen im Westen und Osten zwei einander gegenüberliegende große Exedren auf, an die nach außen geöffnete tabernenartige Kammern anschließen. Der nach Süden orientierte, zweiräumige Podiumstempel (16,8 × 9,6 m) besaß einen in der Achse liegenden Altar, dessen Sockelmaße 3,6 × 2,7 m betragen. Fragmente von zwei Votivaltären, einer Votivsäule und einer Bronzestatuette vom Typus des Hercules bibax (betrunkener Herkules) – weisen auf Hercules als Inhaber des Tempels.

Auf dem Miklavski hrb (Nikolausberg) am Stadtrand von Celeia wurde ein weiterer Tempelbezirk freigelegt und konserviert. Ein nach Osten orientierter Podiumstempel von 19 × 8,50 m mit Cella und Vorhalle im ungefähren Verhältnis 2 : 1 wird von Hallen an drei Seiten relativ eng umschlossen. Die Südhalle besitzt drei Exedren, in einer davon wurden Teile einer lebensgroßen Herculesstatue gefunden, nach welcher der Tempel, wahrscheinlich zu Unrecht, seinen Namen als Herculesheiligtum erhielt. Von der wesentlich größeren Kultstatue wurde nur ein Zeh gefunden.

Die bisher einzig gesicherten Umgangstempel im direkten städtischen Umfeld in Noricum wurden erst im Jahr 2004 in Celeia ausgegraben und sind noch unpubliziert. Sie wurden im 2. Jh. n.Chr. innerhalb eines heiligen Bezirk errichtet, der bereits in der Spätlatènezeit kultischen Zwecken diente.
In Teurnia wurden bisher kein städtisches Heiligtume ausgegraben, die Existenz eines Sakralbezirkes des Apollo Grannus ist aber durch eine im Umkreis des Forums gefundene Bauinschrift gesichert. Der Tempel wird hier als navale bezeichnet.
In Iuvavum ist bisher neben einem inschriftlich genannten Mercuriusheiligtum nur ein Tempelbau, der wahrscheinlich in seiner letztgültigen Form in severischer Zeit errichtet wurde, archäologisch bekannt geworden. Es handelt sich um die Fundamente eines Ringhallentempels mit Außenmaßen von 45,4 × 29,6 m. Dieser in seiner Art bisher in Noricum einzigartige Kultbau war Ost-West-gerichtet und besaß nach den vorhandenen Untersuchungsergebnissen nur einen ungeteilten Innenraum von ca. 32 × 16 m. Nach
Statuetten und einer Weihinschrift war der Tempel dem Asclepius geweiht, wofür es in den nordwestlichen Provinzen nur in Trier eine Parallele gibt.

Im städtischen Gefüge der übrigen Städte von Noricum gibt es bisher keine gesicherten Befunde zu öffentlichen Tempelanlagen. Bei Flavia Solva liegt allerdings ein bedeutendes Heiligtum außerhalb des städtischen Baugebietes, auf der Anhöhe des in Sichtweite gelegenen Frauenberges. Der Berg weist intensive Spuren einer bronzezeitlichen und eisenzeitlichen Besiedlung auf und trägt an einem vorspringenden Sporn ein nur teilweise ausgegrabenes Heiligtum der Spätlatènezeit in Form einer kreisförmigen Grabenanlage. Dessen Nutzung endet spätestens unter Kaiser Claudius, wohl als das Gebiet offizielle römische Provinz wurde und das Verbot der Ausübung der keltischen, mit Menschenopfern verbundenen Kultpraktiken wirksam wurde. Wahrscheinlich in spätflavischer Zeit wurde als Nachfolgeanlage auf dem höchsten Punkt des Berges ein nach Fragmenten der Bauinschrift der Isis geweihter Tempel (Außenmaße 23,5 × 13,5 m) errichtet. Die mit der Vorhalle ungefähr gleich große Cella besitzt eine breite Apsis. Im Eingangsbereich wurde bei den Ausgrabungen 1951–1953 ein Brandopferaltar lokalisiert, der aber heute in Zweifel gestellt wird. Das äußere Erscheinungsbild des Tempels präsentierte sich wahrscheinlich als offene Säulenstellung im Vorhallenbereich und an die Wand gestellte Halbsäulengliederung an der Cella. Südwestlich dem Tempel benachbart lag ein – nach der Meinung der Ausgräber – in der claudisch-neronischen Zeit errichtetes, etwas verzogenes Mauerviereck von ca. 7,4 × 8,9 m Außenmaßen. In flavischer Zeit wurde rund um dieses ein weiteres Mauergeviert mit Außenmaßen von ca. 24,3 × 22,7 m gelegt, womit ein ursprünglich freistehender einräumiger Kultbau zu einem Umgangstempel ausgebaut worden sein soll. Ab dem ausgehenden 1. Jh. n.Chr. sollen die Kultaktivitäten aber bereits auf den benachbarten Isistempel verlagert worden sein. In der Spätantike erlitt der sog. Umgangstempel dann eine Umgestaltung zu einem Wohnhaus.

Lagebeziehung von Solva und dem Tempelbezirk auf dem Frauenberg
Frauenberg bei Solva: Grundriss des Iseums

Zusammenfassend ist festzustellen, dass in Noricum der Podiumstempel, meist mit dreiseitig von Säulen gebildeter Vorhalle, der weitaus häufigste Typ ist. Regelmäßig steht er inmitten eines von einer dreiseitigen Hallenanlage eingefassten Platzes.
Der Ringhallentempel in Iuvavum ist wohl kaum zufällig dem griechischen Gott Asklepios gewidmet. Die Umgangstempel von Celeia sind im städtischen Gefüge bisher Ausnahmen und folgen einem latènzeitlichen Kultplatz. Für den Grannus-Tempel in Teurnia ist wegen seiner Benennung als navale aufgrund der einzigen Parallele, dem Latobiustempel im Ostkärntner Lavanttal, ebenfalls die Form des Umgangstempels als möglich zu erachten.


Thermen

In fast jeder Stadt in Noricum gibt es mehr oder weniger gesicherte Hinweise auf öffentliche und kleinere private Thermen, die allerdings nur in wenigen Fällen groß- oder gar ganzflächig erforscht werden konnten. Die meisten dieser Grabungen sind relativ früh durchgeführt worden und sichere Bauabfolgen sowie verlässliche Grundrisse kaum herzustellen.
Bereits in der Stadt auf dem Magdalensberg entstand in augusteischer bis tiberischer Zeit ein öffentliches Bad mit Umkleideraum und Baderaum mit Apsis innerhalb eines größeren Baukomplexes (sog. Repräsentationshaus), ein weiteres im kaiserlichen Herbergsbetrieb (sog. Großvilla) bei der Goldschmelze. Die Ausstattung mit Wandmalereien und Schwarzweißmosaiken verdeutlicht den Reichtum der Händlerstadt im damals gerade erst von Rom besetzten Noricum.

Magdalensberg: Thermenanlage
Magdalensberg: Herbergsbetrieb der kaiserlichen Goldschmelze

Bauphase 1 einer öffentlichen Thermenanlage vom einfachen Reihentypus in Aguntum wurde in augusteischer Zeit oder bald danach über einem abgetragenen Wohnbau errichtet. In einer Bauphase 2 (Ende 1. Jh. n.Chr.) wurde das Gebäude vergrößert und funktional um 90 Grad gedreht. Im Laufe des 2. Jh. wurde das Bad vergrößert und erhielt zur Raumfolge Apodyterium (Garderobe) – Frigidarium (Kaltbad) – Tepidarium (lauwarm beheizter Raum) – Caldarium (Warmbad) noch mehrere kleine Nebenräume.

In Celeia ist der Plan eines Badegebäudes vom Blocktypus im Ostteil der Stadt, am vermutlichen decumanus maximus, nur in Handskizzen des Ausgräbers aus dem Jahr 1889 überliefert. Die Ausstattung mit Fresken auf rotem Grund und mindestens je einem schwarzweißen sowie bunten Bodenmosaik deutet auf hadrianische Zeit. Ebenfalls dem 2. Jh. gehört ein zu Beginn des 20. Jh. teilweise ausgegrabenes Badegebäude im westlichen Stadtteil an, von dem zwei apsidale, mit flächiger Fußbodenheizung versehene Räume bekannt sind. Deren Achsen stehen senkrecht aufeinander und sind durch einen Korridor getrennt.

Celeia: Badegebäude im Ostteil der Stadt
Celeia, Badegebäude im Westteil der Stadt

Das bekannteste Privatbad in Noricum befindet sich in Virunum. Es gehört einem Baukomplex an, der die ganze, dem Forum benachbarte Insula I einnimmt. Die erhaltene Ausstattung mit dem berühmten Dionysosmosaik und einem sekundär verwendeten Ensemble von marmornen Götterstatuen dürfte aber erst dem 3. Jh. angehören. In den wenigen flächig untersuchten Baublöcken von Virunum mit Wohnhausbebauung liegen fast überall vergleichbare private Bäder mit meist zwei apsidalen Räumen vor.

Virunum, sog. Bäderbezirk
Solva: Insula V mit Peristylhäusern

Mehrere solcher Privatbäder sind auch in den Peristylhäusern im Zentrum von Solva (Insulae V und IX) nachweisbar. Eine wohl öffentliche Badeanlage mit einem großen Erholungsareal in der Nähe lag in Insula XXX. Als Hauptthermen der Stadt im 3./4. Jh. wird eine Anlage mit mehreren mit Hypokausten, Apsiden und Mosaiken ausgestatteten Räumen in Insula XXII im Stadtkern angesehen. Von Ost nach West angeordnet und durch Korridore getrennt, folgen nach dem beheizten Apodyterium das Frigidarium, Tepidarium und Caldarium. Ein weiterer beheizter Korridor läuft nach Süden zu einem weiteren Raum mit Apsis und Bodenheizung, hier könnte ein kleinerer Badetrakt für Frauen vermutet werden. Am Westrand des Baukomplexes liegen zwei große Höfe von 13 m Breite und 18 bzw. 12 m Länge wie sie für den Aufenthalt nach dem Bad üblich waren.

Solva: Insula XXII mit den öffentlichen Thermen
Lauriacum: Thermen vom Reihentypus

Eine einfache Thermenanlage vom Reihentypus mit Umkleideraum und den drei Badestuben wurde auch in der sog. Zivilstadt von Lauriacum ausgegraben.
Insgesamt ist festzuhalten, dass in den Thermen der Städte in Noricum ausschließlich der zweckmäßige Block- oder Reihentypus mit einer linien- oder ringförmig angelegten Abfolge der Baderäume in den drei Wärmestufen vorkommt. Der auf Repräsentation angelegte, wesentlich teurere und raumgreifendere Kaisertyp mit symmetrisch angeordneter Verdoppelung vieler Einheiten und angeschlossenen Gymnasien und Peristylhöfen ist bisher nicht belegt.


Wohnbauten

Aus den norischen Städten liegen Beispiele zu allen bekannten Typen des römischen Wohnhauses vor. Das um die Mitte des 1.Jh. n.Chr. errichtete Atrium-Peristylhaus von Aguntum mit seinen 3.000 m² Gesamtfläche, dabei Höfe, Gärten und wahrscheinlich ein Badetrakt, stellt ein Unikat in den Nordprovinzen dar. Der Haupttrakt (ca. 61 × 30,5 m) liegt Nord-Süd-gerichtet und besitzt drei große Einheiten: Im Norden lagen in Bauphase 1 um die Mitte oder in der 2. Hälfte des 1. Jh. n.Chr. beidseits eines langrechteckigen Atriumraumes mit Impluvium je drei Wohnräume von 50–70 m² Innenfläche. Im 2. Jh. wurde ein Eingangsraum vom Atrium abgetrennt und die westliche Raumreihe neu konzipiert; ein beheizter Gang führte nun an vier deutlich kleineren Räumen vorbei, von denen der nördlichste ebenfalls ein Hypokaustum aufwies. Im mittleren Hausteil lag über die ganze Hausbreite ein fast quadratisches Gartenperistyl mit einem zentralen Wasserbecken (15,5 × 17 m) mit abgedichtetem Boden und Wänden aus Marmorplatten. Den Südabschluss bildete eine weitere Raumreihe mit einem Triclinium. Östlich anschließend auf ungefähr gleicher Fläche wie der repräsentative Wohntrakt lagen im Norden mehrere beheizte Räume, davon einer mit Apsis, die bisher als Privatbad gedeutet wurden.

Peristylhäuser mit 1.000 m² oder mehr umbauter Fläche sind aber auch aus Virunum, Iuvavum und Flavia Solva bekannt. Allerdings sind die Grundrisse entweder nicht zur Gänze erfasst oder die Ausgrabungen geschahen vor dem 2. Weltkrieg und die Grabungsmethode und Dokumentation lassen viele Detailfragen offen.
Eine deutlich bescheidenere Form stellen Häuser mit geschlossenem, von der straße durch Arbeitshöfe abgesetztem Wohntrakt und einem rückwärtigen, auf drei Seiten von Hallen umgebenen Innenhof dar, wie ein solches in Cetium (2./3. Jh.) bekannt ist. Das Gebäude (Klostergarten, Haus 1) nahm eine ummauerte Gesamtfläche von 28,4 × 12,2 m (knapp 350 m²) ein. Im Norden, an der Straßenecke, lagen zwei offene Arbeitshöfe, wovon einer mit einer Zisterne und einem Schmelzofen ausgestattet war. Der Wohntrakt war mit einem Raumangebot von gut 60 m² im Erdgeschoss – aufgeteilt auf zwei große Zimmer und drei kleine Kammern – eher bescheiden, ein Oberstock ist aber anzunehmen. Der dreiseitig von einer 1,5–1,8 m tiefen Porticus umgebene südliche Hof (Gesamtfläche 11,2 × 9,8 m) war beinahe doppelt so groß. Den Südabschluss des Grundstücks bildete ein kleiner ummauerter Garten.

Cetium, Klostergarten
Iuvavum: Wohnhaus mit Schmelzofen
Iuvavum: Wohnhaus mit Töpferofen

Ähnliche Häuser auf Grundstücken von 300 bis 600 m², die einer Mischform aus Wohnen, Produzieren und Verkaufen dienten, einen oder mehrere Höfe, kleine Gartenareale und einen Wohntrakt von drei bis fünf Räumen (pro Stockwerk) besaßen, stellen in Noricum den Großteil der Häuser dar; besonders gute Beispiele stammen aus neuesten Grabungen in Iuvavum.
Der im ländlichen Bereich und in manchen Canabae-Siedlungen und Limesstädten beliebte Typ des Mittelkorridorhauses scheint in norischen Städten weniger verbreitet gewesen zu sein. Die bisher als große Wohnhäuser dieses Typs angesehenen Bauten in Flavia Solva dürften eher mit Funktionen als Markthalle, Spital oder Gewerbebetrieb erklärt werden.

An den Stadträndern nimmt generell die Verbauungsdichte und die Ausstattungsqualität ab. Bescheidene Häuser mit meist drei oder vier Wohnräumen in einer Reihe neben- oder hintereinander und baulich abgesetzten Wirtschaftseinheiten mit offenen Schuppen, und gemauerten oder nur mit Erdwänden versehenen Kellern liegen in großen Hof- und Gartenarealen, die gewerblichen Zwecken dienten. Typisch dafür ist für das 2. Jh. etwa Insula XLI in Flavia Solva oder die Verbauung auf den Wohnterrassen in Teurnia.

Solva, Insula LXI am Stadtrand
Cetium, westlicher Stadtrand
Teurnia, Wohnterrassen am östlichen Stadtrand

Besonders beliebt an den Stadträndern waren auch dem Streifenhaus verwandte Häuser, die mit einer einzigen Raumreihe frei innerhalb eines Grundstücks standen. Sie besaßen meist Breiten von 5,5 bis 7 m und Längen von 18 bis 22 m. Beispiele dafür liegen etwa aus Cetium mehrfach vor.
Erst in der Severerzeit wurde auch die städtische Peripherie stärker urban gestaltet, wie neue Ausgrabungen in Virunum veranschaulichen. Ein Areal im Westen der Stadt wurde im späten 2. Jh. erstmals großflächig verbaut, die Häuser erhielten Fußbodenheizungen, Baderäume und teilweise sogar Ausstattung mit Wandmalereien.
Zur Bautechnik ist festzustellen, dass in allen Städten die Gründungsphase von Holzbauten, meist in Fachwerktechnik, dominiert wurde. Diese bzw. eine Mischbauweise hielt sich an den Stadträndern fast überall, aber nicht ausschließlich durch die gesamte Kaiserzeit hindurch. Die meisten Wohnbauten in den Außenvierteln, gelegentlich aber auch in Zentrumsnähe, scheinen nur gemauerte Steinsockel von 0,3 bis 1,1 m Höhe gehabt zu haben, das weiter Aufgehende bestand meist aus Fachwerkwänden. Diese einfacheren Häuser waren selten mit Wandmalereien, so gut wie immer aber mit stabilen Estrichböden ausgestattet. Im Normalfall ist mindestens ein Obergeschoss anzunehmen. Mosaiken scheinen erst in der Severzeit in größerem Umfang und fast nur in Häusern mit Peristylhof verlegt worden zu sein. Fußbodenheizungen waren im 1. Jh. und weit bis in das 2. Jh. hinein eher Ausnahmen. Wenn überhaupt, wurden nur einzelne Räume beheizt. Erst ab der Severerzeit griffen großflächigere Heizungen um sich, auch die Anzahl der Privatbäder nahm schlagartig zu.
In Summe ist festzustellen, dass die private Bautätigkeit erst in den Jahrzehnten um 200 n.Chr. ihre volle Blüte mit den größten und bestausgestatteten Wohnhäusern und der intensivsten Verbauung in den Städten erreichte.

Peter Scherrer


Literaturauswahl

G. Alföldy, Noricum (1974).

H. Dolenz, Die Stadt auf dem Magdalensberg – das römische Zentrum Noricums, in: F. Humer (Hrsg.), Legionsadler und Druidenstab. Vom Legionslager zur Donaumetropole, Sonderausstellung aus Anlass des Jubiläums „2000 Jahre Carnuntum“, Textband (Horn 2006) 122–129 (mit ausführlicher Bibliographie).

Th. Fischer, Noricum, Orbis Provinziarum (2002).

Th. Fischer, Beispiele zur Entstehung römischer Städte in den Nordwestprovinzen, in: Genese, Struktur und Entwicklung römischer Städte im 1. Jahrhundert n. Chr. in Nieder- und Obergermanien, hrsg. v. G. Precht, Xantener Berichte 9 (2001) 11–16.

V. Gassner – S. Jilek – S. Ladstätter, Am Rande des Reiches. Die Römer in Österreich, Österreichische Geschichte 15 v. Chr. – 378 n. Chr. (2002).

M. Harding – G. Jacobsen, Die Bedeutung der zivilen Zuwanderung aus Norditalien für die Entwicklung der Städte in Noricum und Pannonia, Classica et Mediaevalia 39, 1988, 117–206.

P. Jablonka, Die Siedlung auf der Gurina, Kärnten: Veneter – Kelten – Römer, in: Die Kelten in den Alpen und an der Donau. Akten des 1. Internat. Symp., St. Pölten, 14.–18. Okt. 1992, hrsg. von E. Jerem – A. Krenn-Leeb – J.-W. Neugebauer – O.H. Urban, Archaeolingua – Studien zur Eisenzeit im Ostalpenraum 1 (1996) 267–281.

G. Piccottini, Zu den augusteischen Ehreninschriften vom Magdalensberg, in: : „Eine ganz normale Inschrift“ .... und ähnliches zum Geburtstag von Ekkehard Weber, hrsg. v. F. Beutler und W. Hameter, Althistorisch-Epigraphische Studien 5 (Wien 2005) 389–402.

G. Piccottini – H. Vetters, Führer durch die Ausgrabungen auf dem Magdalensberg6 (2002).

P. Scherrer, Vom regnum Noricum zur römischen Provinz: Grundlagen und Mechanismen der Urbanisierung, in: M. Šašel Kos — P. Scherrer (Hrsg.), The Autonomous Towns in Noricum and Pannonia – Die autonomen Städte in Noricum und Pannonien: Noricum, Situla 40 (2002) 11–70.

R. Wedenig, Epigraphische Quellen zur städtischen Administration in Noricum, Aus Forschung und Kunst 31 (1997).

Für weitere Literaturangaben vgl. auch die Kapitel zu den einzelnen Städten und das Kapitel über Tempel und Kulte in Noricum